Deine Religion

"Ihr müsset, von neuem geboren werden" (Joh. 3:7)

Viele Menschen betrachten die Religion als eine bloße äußerliche Angelegenheit und sind nicht bereit, ihr einen tieferen Einfluß in ihrem persönlichen praktischen Leben zu gewähren. Sie ist ihnen eben eine Gewohnheit wie bei allen andern Leuten. Sie haben gemeinsame Kirchen, besuchen deren Gottesdienste und haben dieses oder jenes religiöse Bekenntnis. Die Zugehörigkeit zu einer Kirche – das ist bei vielen Menschen der Inbegriff aller Religion; mögen sie sich nun mehr oder weniger an deren Gottesdiensten beteiligen, durch Wohltätigkeit beitragen, ein Glaubensbekenntnis anerkennen oder ihre Befriedigung in mancherlei Zeremonien und Gebräuchen suchen. In den letzteren Dingen sind sie oft sehr genau und auch sehr besorgt; aber was ihr eigenes persönliches Verhältnis zu Gott betrifft – manchmal sehr gleichgültig. Im öffentlichen, sozialen und geschäftlichen Leben erscheint es sehr oft vorteilhaft, zu einer Kirche zu gehören. Und diese Vorteile sind bei vielen Menschen der letzte und wahre Grund ihrer Religion.
Nun gibt es allerdings eine sichtbare Seite der Religion, das ist der Versammlungs-Gottesdienst, wodurch wir untereinander in Verbindung treten. Das ist gewiss sehr wichtig, aber immer noch nicht das Wichtigste in der Religion. So kommt es, dass viele, die innerlich gar keine Religion besitzen, sich an religiösen Formen beteiligen und sich demzufolge für religiös halten. Vorübergehend mag das ihr Gewissen beruhigen und ihnen ein selbstzufriedenes Gefühl verleihen. Aber durch äußerliche Frömmigkeit und inneren Unglauben gewinnt man nichts, es sei denn einen vorübergehenden Vorteil in sozialer, geschäftlicher oder gar politischer Beziehung. Als religiösen Maßstab gebrauchen solche Menschen meistens das Tun anderer. Und wenn ihnen ihr Gewissen Vorwürfe macht, dann beruhigen sie sich mit der Ausrede: „Ja, der und der macht das ja auch so, und der ist doch ein guter Christ“; oder: „Ja, wenn der das tun kann, dann kann ich es doch auch“ usw. Das ist aber ein ganz niedriger sowie auch ein sehr unsicherer Maßstab. Wahre Religion beginnt im Innern des Menschen, und alles Äußere ist nur ihr Ausdruck, also ein ganz kleiner Teil ihrer Wirklichkeit. Wir mögen mit der Masse gehen, aber geht die Masse in der richtigen Richtung? Wenn wir nun irgend einem Menschen nachfolgen, und er erweist sich als blinder Blindenleiter, werden wir dann nicht mit ihm in die Grube fallen?


Persönliche Verantwortung

Gott verhandelt oft mit den Völkern als Gesamtheit, aber mit den einzelnen Menschen stets persönlich. Diese Wahrheit ist ersichtlich aus dem 18. Kapitel des Propheten Hesekiel, wo Gott sagt: „Denn nur wer sündigt, der soll sterben. Der Sohn soll nicht tragen die Schuld des Vaters, und der Vater soll nicht tragen die Schuld des Sohnes, sondern die Gerechtigkeit des Gerechten soll ihm allein zugute kommen, und die Ungerechtigkeit des Ungerechten soll auf ihm allein liegen“ (V. 20). Hier sehen wir, dass Gott ohne Rücksicht auf irgend jemand mit jedem Menschen persönlich abrechnet. Jeder ist ihm persönlich verantwortlich für sein Leben, seine Stellung zu ihm und für die ihm gebührende Achtung und Hingabe. Wenn wir sündigen, sind wir direkt vor ihm verantwortlich, und zwar für jede Tat und jedes Wort unseres Lebens vom Anfang bis zum Ende. Gott wird uns zur Verantwortung ziehen. Darin gibt es keinen Ausweg für den Einzelnen, und eine Entschuldigung wird uns nichts helfen können. Unsere Sündenschuld liegt mit ihrer ganzen Wucht auf uns selbst, und jeder hat allein die Verantwortung für sich zu tragen. Du magst jetzt die Augen vor dieser Tatsache verschließen, aber es wird die Zeit kommen, wo diese Verantwortlichkeit äußerst klar vor dir stehen wird und du ihr nicht mehr entrinnen kannst.


