Wege die zur Sünde führen

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Ein treuer Nachfolger Jesu gelobte einst dem Herrn im Gebet: „Ich will mich hinfort vor nichts mehr fürchten, ausgenommen vor der Sünde und den Wegen, die zu ihr führen“. Würden alle Kinder Gottes das in entschiedener Weise Gott geloben und halten, dann gäbe es keine Rückfälligen mehr. Fällt ein Kind Gottes in Sünde, so ist das nie eine ganz plötzliche oder unvermittelte Sache. In jedem Fall hat der Betreffende vorher einen Weg betreten, der zur Sünde führt. Viele Kinder Gottes befinden sich auf solchen Wegen. Es mag sein, dass sie sich vor der Sünde fürchteten und auch nicht sündigen wollten. Aber die Furcht vor den Wegen, die zur Sünde führen, ist bei ihnen nicht in genügendem Maße vorhanden gewesen. Vielleicht schreckten sie im letzten Moment noch vor der Sünde zurück und behielten den Sieg. Aber weit, weit besser ist es, schon vor Wegen zurückzuschrecken, die zur Sünde führen.
Die Sünde liegt wie in einem tiefen Talkessel, und die Wege, die zu ihr hinabführen, sind nicht schwer zu gehen. Spielend, ja im Schlaf lässt sich’s auf ihnen wandern. Auch haben sie die Eigenschaft, dass ihr Ende gewöhnlich nicht eher zu überschauen ist, bis der Wanderer dicht vor ihrem furchtbaren Ziel steht oder gar schon an dieses Ziel des geistlichen Todes gekommen ist.

Gleichgültigkeit

Würde jemand die Frage stellen: „Was muss ein Kind Gottes tun, um in Sünde zu fallen?“, so wäre es nicht unrichtig, darauf zu antworten: „Nichts.“ Kommt ein Christ dem vollkommenen, wohlgefälligen Willen Gottes gegenüber in eine gewisse Gleichgültigkeit, so befindet er sich auf einem Weg zur Sünde. Hier gilt das Sprichwort: „Stillstand ist Rückgang“, und zwar ist es ein Gang zurück dahin, woher er gekommen ist, aus der Sünde. Dieser traurige Weg kann schnell oder auch langsam zurückgelegt werden. In mancherlei Hinsicht ist er kein unbequemer Weg. Wenn er mit der Zeit auch trocken, öde, ja vielleicht beängstigend wird, so ist er doch frei von jeglicher geistlichen Anstrengung.
Befindest du dich in solchem Zustand, so prüfe, ob deine Füße nicht auf diesem Weg stehen. Wo er anfängt, öde und beängstigend zu werden, führt er auch in scharfen Windungen besonders steil bergab, so dass ihn viele trotz des beängstigenden Gefühls, das er verursacht, weiter wandern.
Unten am Ziel aber – die letzte Strecke geht besonders steil – hört er auf einmal auf, ein Weg zu sein. Baumstämme, Steinblöcke, tiefe Löcher, von denen manche sogar voll Schlamm und Wasser sind, bilden plötzlich die Umgebung dessen, der nicht rechtzeitig den Weg der Gleichgültigkeit verlassen hat. Und wenn er auch nicht an allen genannten schlimmen Sachen zu Schaden gekommen ist, so doch mindestens an einer. Entweder hat er sich am Felsblock des Zornigwerdens oder Aufbrausens das Schienbein eingeschlagen. Oder ist er über den Baumstamm des Beleidigtwordenseins so sehr gestolpert, dass er den Arm gebrochen hat. Oder ist er in die Wasserlache der Unmäßigkeit gerutscht. Oder hat er seinen Fuß an der Baumwurzel des Übertreibens, Prahlens oder der sogenannten Notlüge festgerannt.
Das Ende des Gleichgültigkeitsweges ist furchtbar – und wisse, du kannst ihn nicht überschauen. Rechne nicht auf ein gutes Ende – kehre sofort um. Merke, die Hauptmerkmale dieses Weges sind Vernachlässigung des Bibellesens, des Gebets und des Zeugnisses, wie der geistlichen Arbeit überhaupt. Jesaja sagt: „Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben“ (Jes. 53,11). Formalität im Bibellesen, im Gebet usw. sind nur eine Bestätigung dessen, dass eine Vernachlässigung der wahren geistlichen Tätigkeit der Seele stattgefunden hat.

