Meine Bekehrung

Bis zu unserer Niederlassung im Staate Indiana war mein Vater Quäker. Da es dort keine Versammlung seiner Glaubensrichtung gab, schloss er sich den „Vereinigten Brüdern in Christus“ an, deren Gründer Otterbein war. Damals wurden in Schulen und Kirchen Erweckungsversammlungen gehalten, die vier bis acht Wochen dauerten. Außer der Predigt gab es Zeugnis- und Gebetsversammlungen. Wenn nach ungefähr acht Tagen „das Eis gebrochen“ war, zog ein Erweckungsgeist in die Versammlung ein. Von weit her kamen die Leute auf Schlitten oder anderen Fahrzeugen und füllten den Saal bis zum letzten Platz. Der Prediger sprach zunächst zwei Reihen des Liedes vor und die Versammelten sangen sie nach. In dieser Weise ging es weiter, bis das Lied zu Ende war. Lagerte über der Versammlung der Geist der Erweckung, dann wurden besonders erfrischende und ermutigende Lieder gesungen. Nach Beendigung der Predigt bat der Prediger bußfertige Seelen, nach vorn zu kommen. Und während die Versammlung stehend ein passendes Lied sang, entschloss sich gar manche liebe Seele, den Herrn zu suchen. Mir scheint, dass die Prediger und Arbeiter im Weinberg des Herrn jener Tage noch wenig Erfahrung hatten, um die Zuhörer zu belehren, wie man die Vergebung der Sünden erlangt. Zu einem großen Teil war es wohl auch Schüchternheit, die manche abhielt, sich in der rechten Weise dem Herrn auszuliefern. Jedenfalls erlangten nur ganz wenige beim ersten Gang nach vorne eine gründliche Erfahrung. Die Mehrheit ging ein bis zwei Wochen lang Abend für Abend nach vorn, doch um so größer war dann die Freude, wenn der Geist Gottes ihnen die Vergebung ihrer Sünden bezeugte. Ich erinnere mich einer jungen Frau, die 29 Mal nach vorn kam, ehe sie Frieden für ihre Seele fand. Dann aber lief ihr Herz vor Seligkeit über und stundenlang lobte und pries sie Gott.

Ich war 15 Jahre alt, als ich während einer solchen Erweckungsversammlung dem Werben des Geistes Gottes nachgab und ihn von ganzem Herzen um Frieden für meine Seele anrief. Eine Woche lang ging ich Abend für Abend nach vorn, um zu beten. Eines Abends wurde ich so stark vom Heiligen Geist beeinflusst, dass ich alles um mich vergaß und inbrünstig zu Gott rief, meine Sünden zu vergeben und meine Seele zu retten. Plötzlich erfüllte mich himmlischer Friede und ich wusste, dass meine Sünden vergeben waren und dass der Herr mich als sein Kind angenommen hatte. Ich erhob mich, wandte mich zur Versammlung und bezeugte, was der Herr an mir getan hatte. Wenn ich auch in einem christlichen Hause erzogen worden war, so bedeutete dieser Tag doch einen Wendepunkt in meinem Leben.

Der Wunsch, mich im Dienst an anderen nützlich zu erweisen, trieb mich vorwärts, und sichtbar führte mich dieses Streben in die Richtung meiner zukünftigen Lebensarbeit. Meine Schüchternheit war zur Zeit meiner Bekehrung gewichen, aber gar bald musste ich erfahren, dass die Schüchternheit immer noch ein großes Hindernis für mich darstellte. Ich liebte den Gottesdienst und die Sonntagschule über alles, hatte aber große Angst, zum Gebet oder Zeugnisablegen aufgefordert zu werden. Ich spürte einen großen Mangel an Fähigkeit, mich gut auszudrücken und wusste auch nicht, was ich viel hätte sagen und beten sollen.

Als ich einige Monate nach meiner Bekehrung bei einer Vierteljahreskonferenz zugegen war, kündigte der leitende Bruder am Ende der Morgenandacht an, dass am Nachmittag ein Liebesfest stattfinden würde. Ich wusste, dass es nun eine Gebets- und Zeugnisversammlung gab. Über den geistlichen Gewinn und die Ermutigung, die ich dort erwarten durfte, freute ich mich. Dennoch überkam mich ein Gefühl der Furcht, dass ich zum Beten aufgefordert werden könnte. Ich erinnere mich jetzt, dass ich zu Hause ein Büchlein hatte, darin eine Predigt von Henry Beecher mit einem vorausgehenden kurzen Gebet stand. Beecher war einer der besten Kanzelredner der damaligen Zeit. Mir schien, dass ich nun den Weg aus meiner Verlegenheit gefunden hatte. Ehe der Nachmittagsgottesdienst gehalten wurde, musste ich das Gebet auswendig gelernt haben. Zu Hause angekommen, fand ich auch gleich das Buch und lernte jenes Gebet. Bald hatte ich es im Kopf. Im Verlauf der Versammlung wiederholte ich es kurz noch einige Male.

Als ich zum Beten aufgefordert wurde, begann ich, das Gelernte herzusagen. Kaum hatte ich die einleitenden Worte gesprochen, als mich mein Gedächtnis verließ und ich nichts mehr wusste. Alles Lernen war vergeblich gewesen. Nach kurzem Zögern fügte ich noch einige Worte hinzu, um es zu einem einigermaßen erträglichen Ende zu bringen. Aber der Fall von Beechers fließender Sprache zu meinen unbeholfenen Worten war nach meiner Meinung so tief, dass es mir wohl für mein ganzes Leben, so dachte ich, die Freudigkeit zum öffentlichen Beten nehmen würde. Später erkannte ich, dass ich dadurch für mein ganzes Leben von solchen Nachahmungen befreit worden war. In jenem Augenblick wünschte ich jedoch, dass der Boden sich unter mir öffnen und ich in der Tiefe versinken würde. Aber nichts geschah. Bald saß ich wieder auf meinem Stuhl. Niemand hat später mit mir über diesen Fall geredet. Vielleicht war mein Missgeschick den anderen gar nicht so aufgefallen. Für mich war dieser Vorfall jedoch eine Lektion, mich in Zukunft auf Gott und nicht auf Menschen zu verlassen und mich in den Grenzen meiner Fähigkeiten zu bewegen.

Einige Wochen nach meiner Bekehrung wurde ich im Fluss Mississinewa getauft.