Besuche

In all den Jahren unserer Tätigkeit wurden wir in Kamenka und auch in Zelinograd oft von Brüdern und Geschwistern aus anderen Ortsgemeinden besucht. Die Brüder Artur und Otto Reimann kamen aus Zelinograd und machten die Geschwister in Kamenka mit den Geschwistern Stuike und Welskop aus der Stadt bekannt.

Br. Welskop war ein alter Chorleiter. Als er nach Kamenka auf Besuch kam, baten ihn die Geschwister, er möge doch mit unserer Jugend das Singen üben. Er war einverstanden, diese Aufgabe zu übernehmen. Doch da er kurz vor der Rente stand, wollte er erst, sobald er von der Arbeit frei war, wieder kommen und sich dieser Aufgabe widmen. Br. Welskop arbeitete beim Bau eines großen Hauses, an dem mit einem hohen Kran gearbeitet wurde. Es war an Br. Welskops letztem Arbeitstag, als eine Kiste mit Mörtel vom Kran hochgehoben wurde, aus der Höhe abstürzte und den Bruder traf. Er war auf der Stelle tot. Die Geschwister in Zelinograd bedauerten den Tod von Br. Welskop sehr.

Als Besucher aus Karaganda möchte ich Br. Jakob Scharton erwähnen. Er besuchte Kamenka bereits in den 60er-Jahren und blieb mit der Gemeinde als Besucher und Lehrer bis in die 90er-Jahre verbunden. Aus Karaganda besuchten uns auch die Brüder Albert und Otto Meier sowie weitere Geschwister.

So hat uns auch öfter Bruder Waldemar Faltenberg, der in Koktschetav (Petrovka) Prediger war, besucht. Dort wurde die Gemeinde 1979 registriert. Sie hatten bereits ein Bethaus eingerichtet und wir bekamen auch eine Einladung zur Einweihung. Doch nicht lange danach bekamen wir ein Telegramm, dass wir anstatt zur geplanten Einweihung zu einer Beerdigung kommen sollen. Wir konnten diese Nachricht gar nicht fassen. Als wir diesbezüglich nachfragten, wurde uns die Nachricht bestätigt. Br. Waldemar Faltenberg, der Vorsteher der Gemeinde, war am 13. November 1979 im Alter von 40 Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

In diesem Bethaus wurde nun statt der Einweihung eine Trauerfeier gehalten. Es waren auch Brüder von einigen anderen Orten zugegen, als wir den lieben Bruder zu Grabe trugen. Seine Frau blieb nun mit 8 Kindern allein zurück. Das jüngste Kind war erst wenige Monate alt. Auch die Gemeinde blieb ohne Prediger.

Wir Menschen können manches nicht begreifen, dürfen aber doch in der Gewissheit leben, dass Gott keine Fehler macht. Wir lesen in der Bibel, wie es zu der Apostel Zeit war. Die Apostel sind auf Christi Gebot ausgegangen und haben das Evangelium gepredigt (Mk. 16,15-16). Und in Apg. 6,7 lesen wir: „Und das Wort Gottes nahm zu, und die Zahl der Jünger ward sehr groß zu Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam“. Da erhob sich eine Verfolgung und viele mussten sterben. Auch Stephanus wurde gesteinigt (Apg. 7,56). Menschlich gesehen wäre das ein Widerspruch.

Auch nach dem Tod des Bruders stieg immer wieder die Frage auf, warum es mit ihm so kommen musste, da er sich doch so um Gottes Sache bemüht hat. Wir waren wohl bemüht, den lieben Trauernden auf den Trost Gottes und seine Führung hinzuweisen. Ich weiß aber sehr wohl, wie schwer es in solcher Lage ist, den Trost zu nehmen, sich zu fügen und weiter fest im Glauben zu bleiben. Mein Gedanke, den ich den lieben Trauernden ans Herz legte, war: Auf das Warum, das uns heute so beschäftigt, wird ein seliges Darum folgen, das wir heute noch nicht verstehen.

Gott hat über diese Gemeinde gewacht. Es sammelte sich eine schöne Jugendgruppe und die ganze Gemeinde blieb erhalten, bis die Geschwister in den 90er-Jahren nach Deutschland auswanderten.

Es besuchte uns auch öfter Br. Adolf Ernst aus Koktschetav, der vor Br. W. Faltenberg als Ältester an diesem Ort war und zu jener Zeit schon in Deutschland lebte. Und auch andere Brüder und Geschwister besuchten uns.