Persönliche Schuld

Du bist nicht verantwortlich für die Sünden anderer, aber für alle deine eigenen. Als David gesündigt hatte, richtete ihn der Mann Gottes mit den Worten: „Du bist der Mann!“ Ebenso richten uns unsere Sünden, und erkannte Schuld liegt wie ein düsterer Schatten auf unserem Leben. Gott wird die Menschen nicht in Massen richten, denn jeder trägt seine besondere persönliche Schuld. Und diese wird an jenem großen Gerichtstage auf eines jeden Seele liegen, wenn er nicht auf dem göttlich verordneten Wege Befreiung davon erlangt hat.


Persönliche Rechenschaft

Die Zeit wird kommen, wenn jeder von uns gleich dem ungerechten Haushalter seinem Herrn Rechnung zu geben hat. „So wahr als ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen. So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben“ (Röm. 14:11-12). Ferner ist gesagt: „Sie werden Rechenschaft geben müssen dem, der bereit ist, zu richten die Lebendigen und die Toten“ (1.Petr. 4:5). An jenem Tage, wenn wir mit allen anderen vor dem Throne Gottes stehen, werden alle unsere Taten gewogen, und wir werden Rechenschaft geben müssen von unserem Leben, und keiner wird entfliehen können. Wir mögen hier sorglos und gleichgültig mit dem Strom der Zeit dahinschwimmen und manchen Dingen entgehen, aber am Tage der Rechenschaft wird keiner entrinnen.


Persönliche Buße

Gott ruft alle Menschen zur Buße auf, doch nicht für die Sünden anderer, sondern für ihre eigenen. Wir können nicht die Sünden unseres Bruders bereuen, noch er die unseren. Wenn wir jemals Vergebung unserer Sünden erlangen, so geschieht es dadurch, dass wir selbst ernstlich Buße tun. Aber es gibt viele Menschen, die dieses Wort nicht verstehen. Solche haben oft einer Formsache genügt und das als Bußetun betrachtet. Und doch sind sie oft in großer innerer Not ihrer Sünden wegen, weil sie keine Gewissheit haben, dass ihnen dieselben vergeben sind. Wohl versuchen sie, wie Christen zu leben und sich dafür zu halten; aber ihre vergangenen Sünden liegen schwer auf ihrem Gewissen, und sie fürchten daher, Gott zu begegnen. Das zeigt jedoch an, dass die Buße nicht echt, oder von einer nicht Gott gefälligen Art war. Echte Buße erfordert, dass wir unsere Sünden wahrhaft ernstlich bereuen und sie verabscheuen. Wir bereuen sie nicht wegen der zeitlichen und ewigen Folgen, sondern weil wir den großen Gott der Liebe beleidigt haben, weil wir Böses taten vor seinem Angesicht und ihn schmähten und beleidigten durch unsere Taten. Wahre Reue und Buße beweist sich dadurch, dass wir die Sünde nicht wiederholen und die heilige Furcht Gottes in uns bleibt, die uns befähigt, vorsichtig zu wandeln vor seinem Angesicht.
Wenn du deinem Nächsten irgendwie Unrecht getan hast, so gehört das ebenso unter wahre Buße, wie ein Unrecht gegen Gott. Wenn es dir wirklich leid tut, dass du deinen Nachbarn beleidigt hast, dann wirst du alles tun, was in deinen Kräften steht, dich mit ihm zu versöhnen und die Beleidigung wieder gutzumachen. Manchmal betrügen Menschen ihren Nächsten und besitzen diesen betrügerisch erlangten Gewinn noch, wenn sie zur Buße kommen. Sie mögen bereuen, dass sie es unrechtmäßig erlangt haben; aber tut es ihnen wirklich leid, dass sie etwas besitzen, das einem andern gehört? Wahre Buße wirkt bei einem reumütigen Menschen großen Widerwillen gegen den Besitz von unrechtmäßig erlangtem Gut. Es gehört ihm nicht, und er ist nicht nur bereit, sondern wünscht auch von ganzem Herzen, dasselbe seinem Besitzer wieder zurückzugeben. Ganz gleich, um was es sich handelt – um Geld, um Land oder um irgend einen Wert, – ein wahrhaft reumütiges Herz wünscht, es zurückzugeben. Dasselbe gilt von jeder anderen Ungerechtigkeit; denn ein von wahrer Reue durchdrungenes Herz sucht alles Unrecht nach Kräften wieder gutzumachen. Und jede Abweichung hiervon ist keine wahre Buße.
Die Bibel sagt: „Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen“ (Lk. 13:3). Und diese Buße ist, wie überall aus Gottes Wort ersichtlich, eine ganz persönliche Sache, die volle Aufmerksamkeit eines jeden Einzelnen verlangt.


