Die Liebe vertraut

„Die Liebe glaubt alles“ (1.Kor. 13:7).

Heißt das, die Liebe ist leichtgläubig? Nein, das heißt es nicht. Das kann es auch nicht heißen. Denn das ist nicht die Art der Liebe, sondern die Art der Welt. Die Welt ist leichtgläubig. Was in der Zeitung steht, das wird geglaubt. Was die Leute reden, nämlich wenn es etwas Schlechtes ist, das wird geglaubt. Die Welt ist ungeheuer leichtgläubig. Es hat mal einer gesagt: „Es ist kein Unsinn so dumm, flugs glaubt’s das Publikum“. Das ist traurig, aber wahr.

Was wird zum Beispiel über die Knechte Gottes zusammengeschrieben und zusammengelogen! Ich kann in Wahrheit sagen: Wenn das alles wahr wäre, was über mich schon geredet und geschrieben worden ist, dann hätte ich sicher schon etliche Jahre Gefängnis absitzen müssen. Es kann so unsinnig gemacht sein, wie nur möglich – es wird geglaubt. Die Welt glaubt alles. Und dann erzählt sie es brauchbar weiter. Ach, die Lästermäuler würden ihr schändliches Gewerbe nicht so dreist ausüben, wenn es nicht so viele Ohren gäbe, die bereit sind, ihre Ware anzunehmen. Wenn die Leute nicht so bereit wären, jeden Klatsch und jedes Gespräch zu glauben, dann würden die Verleumder schon längst ihr böses Handwerk, oder, besser gesagt, ihr böses Mundwerk aufgegeben haben.

Ja, was heißt das denn aber: Die Liebe glaubt alles? Das heißt: Die Liebe vertraut. Die Liebe vertraut in allen Sachen. Lieben und Vertrauen gehören zusammen. Wo kein Vertrauen ist, da ist auch keine Liebe. Aber wo die Liebe ist, da ist auch Vertrauen. Wenn das Vertrauen schwindet, kann auch die Liebe nicht mehr bleiben. Kennst du die Sage von Lohngrin dem Schwamenritter? Er hatte Elsa von Drabaut errettet und lieb gewonnen, und er willigte ein, bei ihr zu bleiben, wenn sie ihn nie nach seiner Herkunft und nach seiner Person frage. Sie versprach ihm das. Sie vertraute ihm ja. Er hatte ja ihre Feinde geschlagen und ihr seine Liebe bewiesen. Und dann? Dann kamen die bösen Menschen, die ihr was ins Ohr bliesen, die sie aufhetzten. Das Misstrauen erwacht, sie fragt ihn und er verschwindet. Keine Liebe ohne Vertrauen.

Die Liebe vertraut. Die Liebe ist eine unverwüstliche Optimistin. Ich sprach vor Jahren einmal mit einem Mann, der sagte mir, er halte es so: „Ich misstraue so lange, bis ich Grund zum Vertrauen finde“. Darauf sagte ich: „Und ich vertraue so lange, bis ich Grund zum Misstrauen finde“. Da antwortete er: „Dabei werden Sie aber schon hereinfallen“. Ich antwortete: „Dabei bin ich aber viel glücklicher als Sie“. Gewiss, das Vertrauen der Liebe wird enttäuscht und betrogen. Aber darum hört die Liebe doch nicht auf zu vertrauen. Sie kann ja nicht anders als lieben. Und lieben und vertrauen ist ein und dasselbe.

Die Liebe glaubt alles. Die Liebe vertraut. An die Römer schreibt Paulus: „Sollte ihr [der Juden] Unglaube Gottes Glauben aufheben?“ (Röm. 3:3). Ein wunderbares Wort. Gott glaubt an die Menschen. Er hätte seinen Sohn nicht gesandt, wenn er nicht an die Menschen geglaubt hätte. Er glaubte, dass die Menschen erlösungsfähig wären. Er glaubte, dass es gelingen würde, neue Kreaturen aus ihnen zu machen. Oh, wie adelt es uns, wenn wir Ebenbild seines Sohnes werden können. Und wenn Gott das glaubt, sollen wir es nicht auch glauben? Es kann sein, dass der verlorene Sohn sich sehr weit verirrt hat. Aber wir glauben, dass er zurückkommt. Denn wir wissen: Viel mehr, wie uns an ihm und seiner Errettung gelegen ist, ist Gott an ihm gelegen. Viel mehr, als wir ihn lieben, liebt ihn der Herr. Die Liebe vertraut. Die arme Welt misstraut. Der eine misstraut dem anderen. Arme Welt! Bemitleidenswerte Welt. Die Liebe glaubt alles. Glückselige Liebe!