Im Jahr 1963 erfreute uns Br. Otto Schlender aus der Gemeinde Gottes in Atbasar mit seinem Besuch. Er wurde ein treuer Besucher und kam oft gemeinsam mit anderen Geschwistern, wie Brüder A. Weiß, H. Meier, Schmidt und H. Helwig.

Wir hatten ebenso Besucher aus Taldi-Kurgan. Br. Adolf Ziert war Ältester der Gemeinde in Krupskoje. Er kam hin und wieder mit Br. Reinhold Busenius nach Kamenka zu Besuch. Aus Tokmak besuchten uns die Brüder Theodor Scheling, Johann Schell, Berthold Kelm sowie weitere Geschwister. Aus Karatau kam Br. A. Lamparter gemeinsam mit seiner Frau Lilli; er verkündigte uns das Wort Gottes klar und verständlich. Aus Gasalkent waren die Brüder Erhard Kern, H. Baumgärtner und Valentin Opjonkin gemeinsam mit anderen Geschwistern auf Besuch bei uns.

In dieser Aufzählung sind überwiegend Brüder genannt, die uns das Wort Gottes verkündigten. Außer ihnen besuchten uns viele andere Geschwister, die nicht alle genannt werden können.

Ebenso lernten wir in den 60er-Jahren den lieben Br. Ackermann kennen. Er wohnte in der Stadt Omsk. An diesem Ort gab es keine Versammlung der Gemeinde Gottes. Die nächste Versammlung war im Dorf Blumenfeld, ca. 60 km von Omsk entfernt. Die Geschwister an diesem Ort zeugten davon, dass sie durch die Arbeit von Br. Ackermann zur Erkenntnis der Wahrheit gekommen sind, und sie hielten Gemeinschaft mit ihm. Br. Ackermann besuchte viele andere Orte wie Koktschetav, Atbasar, Zelinograd, Karaganda, und so kam er auch zu uns. Er war noch einer von den Pionieren der Gemeinde Gottes in Russland. Br. Ackermann kannte noch die Brüder Ebel, Malzon, Barbulla und erzählte uns viel von ihnen und ihrer Arbeit. Er erzählte von großen Erweckungen in Wolhynien, im Kaukasus und bis hin an die Wolga. Das Werk hatte einen guten Anfang. Leute haben sich bekehrt, nahmen die Wahrheit an, man baute Bethäuser.

Doch alles hat immer seine Zeit. Bereits im Jahr 1928 bekam die Gemeinde Gottes Einschränkungen zu spüren, leitende Brüder wurden verhaftet. Auch Br. Ackermann sollte verhaftet werden. Er wohnte zu der Zeit im Odessagebiet. Als dies bekannt wurde, rieten ihm die Brüder der Gemeinde zu fliehen. Der einzige Weg, der ihm offen stand, war der Weg nach Osten.

Es ist zu bedauern, wie viel Herzeleid und schwere Zeiten Br. Ackermann erleben musste. Gott schenkte ihm und seiner Frau zehn Kinder. Wegen einer Epidemie verlor Br. Ackermann innerhalb weniger Monate sieben seiner Kinder und auch seine Frau. Er blieb mit einer Tochter und zwei Söhnen zurück. Wie schwer es für ihn auch war, in aller Not konnte er doch immer in seinem Gottvertrauen festbleiben. Er erzählte unter Tränen davon. Ein Jahr nach dem Tod seiner Frau hatte er wieder geheiratet und lebte nun mit den Kindern in Omsk.

Wenn Br. Ackermann uns besuchte, so bat er darum, dass jemand von den jungen Brüdern ihn doch nach Hause begleiten möchte. Ein Bruder, der ihn einmal begleitete, berichtete später Folgendes. Als er im Haus von Br. Ackermann übernachtete, wurde er in der Nacht wach. Es schien ihm, als würde jemand sprechen. Er hörte aufmerksam zu und vernahm bald, dass der alte Bruder betete. Er hörte, wie der Bruder die Gemeinden, die er besucht hatte, im Gebet vor Gott nannte. Er nannte auch die Geschwister in den Gemeinden mit Namen, soweit er sie kannte. Der Bruder hörte eine Weile dem Gebet zu, dann schlief er ein. Als er eine Zeit später erneut erwachte, hörte er den Bruder immer noch beten. Ihm lag das ganze Werk Gottes sehr am Herzen.