Ein persönlicher Vermittler

Kein irdisches Wesen kann Mittler sein zwischen Gott und dem Menschen: weder der Geistliche auf der Kanzel, noch der Priester im Beichtstuhl; weder unsere Freunde, noch unsere Angehörigen. Aber da ist ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, von dem wir gehört haben: „Und wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist. Und er ist die Versöhnung für unsere Sünden“ (1.Joh. 2:1-2). Wenn wir die Schuld unserer Sünde fühlen und im Angesichte Gottes ihre Größe und ihren Ernst erkennen und uns dann reumütig dem großen Gerichtshof Gottes nahen, dann steht dort schon ein „Rechtsanwalt“, der darauf wartet, uns zu vertreten. Er gab sich selbst für uns und steht nun vermittelnd zwischen der himmlischen Majestät und uns. Nun erfordert die Vergebung der Sünden nicht mehr das Opferblut der Tiere oder die Besprengung mit reinigendem Wasser oder Blut wie vor alters, denn er hat durch sein einmaliges Opfer von Golgatha viele Völker besprengt. – Hast du diesen Rechtsanwalt, diesen Fürsprecher gebeten, auch deine Verteidigung zu übernehmen, und hat er dich erfolgreich verteidigt?


Persönliche Begnadigung

Die Begnadigung eines anderen Menschen kann uns nichts nützen – wir müssen sie selbst erlangen. Denn wir haben gesündigt und mangeln des Ruhmes, den wir vor Gott haben sollten, und brauchen daher seine Vergebung. Gott ist gnädig und bietet allen, die durch Jesum zu ihm kommen, die Begnadigung frei an; aber es ist eine persönliche Sache. Und wenn wir diese Begnadigung nicht erlangt haben, dann stehen wir noch in Gefahr, weil wir als Rebellen gegen Gott angesehen werden und seinen Zorn zu erwarten haben. Aber da er allen gerne vergeben will, so darfst du, mein Freund, wenn du zu ihm gekommen bist, es wissen: Du bist begnadigt, deine Sünden sind getilgt durch Jesu Blut, und Gott nimmt dich als sein Kind an. Doch wenn du dir das nicht ganz persönlich aneignest, dann hast du auch keine Sündenvergebung. Ruhe daher nicht, bis du sie erlangt hast.


