Ein vergeudetes Leben

Im Gefängnis

Ich wurde in Falmouth, Kreis Pendleton, Ky., im Jahre 1867 geboren. Meine Eltern waren geachtete Christen und beliebt, wo man sie kannte. Erfolgreich führten sie zwei Knaben und ein Mädchen auf den Weg des christlichen Lebens. Sie hätten auch mich in derselben Weise geführt, wenn ich es ihnen erlaubt hätte. Doch war ich von meiner frühesten Jugend an eigenwillig und zu allem Bösen geneigt.

Es schien, dass meine Eltern gar keine Gewalt über mich hatten. Ich ging von einer Schlechtigkeit zur andern. Ja, sie straften und ermahnten mich, aber es half alles nichts. Ich fand Vergnügen an allem, was schlecht war. Leidenschaftlich und gedankenlos wie ich war, dachte ich nie daran, was wohl die Folgen meines Treibens sein werden. Ich erwählte einfach das Böse und mit einer Art von Vergnügen stürzte ich mich hinein. Damit fuhr ich fort, bis ich durch Christus und meine liebe alte Mutter zur Einsicht gebracht wurde.

Ich mied fast immer die Gesellschaft guter Menschen und mochte nichts mit denen zu tun haben, die mir gern behilflich gewesen wären, mich auf den rechten Pfad zu leiten. Meine Eltern kann ich nicht beschuldigen; jedoch kann ich keinen eigentlichen Grund angeben, warum ich solch ein Leben führte. Als ich noch ein Kind war, suchte ich die Gesellschaft von Knaben, die älter waren als ich. Und da sie sehr schlecht waren, leiteten sie mich in einem gewissen Maß auf den Weg, der zur Hölle und zum Verderben führt. In dieser Gesellschaft eignete ich mir Gewohnheiten an, die mir so lange anklebten, bis ich den Stumpfsinn, der mich an die Sünde und an den Teufel band, von mir abwälzte. Dies ist die beste Erklärung, die ich für meinen Hang zum Bösen hervorbringen kann. Geerbt habe ich ihn nicht, und zwar aus dem einfachen Grund, weil meine Angehörigen, soweit ich sie kenne, gute Christen waren, die ein gerechtes und ehrbares Leben führten.

Als ich schon ziemlich groß war, zogen meine Eltern aus dem heimatlichen Dorf Falmouth nach Covington in demselben Staate. Hier waren die Versuchungen größer und stärker als auf dem Lande. Natürlich erwählte ich mir die schlechten Knaben als Kameraden in der Schule und auch sonst. Wir schwänzten die Schule und trieben allerlei Unfug, was uns viel sogenanntes Vergnügen bereitete.

Die wirklich guten Knaben mieden wir und machten uns über sie lustig. Es fiel mir nicht im Traum ein, dass diese Knaben einmal mit dem Finger auf mich zeigen könnten. Auch schlugen wir sie öfters, einfach so aus Bosheit. Ich konnte so nicht lange in der Schule bleiben, denn jüngere Knaben würden meinem Beispiel folgen, zum Kummer ihrer Mütter und zu ihrem eigenen Verderben. Die Schulbehörde erkannte dies und wies mich darum aus. Doch auf dringendes Bitten meiner guten Mutter nahmen sie mich wieder auf und ich betrug mich eine Zeit lang gut. Dann aber, als ich es müde war, ein „sehr guter“ Junge zu sein, fiel ich wieder zurück in meine alten Gewohnheiten, und zwar schlimmer als zuvor.

Alle die bösen Neigungen hatten in mir nur geschlummert. Als sie wieder aufgeweckt wurden, brachen sie hervor wie Lava aus einem feuerspeienden Berge. Von da an stürzte ich mich buchstäblich ins Verderben, bis ich zum vierten Male im Gefängnis landete. Ich stahl, spielte und beging all die andern Sünden, die so etwas im Gefolge hat einschließlich des Trinkens von des Teufels Gift, Branntwein genannt.