Sorgen

Sorge hat Gewicht und zieht abwärts. Darum ist es mit Sorgen so schwer, bergauf zu wandern. Alle, die sie nicht auf den Herrn werfen, wie Petrus sagt: „Alle eure Sorge werft auf ihn“ (1.Petr. 5,7), befinden sich auf einem Abwärtsweg, auf einem Weg zur Sünde. Dieser Weg geht nicht so plötzlich bergab, wie der Gleichgültigkeitsweg, sondern führt noch über den kleinen Hügel der Kraftlosigkeit. Dort sinken viele zusammen und erkennen, dass sie den Weg nicht weitergehen können, und kommen zur Einsicht, dass sie ihre Sorgen auf den Herrn werfen müssen. Andere aber raffen trotz dieses offensichtlichen Zusammenbruchs die letzten Reste ihrer Kraft noch zusammen und tragen weiter, was sie nicht tragen sollen, klettern mit Mühe und Not über den Hügel der Kraftlosigkeit oder der Mahnung Gottes und haben es nachher scheinbar wieder etwas leichter.
Der Weg führt nicht direkt in den Talkessel hinunter, sondern schneckenförmig um denselben herum. Er bietet auch eine gewisse Aussicht des Endziels: einen dunklen Fleck. Aber was der Fleck eigentlich ist, ist nicht genau zu erkennen. Die Ahnungen des Wanderers auf diesem Weg sind keine guten, und je tiefer er hinunterkommt, desto beängstigender werden ihm von allen Seiten die Bergabhänge. Er fängt an zu zittern und zu zagen. Das ist ein Zustand, der an sich noch nicht Sünde ist. Aber weil der Wanderer immer noch keine Anstrengungen macht, seine Sorgen, seien es irdische oder geistliche, auf den Herrn zu werfen, kommt er tiefer und tiefer. Und schließlich ist er auf dem gefürchteten schwarzen Fleck, dem Sumpf der Verzagtheit angelangt. Das Urteil Gottes am Ende dieses Sorgenwegs lautet: „Der Verzagten aber... Teil wird sein in dem Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt“ (Offb. 21,8). Ist hieraus nicht ersichtlich, dass Verzagtheit Sünde ist? Wie ist es aber möglich, dass ein Christ dahin kommen kann?
Sorgen sind fremdes Gut, sie sind kein Eigentum der Kinder Gottes. Und wenn sie dieses fremde Eigentum nicht dem zurückgeben, dem sie es entwendet haben – Jesus – so bringt sie das in den Sumpf der Verzagtheit. Darum, teures Gotteskind, kehre beizeiten um, achte auf Gottes Mahnungen. Sonst wird es dir je länger je schwerer, und schließlich ist die Sünde der Verzagtheit vollendet, wovor du dich im Grunde genommen fürchtest. „Die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert sie den Tod“ (Jak. 1,15) – zur großen Betrübnis für den Herrn des Lebens, der gekommen ist, damit du das Leben und volle Genüge haben sollst (Joh. 10,11).