Br. Ackermann hat die biblische Wahrheit verkündigt. Nicht immer wurde er verstanden, manchmal auch von solchen nicht, die sich Gemeinde Gottes nannten, was Br. Ackermann manchmal unter Tränen beklagte. Bei uns in Kamenka hat er sich wohlgefühlt.

Er verstarb 1972 im Alter von 85 Jahren. Es war sein Wunsch, dass ich ihn beerdigen sollte. Es war für mich nicht ganz einfach, seinem Wunsch nachzukommen, da wir ca. 500 km voneinander entfernt wohnten. Gott hat Gnade und Hilfe geschenkt, dass ich den Wunsch des Bruders erfüllen konnte. Als Leitwort diente uns Hebr. 13,7: „Gedenket an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; ihr Ende schauet an und folget ihrem Glauben nach.“

Unsere Brüder besuchten ebenso die Gemeinden, aus denen uns Brüder besucht hatten. Sie besuchten ebenso auch Geschwister, die zerstreut an verschiedenen Orten in unserer Umgebung wohnten.

 

In dieser Zeit war das Leben für die Gläubigen bereits um vieles leichter geworden. Wir wurden nicht mehr als Feinde angesehen, es hatte sich eine große Änderung in der Politik vollzogen. Die deutschstämmigen Leute suchten auf allen möglichen Wegen, dem kommunistischen Regime zu entkommen. Die Regierung versuchte sie aufzuhalten: „Wandert nicht aus, bleibt hier. Wir haben euch nicht gut behandelt, wir sehen unsere Fehler ein.“ Die Leute ließen sich aber nicht aufhalten. Weil Gläubige mit Ungläubigen verwandt waren, fuhren immer mehr Geschwister nach Deutschland.

Ein Teil der Geschwister war anderer Meinung. Sie dachten, weil wir hier wohnen, sollten wir auch hier im Land versuchen, das Werk des Herrn zu bauen. Die Gelegenheit dafür schien günstig zu sein, denn bereits 1989 konnten wir eine Konferenz in Kamenka durchführen. Von vielen Orten kamen Geschwister und auch Besucher dazu. Das Wort Gottes konnte frei gesprochen werden. In den Zeiten zuvor hatten wir von solchen Möglichkeiten nur träumen können, nun waren sie aber da. Wie froh auch alle darüber waren, fragte man sich in Gesprächen doch immer wieder: „Willst du auch nach Deutschland fahren?“

Hat Gott die Tür aufgetan, so dass wir nach Deutschland fahren sollten? Wie lange würde diese Gelegenheit zur Ausreise bestehen bleiben? Als 1991 die Brüder H. D. Nimz und Heinrich Semenjuk zum ersten Mal auf Besuch aus Kanada nach Kamenka kamen, wurden diese Frage auch ihnen gestellt: „Ratet ihr dazu, nach Deutschland auszuwandern oder ist es besser für uns, hier am Ort zu bleiben?“ Die Brüder vermochten keine bestimmte Antwort zu geben. Sie meinten, Gott habe den Weg aufgetan, dass wir ohne große Probleme ausreisen können. Alles weitere müsse ein jeder für sich persönlich entscheiden.

Meine Tochter war mit ihrer Familie bereits 1987 nach Deutschland ausgereist, so ergab sich für mich die Gelegenheit, zu ihnen zu ziehen. Sie wohnten in Hannover und nahmen mich bei sich auf. Nach den großen Anstrengungen, die ich jahrelang zu ertragen hatte, konnte ich mich nun ausruhen. Ich bin mit dem Nötigsten versorgt und habe oft Gelegenheit zu reisen und Geschwister zu besuchen.

Die Umsiedlung ist ja, besonders bei den jungen Leuten, auch mit manchen Schwierigkeiten verbunden. Doch die deutsche Regierung hilft sehr mit. Niemand braucht hungern oder Not leiden, alle bekommen eine Wohnung, und das Weitere kommt mit der Zeit auch.

Wenn wir heute die Lage überschauen, so erkennen wir, dass das deutschstämmige Volk, einschließlich der Gläubigen, weitestgehend aus der ehemaligen Sowjetunion ausgesiedelt ist. Es ist dort nur noch ein kleiner Überrest geblieben. Möchte Gott doch Gnade geben, dass diese gute Zeit uns näher zu ihm bringen möchte. Ich bin dem Herrn für diese angenehme Zeit dankbar.