Die Wiedergeburt

Im Gespräch über den Weg des Lebens sagte Jesus zu Nikodemus: „Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsset von neuem geboren werden“. Das war für Nikodemus eine neue Lehre, und er konnte sie nicht verstehen. Auch heutzutage gibt es viele Menschen in derselben Lage. Sie haben von Wiedergeburt gehört, sie haben das Zeugnis solcher vernommen, die wiedergeboren sind, und doch wissen sie nicht, was das bedeutet. Jesus sagt: „Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen“ (Joh. 3:5).
Diese Wiedergeburt ist keine Form, nichts Äußerliches, und doch eine Wirklichkeit, die von Millionen aus Erfahrung bezeugt werden kann. Johannes sagte von Jesus: „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glauben; die nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind“ (Joh. 1:12-13). Diese Wiedergeburt ist ebenso wirklich wie unsere natürliche Geburt. Das Wort Gottes bezeichnet sie auch als ein Durchdringen vom Tod zum Leben. Sie ist nicht irgend etwas Phantastisches oder nur ein theologisches Gebilde, sondern sie ist eine persönliche Erfahrung, die wir in unserem Leben gemacht haben müssen, ehe wir ins Reich Gottes kommen können. Nicht eher können wir Kinder Gottes werden und sein, bis wir diese Wiedergeburt erlebt haben. Weißt du, was diese persönliche Erfahrung bedeutet? Wenn du sie gemacht haben wirst, dann wirst du sie besser erkennen, als sie dir jetzt klar gemacht werden kann. Mit deinem Verstand kannst du sie nicht ergründen, sondern nur auf dem Wege der Erfahrung zu ihr gelangen; das ist der einzige Weg zu ihrem wahren Verständnis.
Diese neue Geburt bringt uns in ein neues Verhältnis zu Gott, nämlich in das der Kindschaft. In 2.Korinther 6:17-18 steht geschrieben: „Geht aus von ihnen und sondert euch ab – spricht der Herr – und rührt nichts Unreines an, so will ich euch annehmen und euer Vater sein, und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein – spricht der allmächtige Herr“. Natürliche Kindschaft ist eine der engsten und wirklichsten Beziehungen des Lebens. So auch die himmlische Kindschaft, wenn wir Kinder Gottes sind. Es ist eine der wahrsten Wirklichkeiten unseres Lebens und nicht etwas für die Zukunft, sondern für die Gegenwart. Daher sagt auch der Apostel: „Wir sind nun Kinder Gottes“.
Wieviele Menschen gibt es, die da beten: „Vater unser, der du bist im Himmel...“ und haben doch kein Bewußtsein ihrer Gotteskindschaft! Diese haben keine Gewißheit der göttlichen Vaterschaft, außer im allgemeinen und weitläufigen Sinne als Schöpfer aller Dinge; aber er hat uns gesagt, dass er unser Vater sein will. Das meint uns aber persönlich, nicht nur im allgemeinen als Geschöpfe. Er will dein und mein Vater sein mit allem, was dieses Verhältnis einschließt; und wir sollen seine Söhne und Töchter sein. Erst das bringt uns in das Herz des Christentums. Wenn wir Gott auf diese Weise kennen lernen, rückt er uns sehr nahe, und es fällt uns nicht schwer, ihn zu lieben, ihm zu vertrauen und sich ihm zu nähern. Wenn Gott so unser Vater geworden ist, sein Geist in unseren Herzen wohnt und wir rufen können: „Abba, lieber Vater“, dann ist ein inniges und vollkommenes Verhältnis hergestellt. Und unsere Religion ist nicht nur eine Formsache, die den Verstand befriedigt oder das Gewissen teilweise erleichtert, sondern sie ist eine alles befriedigende Wirklichkeit. Wir „sagen“ dann nicht mehr unsere Gebete, sondern wir beten. Es ist die Art Religion, die genügt für diese und für jene Welt. Keine Äußerlichkeit, sondern innere Gewißheit; auch nicht äußere Handlung, sondern innerer Zustand, der sich aber in Taten widerspiegelt.
Und dieses göttliche Verhältnis der Kindschaft erfordert völligen Gehorsam, wenn es in seiner Zartheit und Innigkeit erhalten bleiben soll. Die Schrift lehrt uns, dass, wenn wir ihn lieben, wir ihm auch gehorsam sein müssen. So wird Gehorsam ein Zeugnis unserer Liebe und Kindschaft; denn das wahre Verhältnis der Kindschaft kann ohne Liebe nicht bestehen und erhalten werden. Und dann erfahren wir „die Liebe Christi.., die alle Erkenntnis übetrifft“, und die in unseren Herzen brennt und innerste Anbetung und Ehrfurcht hervorruft.
