„Wandelt im Geist, so werdet ihr die Lüste des Fleisches nicht vollbringen“ (Gal. 5:16).
Nun haben wir den Sieg über die Sünde! Der Sohn Gottes hat uns ebenso wahrhaft erlöst von der Macht der Sünde, wie auch von ihrer Schuld. Was uns unmöglich war, das tat Gott und verdammte die Sünde im Fleisch. Wenn ich hier von der Sünde rede, so meine ich nicht unsere mit Sünden aller Art befleckte Vergangenheit, denn sie ist bei jedem Kind Gottes mit dem teuren Blut Christi zugedeckt. Ich meine hier die Sünde, die täglich unsere Glieder als ihre Organe gebrauchen will, um in unserem sterblichen Leib ihre Macht auszuüben.
Wenn ich nun zu einem Christen sage: „Du hast nichts mehr mit deiner Sündenschuld zu tun, – die hat Jesus bezahlt, als er dort am Kreuz sein Leben zum Schuldopfer für dich gab“, so stimmt man mir wohl freudig und glaubensvoll bei.
Wenn ich aber noch einen Schritt weitergehe und sage: „Du bist ebenso mit der Macht der Sünde, von der du täglich angelaufen wirst, fertig“, so schaut man mich traurig an und bekennt: „Leider ist dies nicht meine Erfahrung! Wohl kämpfe ich gegen die Sünde, und manchmal auch mit Erfolg, aber von einem beständigen Sieg über sie weiß ich nichts. Ich habe bis jetzt nicht das gefunden, was die Bibel verheißt und was manche zu haben meinen. Ich weiß überhaupt nicht, ob ein Christ in diesem Leben zu einer völligen Erlösung kommen kann.“
Liebes Kind Gottes! Ich stand auch einmal so wie du. Ich wollte mich jedoch nicht mit einer teilweisen Erlösung zufriedengeben. Ich wollte eine ganze Erlösung haben, wie sie die Schrift verheißt, und kämpfte darum bis aufs Blut. Aber umsonst, denn ich verstand nicht, was das heißt: „Der Gerechte lebt aus Glauben“ – er hat alles, was er hat, nur im Glauben, und hört auf zu besitzen, sobald er aufhört zu glauben. Wie gegenwärtig ist mir der Moment, als ich vor Gott auf den Knien lag und ernstlich die Frage erwog: Soll ich so weitermachen oder soll ich lieber wieder zurückkehren? Denn ich habe nur Christentum genug, um unglücklich zu sein. Lieber will ich gar nichts, als ein Leben, das aus Fallen und Aufstehen besteht; wo man in der einen Stunde sündigt und in der nächsten bereut, wieder sündigt und wieder bereut. Es kam so weit, dass ich überhaupt an einer vollen Erlösung zweifelte und mit Misstrauen diejenigen betrachtete, die davon redeten, weil ich mir sagte: „Die haben die volle Erlösung sicher auch nur in der Theorie, aber nicht in der Praxis“.
Doch Gott, der da reich ist an Barmherzigkeit, erbarmte sich meiner und gab mir Licht durch seinen Geist und durch sein Wort. So darf ich heute bekennen: Mein Friede und meine Ruhe sind heute viel tiefer als vor Jahren mein Unfriede und meine Unruhe. Und das kam so: Mein Blick fiel auf Römer 6 und es war, als ob zu gleicher Zeit ein Licht von oben auf dieses Kapitel fiel. Was für mich so lange dunkel und verschlossen war, das wurde auf einmal wie durchsichtig und so köstlich, dass es mir wie ein neues Evangelium vorkam. Jeder Vers war für mich, verschmachteten und verirrten Menschen, wie ein Stück Himmelsbrot, wie ein Lichtstrahl aus der oberen Welt. Ich saß und aß, wie Jonathan im Wald von dem Honigseim, und meine Augen wurden immer heller. Es war mir sonnenklar: Hier und hier allein ist der Weg, auf dem man von Sieg zu Sieg geht, hier habe ich das Geheimnis eines siegreichen Lebens gefunden!
Ohne Römer 6 zu verstehen und zu leben, kann man unmöglich ein Christ sein, der mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten singt. Und ich bin tief davon überzeugt, dass der Teufel es auf nichts so sehr abgesehen hat, als gerade auf das Verdecken dieser Wahrheiten, die uns ein siegreiches Leben geben. Er hat nichts dagegen, wenn man den Leuten viel von Heiligung predigt und diese Wahrheit in Römer 6 umgeht. Er ist sicher, bald alle diese Heiligungsleute müde am Weg liegen zu finden. Denn es gibt nichts Ermüdenderes, als aus eigener fleischlicher Kraft erringen zu wollen, was nur der heilige Gottessohn erringen konnte. Und eine solche Stellung ist sehr gefährlich, denn Entmutigungen verschließen das Ohr.
