13. Pilger des sieghaften Lebens

Frage: Könnt ihr mir bitte sagen, ob für mich ein wirklich sieghaftes Leben möglich sei. Ich meine dies, das Tag für Tag, jahraus und jahrein anhält? Ich habe in meinem Leben so viel Kämpfe, dass mir ein Leben des beständigen Sieges ein unbestimmter, ferner Traum zu sein scheint. Es kommt mir vor, als seien nur die in der Lage, diesen glücklichen Stand zu erlangen und zu behalten, deren Leben sehr geschützt ist, und die auf ihrem Lebensweg nur wenige Hindernisse haben. Diese mögen wohl sieghaft leben. Aber wie soll ich es mit meinen Mühsalen und Schwierigkeiten der verschiedensten Art? Ich habe viele sieghafte Christen getroffen. Ich weiß zwar nicht, wie es um sie steht, aber ich glaube, dass ihr lieblicher Charakter deutlich darauf hinweist, dass ihr Leben sehr begünstigt ist. Könnt ihr mir in dieser Sache Aufschluss geben? Wenn für mich ein sieghaftes Leben wirklich möglich ist, dann möchte ich es gewiss haben. Würdet ihr mir helfen?

Antwort: Gern wollen wir dir Aufschluss geben. Dort kommt gerade Pilgerin Heiter, die im Armutstal, nahe bei Kalebs hübschen Heim in Hebron wohnt! Sollen wir eine Unterhaltung mir ihr anknüpfen? Man sagt, sie sei eine Pilgerin Kanaans, die eine der lieblichsten Gemütsverfassungen besitzt, und doch soll sie an einem der ärmsten Orte des Landes wohnen. Und wer geht dort an ihrer Seite? Sie scheint sehr glücklich zu sein. O ja, das ist Pilgerin Freudig. Und wo wohnt sie? Man sagt, sie wohne im Tal der Unruhe, nahe am Berg der Anfechtung. Diese Namen klingen verhängnisvoll, nicht wahr? Komm, wir wollen sie anreden, denn es sind Pilgerinnen mit so fröhlichem Gesichtsausdruck, wie wir noch nie sahen.

– Dürfen wir ein Stück mit euch gehen und euch nach eurem Heim in Kanaan fragen, und wie es kommt, dass ihr so fröhlich und friedlich seid? Wir sind erst vor einigen Tagen über den Jordan gegangen und möchten so viel wie möglich das Land kennenlernen. Woher sind die prächtigen Blumen, die ihr in euren Händen habt? Bitte, erzählt uns von euren Erfahrungen!

– Ihr seid uns als Begleiter herzlich willkommen. Ich bin Pilgerin Heiter, meine Gefährtin ist Pilgerin Freudig. Diese Blumen kommen aus dem Garten des geduldigen Harrens, der am Berg der Ruhe liegt. Die Blumen sind für alle Pilger; aber der Weg zu diesem Garten ist sehr rau und ganz von Dornensträuchern umgeben. Einige Pilger taten sich einst zusammen, um diese Dornensträucher zu beseitigen. Aber die Büsche haben so starkes Gezweig, dass man es mit keinem Messer durchschneiden kann. So stehen sie immer noch. Andere haben alle Steine vom Weg aufgesammelt. Aber von den Felswänden fallen immer wieder neue Steine herunter, und einige der neuen Steine sind für die Füße der Pilger noch gefährlicher, als die alten es waren. So hat man es für das Beste gehalten, den Weg zu lassen, wie er ist. Riecht einmal, wie wunderbar die Blumen duften!

– Wo wohnst du, Pilgerin Heiter?

– Ich wohne im Armutstal. Der Boden im Tales ist sehr hart und mager. Aber Immanuel wandelt und redet mit mir. Jeden Tag kommt Er und hilft mir. Jeden Tag nimmt Er Lasten von meinem Rücken. Regen des Segen fallen alle Tage oder alle zwei Tage.

– Nicht wahr, du hast nie Schwierigkeiten, Pilgerin Heiter? Ich bin mir sicher, dass du keine hast; denn du blickst so sorglos und unbekümmert drein.

– Mein lieber Pilger, ich habe immer einen Kampf. Ich weiß gar nicht, wie das eigentlich sein mag, ohne Schmerz und Armut zu sein. Hätte ich den Honigfelsen nicht, so wäre ich schon längst verhungert.

– Wo ist der Honigfelsen?

– Oh, er ist hoch oben im Gebirge, das an das Tal grenzt. Nur ein schmaler Pfad führt dorthin. Es scheint, dass nur wenig Pilger wissen, wo er sich befindet. Und außerdem, es ist der raueste Pfad, den ich je zu gehen versuchte. Aber ist man einmal am Felsen angelangt, um sich am Nektar zu laben, so braucht man nur im Namen Immanuels den Felsen zu schlagen, dann kommt gleich der köstlichste Honig heraus, den es in der Welt gibt.

– O wir möchten davon essen! Aber da ist der raue Pfad. Ich weiß nicht, ob wir ihn gehen können.