Diese Kindschaft erfordert Unterordnung. Unterordnest du Gott dein Leben? Lässt du ihn bestimmen und regieren oder tust du es selbst? Die meisten Menschen leben nur sich selbst. Wenn Gott mit ihren Handlungen zufrieden ist, dann – gut; und wenn nicht, dann tun sie eben doch, wie es ihnen gefällt. Das ist die Stellung mancher Religionsbekenner oder Namenchristen, darum können sie auch nie so wahre und glückliche Gotteskinder sein, wie wirkliche Christen es sind. Wenn du nur dir selbst lebst, dann ist dein „Ich“ dein Gott und Regierer; aber die Sprache der Liebe ist: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe“. Daher darf nur dies und nichts anderes unsere wahre Stellung sein, wenn wir wirklich Christen sein wollen.
Das Christentum ist ein Innenleben, eine sich in all unserem äußeren Leben auswirkende Lebensenergie, sowie eine in unserer Natur und in unserem ganzen Sein sich kundtuende Kraft. Paulus drückt es einmal so aus: „Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes“ (Gal. 2:20). Und dies ist keine Erdichtung menschlicher Phantasie, wie jeder wahre Christ bezeugen kann, sondern es findet durch das gegenwärtige heilige Ordnen und Regieren des Christus in uns seinen lebendigen Ausdruck in wahrer Gottseligkeit. Daher finden wir auch im Leben eines jeden wahren Christen ein alles beherrschendes Verlangen, das aber nichts gemein hat mit weltlichem Ehrgeiz oder mit der Ichsucht, auch nicht begierig ist nach Reichtum und Macht, sozialem oder politischem Einfluß oder sonstigen irdischen Dingen. Und das ist das entscheidende Verlangen, in jedem Fall Gott zu gefallen. Ist das bei dir der Fall, mein Freund? Interessiert dich das am meisten, und ist das der Beweggrund all deiner Handlungen? Mit anderen Worten, frage dich selbst: „Bin ich ein wirklicher Christ, oder ist mein Christentum nur eine Äußerlichkeit, eine Formsache?“ Das ist eine sehr ernste Frage, aber es ist notwendig und angebracht, dir diese Frage vorzulegen, denn ich habe wie alle Gotteskinder ein lebhaftes Interesse an deinem Zustand.
Wahre Kindschaft bedeutet Gottes Ebenbild sein. Johannes sagt: „Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tage des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt“ (1.Joh. 4:17). Freudigkeit am Tage des Gerichts oder in der Todesstunde, das ist etwas, wovon manche Christen nichts wissen. Der Tod ist ihnen etwas Schreckliches, und der Gedanke an das Gericht bringt ihnen Furcht; sie haben keine Freudigkeit, wenn sie daran denken. Der Grund hierfür ist, dass ihre Liebe nicht vollkommen ist; denn Furcht ist nicht in der Liebe. Wenn wir Gott lieben, fürchten wir ihn nicht, auch sind wir nicht ängstlich besorgt, dass er uns irgendwie schädigen oder strafen wird, denn wir sind zu sehr von seiner Liebe überzeugt.
Das Christentum befähigt uns, ein freies, natürliches Leben zu führen – nicht ein von der Sünde beherrschtes, sondern ein Leben, das von der Liebe Gottes regiert wird. Und doch haben so viele Menschen die irrige Vorstellung, dass das Leben eines Christen ein hartes, unnatürliches, ein Leben beständigen Zwanges und harter Knechtschaft sei. So ist allerdings das Leben eines Namenchristen; aber eine wirklich mit dem heiligen Leben und der Macht Gottes erfüllte Religion ist etwas ganz anderes. Dieses Innenleben wirkt sich genau so natürlich aus wie der Ausfluss einer Quelle. Das Bild eines Christen in der Bibel ist das Bild eines wahrhaft Glücklichen, und darum kann er auch immer freudig und froh sein. Wie kommt es nun, dass manche sogenannten Christen unglücklich sind und die Religion ihnen als eine Last erscheint? Sie sprechen nur von harten Zeiten, der großen Verantwortung, die sie zu tragen haben, und von ihrem schweren Kreuz. Aber alle diese Dinge fließen nicht aus dieser Quelle des inneren Lebens. Wenn wir allerdings ein religiöses Leben führen wollen ohne wahre innere Religion, dann werden wir gewiss harte Zeiten und ein unzufriedenes Leben haben. Auch werden wir beständig das Gefühl haben, dass uns etwas fehlt, nämlich das geordnete Verhältnis zu Gott, das unserer Seele allein Ruhe und Frieden geben kann.
Lieber Leser, die wahre Religion kann deine innerste Seele befriedigen; sie allein bringt dir wahren Frieden, Glück und Zufriedenheit. Sie befähigt dich, der Zukunft ohne Furcht ins Auge zu schauen und große Freudigkeit zu Gott zu haben; ja, ihm zu dienen, wird die Wonne deines Lebens sein. Und wenn dies deine Erfahrung noch nicht ist, dann wisse: Gott wartet nur darauf, es dir zu geben, denn es ist bereit für jedermann! Und ich rate dir, nicht zufrieden zu sein mit dem, was andere sind und haben, sondern zu werden, was Gott von dir wünscht. Danach schreit deine Seele in ihren tiefsten Tiefen; und nach ehrlicher Prüfung im Lichte der Wahrheit ist es auch der eigentliche Wunsch deines Herzens.