Wir können die ganze Heiligungslehre in das Wort des Paulus zusammenfassen: „Sterben wir mit, so werden wir auch mitleben“ (2.Tim. 2:11). Soviel wir Todesgemeinschaft mit Jesus haben, soviel Lebensgemeinschaft haben wir mit ihm. So muß es also dem Kind Gottes nur um den Tod zu tun sein, d. h. es muß allen Dingen wie ein Toter gegenüberstehen. Und das ist auch der Mittelpunkt von Römer 6: Unser alter Mensch ist mit Christus gekreuzigt; wir sind mit ihm der Sünde gestorben und darum gerechtfertigt von der Sünde, d. h. frei von ihr, und halten uns nun im Glauben in dieser Stellung.
Dieses mit Christus Gekreuzigt- und Gestorbensein will aber nicht so verstanden sein, als ob ein wirklicher Tod eingetreten wäre und als ob wir nun für die Versuchungen zur Sünde unempfänglich wären. Nein! Es ist eine Glaubensstellung. Das deutet uns klar der 11. Vers an, wo es heißt: „Haltet euch dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid“. Da folgt dann der gute Glaubenskampf dessen, der nicht selbst etwas erringen und erkämpfen will, sondern in das Errungene hineintritt und darinnen steht.
Gekreuzigt sein heißt: außer Wirksamkeit gesetzt! Ein Mensch, der am Kreuz hängt, kann trotzdem leben; aber die sonst tätigen Hände und Füße sind außer Wirksamkeit gesetzt. Würde man einen solchen Menschen vom Kreuz herunternehmen, d. h. ihm Hände und Füße lösen, so würde er leben wie vorher. Geradeso ist es mit dem mit Christus Gekreuzigten. Sobald er aus seiner Stellung heraustritt, so ist er wieder, was er vorher war. Unser alter Mensch ist wie ein im Schnee Erstarrter. Läßt man ihn liegen, so bleibt er im Tod; zieht man ihn aber hervor, so erwacht er wieder zum Leben.
In Christus, dem Menschensohn, dem Haupt der Menschheit, sind wir der Sünde gestorben. Aber wie schon oben gesagt, diese Stellung kann nur im Glauben bewahrt werden. Man bleibt darin nur, solange man sich im Glauben für gestorben hält. Man stirbt nicht alle Tage, sondern wie Christus einmal der Sünde gestorben ist, so auch wir mit ihm. Wenn wir immer wieder sterben müssten, so müssten wir ja auch immer wieder den Stachel des Todes kosten, und das wäre sehr schwer.
Der mit Jesus Gekreuzigte spricht: „Ich habe das Todesurteil des alten Menschen unterschrieben. Ich habe nichts mehr mit dem zu tun, was ihm angehört.“ Man muß auch lernen, mit sich Geduld zu haben und darf nicht vergessen, dass auch Abraham, der Vater der Gläubigen, lernen mußte, Gott zu vertrauen. Aber dies soll uns nicht ein Ruhekissen sein, sondern ein Trost für Stunden der Entmutigung und der Verzagtheit. Wir dürfen nicht vergessen, dass auch Kinder Gottes als kleine Kinder geboren werden, die des Wachstums und der Erziehung bedürfen.
Hier seien noch einige Punkte erwähnt, die nicht umgangen werden dürfen, wenn wir einen bleibenden Sieg über die Sünde haben wollen.
1. Wir müssen fest entschlossen sein, aus allem herauszutreten, was irgendwie mit der Sünde im Zusammenhang steht. Es genügt nicht, die Entweihung des Tempels unseres Herzens zu beklagen. In dem Ausdruck „Sünde“ sind hier auch das Fleisch und das eigenes Ich miteingeschlossen, „denn die Gesinnung des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott“ (Röm. 8:7). Das eigene Ich ist verflucht, und wer mit ihm zusammenhängt, der ist auch mit der Sünde verkettet. Das Ichleben und Sündenleben sind unzertrennlich. Warum erlangen viele keinen Sieg über die Sünde? Sie lieben die Sünde noch. Sie machen es wie Saul und schonen „die besten Schafe und Rinder“. Sie folgen dem Geist nicht. Auf diesem Weg verlieren sie, wie Saul, die Salbung wieder oder sind ungeschickt, sie zu erlangen. Gehorsam gegen den Geist, den man hat, ist der Weg zur Fülle des Geistes. Nur wenn man im Licht wandelt, das man hat, gibt einem Gott noch mehr – nach dem Gesetz: „Wer da hat, dem wird gegeben werden, dass er die Fülle habe“ (Matth. 13:12).