– Bist du auch am Honigfelsen gewesen, Pilgerin Freudig?

– Ja, erst gestern war ich dort.

– Hast du dir etwa dort diese Kratzer und Blutflecken an deinen Füßen und Händen geholt und auch deine Kleider zerrissen?

– Ja, Pilger. Mein Heim ist im Tal der Unruhe. Hohe Berge der Anfechtung umgeben es von rechts und links. Nicht vielen Pilgern gefällt mein Heim; aber Immanuel wies es mir an. Und jedes Heim in Kanaan, ist dem besten Ort in der Wüste und dem besten Haus in Ägypten vorzuziehen. Es ist wahr, mein Heim liegt in einem dunklen Tal, und vom Anfechtungsberg kommen fortwährend Erdrutsche herunter, die ich helfen muss wegzuräumen. Aber Lob und Preis sei Immanuel, allein das Leben in Kanaan übersteigt schon alles, was mir vorher lieb und wert war. Halleluja! Scharen von Engeln besuchen mich oft. Der Himmel scheint offen zu stehen!

– Wir danken euch, Heiter und Freudig. Wir würden uns freuen, euch wieder mal zu treffen.

Diese zwei Pilgerinnen, die an den unruhigsten Orten Kanaans leben, haben einen heiligen Frohsinn, der uns beschämt, wenn wir daran denken, wie oft wir klagten wegen ein paar schwieriger Dinge, denen wir zu begegnen hatten. Gott sei gelobt für solche Pilger wie sie!

 

Folgendes ist eine wahre Geschichte. Frau B. ist ein Krüppel und geht an Krücken. Vor Jahren bekehrte sie sich und danach erfuhr sie die völlige Heiligung. Ihr Mann war gottlos und machte ihr viel Schwierigkeiten. Schließlich starb er und ließ sie mit mehreren Kindern zurück. Sie lebten sehr arm. Die Frau zog dann mit ihren Kindern auf einen Ort um, der hundert Meilen entfernt war. Sie wandelte treu und trug alles Schwere, so gut sie konnte. Sie ist auch heute noch arm, obwohl ihre Kinder jetzt für sich selbst sorgen. Man kann sich kaum etwas Härteres vorstellen, als diese Frau durchzumachen hatte. Ihr körperlicher Zustand machte ihr vieles unmöglich, was sie sonst hätte tun können. Sie war gezwungen, schwer zu arbeiten und musste sehen, wie ihre Kinder ohne Schulbildung aufwuchsen. Hatte die Familie gerade genug zu essen, so waren sie dankbar. Und doch ist diese Frau in all den Jahren immer freudig gewesen. Sie gibt damit ein prächtiges Zeugnis der Gnade Gottes, die fröhlich und heiter erhalten kann.

Ein anderer Fall ist der des Bruders H. Er hatte Tuberkulose. Er war zum Predigtamt berufen, war auch ein guter Sänger und ein eifriger Beter und wurde von Gott gebraucht, verschiedene Wunder der Heilung zu vollbringen. Seine Familie war groß, und infolge seiner Krankheit war es ihm nicht möglich, sie hinreichend zu versorgen. Er wohnte mit seinen acht oder neun Kindern und einer überlasteten Frau in einem kleinen Haus mit drei Zimmern. Er konnte keine Arbeit verrichten. Seine Nachbarn warfen ihm finstere Blicke zu, weil er nicht arbeitete. Sein Heim war ein Bild der Armut; es konnte kaum schlimmer sein. Aber er hatte einen edlen christlichen Charakter, besaß echten Glauben und war einer der glücklichsten Christen, die man nur antreffen kann. Seine Heiterkeit war nicht wie die eines nachlässig sorglosen Mannes, auch nicht wie die eines gefühllosen, ungebildeten Menschen; denn er spürte die Armut sehr, der er unterworfen war, und befand sich über seinen Zustand und die Verhältnisse daheim immer in Verlegenheit. Er war ein Mann mit Feingefühl und guter Begabung. Und doch war er glücklich im Herrn. Sein Glück bestand in der echten Freude der vollen Erlösung in seinem Herzen, geboren durch einen Glauben, der sich bewusst ist, dass ihm alle Dinge zum Guten mitwirken.

Die völlige Heiligung nimmt uns nicht die Schwierigkeiten des Lebens, noch verändert sie jemandes äußere Verhältnisse. Aber sie hebt die Seele über alle irdischen Schwierigkeiten hinweg und lässt sie in Gottes freier Siegesstimmung schweben.

Für die völlig geweihte Seele gibt es keine „weitere Ursachen“, das heißt, zwischen Gott und ihr steht nichts, das sie schädigen oder in irgendeiner Weise ohne Gottes Willen berühren kann. Es mag sein, dass uns andere schwer misshandeln und dass deren Taten unrecht und dem Willen Gottes vollkommen zuwider sind. Aber diese Handlungen geschehen nicht ohne seine Zulassung, und dadurch werden sie für uns der Wille Gottes. Angenommen, jemand würde uns verfolgen. Die Tat der Verfolgung ist gottlos, und Gott hat damit nichts zu tun. Aber ehe uns die Verfolgung erreicht, muss sie an Gott vorübergehen; somit wird die Verfolgung für uns Gottes Wille, und wir ertragen sie um seinetwillen. Gott kann uns bittere Medizin in menschlichen Gefäßen darreichen, die uns zum Guten dient.