Während dieser Zeit machten meine Eltern und Freunde jede Anstrengung, um meinen ungestümen Kurs zu ändern, aber alles war vergeblich. Die Gebete meiner armen alten Mutter und die Ermahnungen von Freunden waren ohne Erfolg. Es erforderte die Macht von dort, woher nur die wahre Macht herkommen kann, um mich zur Besinnung zu bringen, so dass ich die Sorgen und den Kummer, die meine Eltern um mich hatten, und auch mich selbst sehen konnte, so wie andere mich sahen. Ich war gewiss ein verlorener Sohn, der weit vom Vaterhaus irrte. Ich hatte gar keinen Begriff von der furchtbar großen Gefahr, in der ich mich befand, während ich in diesem Strudel der Sünde und des Lasters war. Ich glaube wirklich, wenn jemand einen rechten Einfluss über mich gewinnen und mir die Folgen meines Lebens hätte zeigen können, dass ich erlöst worden wäre, ehe ich mein junges Leben der Sünde und dem Laster hingegeben hätte.

Es ist wahr, wie ich schon vorher gesagt habe, dass meine Mutter mich ermahnte und große Anstrengungen machte, mich vom Irrwege abzubringen. Aber sie hatte nicht den Einfluss, den eine Mutter über ihren Sohn oder ihre Tochter haben sollte. Doch auch das war ganz allein meine eigene Schuld, denn ich blieb nie lange genug daheim, um zu erkennen, dass sie alles aus Liebe und nur zu meinem Besten tat.

Lieber Leser, wie viele Knaben, denkst du, sind gerade so wie ich war? Bist du einer von ihnen? Wenn dem so ist, dann bitte ich dich, auf deiner Mutter Rat zu hören, denn sie würde lieber sterben, als dir falsch zu raten und dich in die Irre zu leiten. Du kannst mir glauben, wenn ich dir sage, dass es nichts als Jammer und Elend in einem ausschweifenden Leben gibt. Lass dich nicht vom vorübergehenden Vergnügen der Sünde bezaubern und bis auf die tiefste Stufe des Verderbens führen! Wenn du oben bist, dann bleibe oben und sei glücklich und zufrieden. Bist du schon teilweise hinuntergekommen, dann halte an und gehe zurück, denn wenn du einmal unten bist, wird es einen furchtbaren Kampf kosten, wieder nach oben zu kommen. Wenn du unten bist, ist noch Hoffnung vorhanden. Kehre sofort um, schau nach oben und sprich: „Ich will wieder hinaufsteigen und ein Mann sein. Ich will Gott bitten, dass er mir helfen möge“. Du darfst aber nicht erwarten, dass Gott alles für dich tun soll. Ich meine damit: Du musst hinaufsteigen, und Gott wird dir den Weg bereiten und ebnen. Wäre ich daheim geblieben und hätte meiner lieben Mutter Rat gefolgt, den sie mir gab, da ihr Herz voll Mitleid und Liebe gegen mich überfloss, und sie mich mit einem mütterlichen, christlichen Wandel zur Einsicht meines vergeudeten Lebens bringen wollte, dann wäre ich von ihr auf den rechten Weg geführt worden. Aber, ach, ich war ihres Rat immer überdrüssig und gehorchte ihr nicht. Gott weiß, dass sie versucht hat, mich in der Furcht Gottes zu erziehen.

Meine lieben Brüder, wenn ihr nur in die Zukunft schauen und euer Schicksal sehen könntet, wenn ihr euch ein schlechtes Leben erwählt, dann würdet ihr zitternd stillstehen, und nur zu froh sein, dass ihr noch imstande seid umzukehren. Lasst euch von einem warnen, der weiß, wovon er redet. Meidet das Böse in jeglicher Gestalt. Wenn ihr versucht werdet, dann steht fest wie ein Felsen. Seid ehrlich, aufrichtig und treu, dann werdet ihr erlangen, was so viele verfehlen, nämlich Zufriedenheit, Glück und Frieden.

W. S. H. (geschrieben für „Des Knaben Begleiter“)