Persönliches Zeugnis

Auch ich weiß etwas aus persönlicher Erfahrung über diesen Punkt zu sagen. Als Kind frommer Eltern wurde ich sorgfältig in den göttlichen Wahrheiten erzogen. Ich wuchs auf mit einer tiefen Ehrfurcht vor Gott und mit einem starken Verantwortlichkeitsbewußtsein. Als junger Mann betete ich und versuchte, ein wahrer Christ zu sein, doch fehlte meinem christlichen Leben im tiefsten Grunde die Zufriedenheit. Nach einem ein- oder mehrjährigen Versuch, ein Christ zu sein, ohne Zugehörigkeit zu einem christlichen Bekenntnis, entschied ich mich zum Kirchenbeitritt. Ich war der Meinung, das würde genügen, meinem Leben die rechte Zufriedenheit zu geben. Aber ich wurde bitter enttäuscht. Mit viel Zaudern und Zagen beteiligte ich mich an religiösen Übungen und wurde in religiöse Pflichten gezwungen; doch war es weder ein freudiger noch ein befriedigender Dienst. Manchmal fühlte ich mich auch zufrieden, aber dann kam wieder eine Zeit, in der ich mir meines Zukurzkommens und meiner Sünden bewusst wurde, da die Macht der Sünde über mich noch nicht gebrochen war. Wohl versuchte ich es mit meiner ganzen Willenskraft, wahrhaft ernst zu leben, aber es gelang mir nicht aus eigener Kraft.
Achtzehn Monate gingen in dieser Weise dahin, bis es mir unerträglich wurde. Dann unterzog ich mein Leben einer sorgfältigen Prüfung und kam zu der Erkenntnis, dass ich noch nie eine Wiedergeburt erlebt hatte und infolgedessen kein wahrer Christ gewesen war. Einmal von dieser Tatsache überzeugt, begann ich, Gott ohne Unterlass im Gebet und Flehen zu suchen. Und ich hatte nicht lange zu warten, da kam der Friede Gottes in mein Herz, und ich erhielt das Zeugnis des Geistes und damit die Gewissheit, dass ich Gottes Kind sei und Gott mein Vater ist. Von dieser Stunde an begann für mich ein neues Leben, grundverschieden von dem früheren. Mein vorher so sehr schweres Kreuz war verschwunden; jetzt konnte ich ohne Schwierigkeit beten. Und freudig erzählte ich anderen von dem neuen Leben, in das ich nun eingetreten, obwohl ich von Natur äußerst furchtsam und zurückhaltend war. Ich fand, dass das wirkliche Christenleben leicht zu leben war, denn Gott lebte in mir und wirkte durch mich. Mein neues Leben war der natürliche Ausfluß dessen, was Gott an mir getan hatte.
Fünfundzwanzig Jahre sind seit jenem glücklichen Tage vergangen, und von dieser Zeit kann ich wahrhaft bezeugen, dass das christliche Leben ein allzeit befriedigendes war und Gottes reicher Segen darauf ruhte. Es war ein glückliches Leben, trotz aller Stürme, durch die ich zu meiner Erziehung hindurch musste. Prüfungen, Schwierigkeiten und mancherlei Trübsal blieben nicht aus; aber Gott, mein Vater, hat mich nie vergessen. Jedesmal, wenn ich seiner Hilfe besonders bedurfte, hat er mir in Liebe beigestanden. Seine Gegenwart begleitete mich auf dem ganzen Wege, und ohne allen Zweifel wird sie es auch bis zum Ende meiner Tage tun. Aber es geht nichts über ein reines Gewissen und einen klaren Ausblick in die Zukunft. Und das gibt Gott all denen, die ihn lieben.
Mein Freund, mein Leben ist nichts Außergewöhnliches gewesen, sondern das einfache christliche Leben. Ich habe Gottes Gnade nicht erschöpft, noch ihre Tiefe oder Höhe erreicht. Aber wenn ich in der wahren christlichen Religion eine solche Realität fand, solches Glück, solche Freude und Zufriedenheit, sollte dann dies alles und noch mehr nicht auch etwas für dein Leben sein? Solltest nicht auch du dieselbe Erfahrung machen können, wenn du diesen von Gott gewünschten Weg gehst und in das Kindschaftsverhältnis zu ihm eintrittst, damit dein Herz zu ihm sprechen kann: „Abba, lieber Vater“, und er dir darauf antworte: „Du bist mein Kind“?