Das sieghafte Leben ist ein Leben auf Flügeln. Es steht geschrieben, dass wir auffahren werden auf Flügeln wie Adler. Die Flügel sind Glaube und völlige Hingabe. Kommen Schwierigkeiten, so breiten wir unsere Flügel aus und fliegen über sie hinweg. Weil wir Gott gehören, ist es seine Sache, uns aus den Prüfungen herauszuführen und durch dieselben hindurchzuhelfen. Denn die völlig geweihte Seele vertraut Gott und überlässt Ihm alles weitere. Natürlich ist damit nicht gemeint, dass wir uns nicht selbst helfen sollten. In der Tat, wir könnten wenig Vertrauen haben, wenn wir nicht alles tun, was uns zukommt. Aber was wir nicht verhindern oder vollbringen können, stellen wir getrost dem Herrn anheim.

David sagt, dass der Herr ihn in seinem geheimen Zelt verbirgt, unter seinen Flügeln. Jesus sagt, dass nicht ein Haar von unserm Haupt fallen soll ohne des Vaters Willen (Mt. 10:30). Petrus schreibt, dass wir alle unsere Sorge auf Gott werfen sollen, weil Er für uns sorgt (1.Petr. 5:7). Und Paulus ermahnt uns, um nichts besorgt zu sein, sondern im Gebet und Danksagung unsre Anliegen vor Ihn bringen (Phil. 4:6). Der allergrößte Trost ist: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“ (Röm. 8:28). „Alle Dinge“ meint eben alles. Der Christ, der alles um Jesu willen hingibt, ist sicher, dass Gott hinfort für ihn Sorge tragen und ihn beschützen wird. Er kann nicht erwarten, Schwierigkeiten, Prüfungen oder Versuchungen zu entgehen; aber er wird darin bewahrt. „Großen Frieden haben, die Dein Gesetz lieben; sie werden nicht straucheln“ (Ps. 119:165). Das meint, nichts wird sie zum Fall bringen. Wohl können sie durch die unüberlegten oder auch wohlerwogenen rücksichtslosen Worten oder Taten anderer verletzt und verwundet werden; aber sie werden im Frieden Gottes weiterschweben.

Der Wille Gottes umgibt uns wie eine Mauer, und nichts kann diese Mauer durchdringen und unsre geweihte Seele berühren, wenn Gott es nicht will oder nicht erlaubt.

Das sieghafte Leben ist das reichste und beste Leben. Im Dienen, Geben und Opfern liegt Freude verborgen. Wenn wir um Christi willen verfolgt werden, so ist das große Freude. Im Glauben treten wir an die Aufgaben des Lebens heran. Eine Negerfrau, die ihr ganzes Leben lang zu waschen hatte, war allezeit sehr glücklich. Reiche Frauen wunderten sich über ihren Herzensfrieden, und eine derselben schalt sie mal für ihre Lebensfreude, weil es ihr vorkam, als würde sie sich auf nichts gründen.

– Aber angenommen, Sie würden krank werden, oder angenommen, irgend etwas anderes würde sich zutragen, – sagte die reiche Frau zu ihr.

– O ich nehme nie an! – sagte die arme Frau. – Und das ist es gerade, woran Sie leiden. Sie nehmen an und nehmen an und stellen sich allerlei üble Dinge vor, die da kommen könnten. Der Herr ist mein Hirte, und mir wird nichts mangeln. Darum nehme ich nie an; ich weiß, dass alles gut enden wird.

Sie breitete sozusagen ihre Flügel aus und flog über ihre Schwierigkeiten hinweg.

Das sieghafte Leben ist frei von Hast, Verdruss, ängstlichen Sorgen und bösen Ahnungen. Es ist frei von Bosheit, Arglist Wiedervergeltung. Es ist frei vom bösen Charakter, es sieht die helle Seite der Dinge und vertreibt alle aufsteigenden Wolken. Das geheiligte Leben ist ein Leben des Glaubens und des Gehorsams. Das Vertrauen ist ihm zur Gewohnheit, das Gehorchen zur zweiten Natur geworden. Das sieghafte Leben schaut nicht rückwärts, sondern vorwärts. Es lässt sich durch Fehlschläge der Vergangenheit nicht behindern, sondern schreitet im Glauben voran.

Und dieses sieghafte Leben ist für alle da. Es ist nicht für besonders Begünstigte, sondern gerade für die Schwachen, Beladenen, Armen, Kranken, Geplagten und Verfolgten. Ergreife es durch Weihe und Glauben. Übergib gerade jetzt alles dem Herrn. Lege alles auf seinen Altar. Gehöre Ihm allein. Dann dringe im Glauben in dieses Leben ein, das von nun an jeden Tag, den du im Glauben, Vertrauen und Gehorsam lebst, dein sein wird.