Trachten nach Irdischem

Irdisches ist unten und zieht nach unten. Aber es kann die Kinder Gottes nicht nach unten ziehen, wenn es nicht in ihr Herz gelangt – wie auch das Wasser ein Schiff nicht nach unten ziehen kann, wenn es nicht ins Schiff gelangt. Das Schiff ist im Wasser, aber das Wasser darf nicht ins Schiff eindringen. So ist es auch mit dem Kind Gottes. Es befindet sich in der Welt, aber die Welt mit ihrem Hab und Gut darf nicht in sein Herz gelangen.
Allerdings hat Gott allen Menschen den Erwerbssinn, Sparsinn, Ehrgefühl und anderes verliehen. Diese menschlichen Anlagen will er dem Kind Gottes, solange es auf dieser Erde lebt, auch nicht nehmen. Denn sonst würde ihm etwas fehlen und er wäre als Mensch unnormal. Sofern aber Kinder Gottes anfangen, mit ihrem Herzen nach Irdischem zu trachten, begeben sie sich auf einen Weg, der früher oder später zur Sünde führt. Alle Seeleute wissen, wenn dem eindringenden Wasser nicht rechtzeitig Einhalt geboten wird, dass früher oder später der Untergang unvermeidlich folgt.
Dieser Weg hat wiederum die Eigenschaft, dass selten jemand darauf ermüdet. Hier gilt das Sprichwort: „Je mehr er hat, je mehr er will, nie schweigen seine Klagen still“. Wird das Schiff des Wassers satt, solange es noch nicht den Untergang erlebt hat?
Irdisches besteht nicht nur im Sichtbaren und Greifbaren, sonder auch im Unsichtbaren wie Ehre, Ruhm und Sinnenlust. Alles dies ist irdisch, und das Irdische ist unten. Wer danach trachtet, schaut nach unten und verliert demzufolge die Übersicht über den Weg.
Bruder, Schwester, hast du deinen Blick viel auf das Irdische gerichtet, so frage dich, ob du nicht angefangen hast, es ein wenig zu lieben. Jesus sagt: „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz“ (Mt. 6,21). Als du ein Kind Gottes wurdest, wurde Jesus und das Himmlische dein Schatz. Bist du etwa dabei, deinem Schatz einen zweiten zuzufügen, so höre, was Jesus sagt: „Niemand kann zwei Herren dienen: entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Mt. 6,24).
Im Trachten nach Irdischem befindest du dich nun auf einem Weg, und es ist ein Abwärtsweg, der in den Talkessel der Sünde führt. Zunächst ist er glatt, führt aber immer an der Mauer der Blindheit entlang, die einerseits das Ende des Weges drunten im Talkessel verbirgt, und die anderseits viel, viel bessere geistliche und himmlische Dinge verdeckt. Wohl leuchten letztere ab und zu über der Mauer – aber der Blick des Wanderers ist nach unten gerichtet, denn er möchte nichts Irdisches, das er irgendwie finden oder erlangen könnte, übersehen und verpassen.
Drunten aber endet der Weg in einem Gebiet, das den Eindruck hinterlässt, als habe dort kürzlich ein Erdbeben stattgefunden. Und ehe es der Wanderer merkt, verschwindet er in den Erdspalten des Geizes, des Neides, der Missgunst usw. Die giftigen Dämpfe der Ehrsucht und des Stolzes haben ihn noch mehr betäubt, und so steckt er voll und ganz im Irdischen anstatt im Himmlischen. Welch ein Trauerspiel! Ist nicht das Trachten nach Irdischem ein furchtbar verhängnisvoller Weg, eben weil er zur Sünde führt?
„Die Gottseligkeit mit Genügsamkeit aber ist ein großer Gewinn … Die aber reich werden wollen, fallen in Versuchung und Fallstrick und viel unvernünftige und schädliche Begierden, welche die Menschen in Verderben und Untergang versenken. Denn eine Wurzel alles Bösen ist die Geldliebe, nach der einige getrachtet haben und von dem Glauben abgeirrt sind und sich selbst mit vielen Schmerzen durchbohrt haben. Du aber, o Mensch Gottes, fliehe diese Dinge; strebe aber nach der Gerechtigkeit, Gottseligkeit, Glauben, Liebe, Ausharren, Sanftmut!“ (1.Tim. 6,6-11; Elbf. Ü.).
Dies sind drei Hauptwege, die diejenigen zur Sünde führen, die nicht in der Sünde sind. Gott sei Dank, dass wir keinen zu betreten und auf keinem zu bleiben brauchen! Christus, der uns von der Sünde erlöst hat, will uns auch davor bewahren, auf diese Wege zu geraten (1.Petr. 1:5). „Darum liebe Brüder, bemüht euch desto mehr, eure Berufung und Erwählung festzumachen. Denn wenn ihr dies tut, werdet ihr nicht straucheln, und so wird euch reichlich gewährt werden der Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Heilands Jesus Christus“ (2.Petr. 1:10-11).