Gott gibt heute noch wie vormals, wenn er nur Gefäße findet. Und was sind die Gefäße, in die der Heilige Geist einzieht? Menschen, die durch den Heiligen Geist nicht groß gemacht werden wollen, die nicht als große Zahl dastehen wollen im Reich Gottes, sondern sich zu Nullen taufen lassen, die wachsen wollen wie ein Johannes, d. h. abnehmen (Joh. 3:30), die sich in Jesu Kreuzes- und Todesgemeinschaft hineinziehen lassen, die ganze Opfer auf den Altar legen. Gott gibt nur Feuer, wenn ein Opfer auf dem Altar liegt. Feuer ist bedingt durch ein Opfer. Von dem, der den Geist ohne Maß besaß, heißt es, dass er sich durch den ewigen Geist für Gott opferte (Hebr. 9:14). Bist du bereit, die Opfer zu bringen, wirst du Gott mehr als bereit finden, sein Feuer zu geben. Der Geist wird gegeben denen, die ihm gehorchen. Und ohne Gottes Geist ist es unmöglich, den Sieg über das Fleisch zu haben.
Römer 8 sagt uns, dass wir durch den Geist des Fleisches Geschäfte töten, d. h. das Fleisch im Tod halten sollen (V. 13). Der Geist zeigt uns, dass das Fleisch zu nichts nütze ist, dass man von ihm nichts erwarten darf und dass es der Verwesung anheimfällt. Es ist eine große Torheit, durch eigene Energie das Fleisch überwinden zu wollen. Denn da streitet ja Fleisch gegen Fleisch, und dass es da nur Niederlagen geben kann, liegt klar am Tag.
Noch größere Torheit wäre es, das Fleisch zu verherrlichen. Wir sind aber nicht mehr Schuldner des Fleisches. Durch die Kreuzigung Christi sind wir dem Dienst des Fleisches enthoben. Im Grab, an dem dunklen Ort, hat nun unser alter Mensch seinen Platz, ungekannt und ungenannt, in Vergessenheit bei uns selbst und bei anderen. Wie viele glauben sich verpflichtet dem Fleisch gegenüber, bald dem eigenen, bald dem neben sich! Wer dem Fleisch huldigt, ist ein Feind Jesu. Für sich sein heißt, gegen Christus zu sein. Von den Überwindern ist gesagt: „Sie ... haben ihr Leben nicht geliebt bis an den Tod“ (Offb. 12:11), d. h. sie haben sich selbst verleugnet. Und wenn ich mich selbst verleugnen will, so muss ich sagen: „Ich bin nicht mehr da.“
Dienst des Fleisches bringt den Tod. Statt ein Gefäß des Geistes zu werden, wird man so zum Zerrbild eines Christen, das die Unbekehrten zurückstößt, die Erweckten abschreckt, die unheiligen Elemente anzieht und mit der Sünde unter einer Decke steckt.
2. Wir müssen in Wahrheit unter der Gnade stehen, wie in Titus 2:11-12 „Denn es ist erschienen die heilbringende Gnade Gottes allen Menschen und nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Lüsten, und besonnen, gerecht und gottselig leben in dieser Welt“ geschrieben steht. Unser ganzes Wesen muß von der Gnade durchdrungen und durchwärmt sein, so dass, wenn Versuchungen und Anfechtungen auf uns einstürmen, sie in uns keinen Boden mehr finden. Wie der im Mai etwa noch fallende Schnee auf dem schon erwärmten Boden sogleich zu Wasser wird, so dürfen die kalten Schauer der Lieblosigkeit, der harten Urteile, der Schmach und Verachtung von seiten der Menschen in dem durchwärmten Herzen keinen Boden mehr finden. „Denn das ist Gnade, so jemand um des Gewissens willen vor Gott das Übel erträgt und das Unrecht leidet“ (1.Petr. 2:19). Wenn wir das als Gnade erkennen könnten, – wieviel Niederlagen würden wir uns und anderen ersparen! Aber gerade hier ist oft große Not.
3. Wir müssen unter der Zucht des Geistes stehen, d. h. im Geist wandeln. „Wandelt im Geist, so werdet ihr die Lüste des Fleisches nicht vollbringen“ (Gal. 5:16). Es machen sich gefährliche Regungen geltend; aber gerade bei den ersten Regungen heißt es: Ich bin dir gestorben. Da ist der Boden, auf dem der Sieg erfochten wird. Nicht warten, bis es in uns brennt und lodert, sondern die ersten Regungen ertöten, der bösen Lust auf den Kopf treten, das Auge ausreißen, wenn es uns ärgert, ebenso Hand und Fuß abhauen, wenn sie zum Fall gereichen. Wir können uns das Leben leicht oder schwer machen, je nach der Art, wie wir kämpfen. Wer im Geist wandelt, bekommt einen Feldherrnblick. Er weiß, in welche Situation uns eine einzige Bewegung, ein unerlaubter Gedanke oder Blick bringen kann.
(Auszug aus: „Evangeliumsposaune“ Nr. 18/1997)