2. Der Übergang über den Jordan

Frage: Welche Gefühle bewegten euch, als ihr geheiligt wurdet? Ich habe von einigen erzählen hören, dass das Feuer des Heiligen Geistes sie mächtig zu durchströmen schien. Andere sprachen von einem tieferen, vollkommeneren Frieden. Manche haben vor Freude gejauchzt, andere vor Freuden geweint. Nun möchte ich wissen, welche Gefühle man eigentlich haben sollte. Könnt ihr mir darüber Aufschluss geben? Und wie kann ich gewiss sein, dass ich dem Herrn geweiht bin? Jeder Prediger, den ich völlige Heiligung predigen hörte, sagte, dass die Weihe eine vollkommene sein müsse; aber woran soll ich erkennen, ob sie vollkommen ist oder nicht? Ich habe mich wieder und wieder Gott geweiht; aber ich habe kein sicheres Gefühl, dass ich alles, wirklich alles Ihm hingegeben habe. Könnte es nicht der Fall sein, dass noch etwas Eigenwille zurückgeblieben ist, von dem ich gar nichts weiß? Bitte, helft mir!

Antwort: Vielleicht wäre es nicht ganz weislich, wenn wir dir genau beschreiben würden, was wir empfanden, als uns der Herr heiligte. Denn du könntest der Gefahr anheimfallen, dir die Erfahrung genau in derselben Weise zu wünschen, wie wir sie bekamen. Denn obwohl die Erfahrung in ihren wesentlichen Zügen immer gleich ist, so hat doch jeder seine eigenen Gefühle und Erlebnisse, wenn er die völlige Heiligung erlangt. Diese Erlebnisse entsprechen den Bedürfnissen und den natürlichen Veranlagungen jedes Einzelnen. In jedem Fall aber sind sie für uns eine Quelle der Glückseligkeit. Das Wichtigste ist, völlig geheiligt zu sein.

Als das Volk Israel unter der Führung Josuas an den Jordan kam, wurde ihnen vom Herrn befohlen, sich zu „heiligen“ und sich zum Übergang über den Jordan bereit zu machen. Dieser Befehl: „Heiligt euch“ deutet auf die vollkommene Weihe, die stattfinden muss, ehe die heiligende Kraft über uns kommen kann. Der Übergang über den Jordan bedeutete für die Israeliten, das Wüstenleben für immer zu verlassen und auf der Kanaanseite ein neues Leben zu beginnen. Um ungehindert in die neuen Verhältnisse eingehen zu können, wurden sie von Gott aufgefordert, sich durch eine gründliche Reinigung und Weihe abzusondern.

Zunächst wollen wir schauen, was „Weihe“ bedeutet, und danach betrachten, was zu einer vollkommenen Weihe, die Gott annehmen kann, gehört.

Eine ganze Anzahl von Worten und Redewendungen werden gebraucht, um das zum Ausdruck zu bringen, was unter Weihe zu verstehen ist, z. B. „sich selbst entsagen“, „Übergabe“, „alles auf den Altar legen“, „sterben“, „den eigenen Willen dem Willen Gottes unterstellen“, „solch eine Herzensstellung einnehmen, damit Christus uns in allem nur seinen Weg führen kann“.

Der Ausdruck „sich selbst entsagen“ bedeutet, dass von nun an deine Seele, dein Leben, deine Interessen, deine Zeit, Talente – dein alles – nicht mehr dir gehört, sondern dem Willen Gottes übergeben ist. Du weißt, wie sich manche Leute einem Lasterleben hingeben; sie kennen keine Grenzen und liefern sich dem Laster völlig aus. Du aber sollst dir selbst entsagen und dich für ein heiliges Leben und den Dienst Gottes hingeben.

Hast du schon einen Töpfer bei der Arbeit gesehen, als er aus einem Klumpen Ton ein Gefäß machte? Er besorgt sich einen Klumpen Ton und legt ihn auf die Scheibe. Während sich die Scheibe dreht und dreht, bildet er aus dem Ton, was er will. Der leblose Ton gibt sich dem Töpfer bedingungslos hin, und der Töpfer formt daraus, was ihm gefällt. Das ist ein gutes Bild für die Entsagung von sich selbst, die du zu machen hast – jedoch mit dem Unterschied, dass du einen Willen und Vernunft besitzest und deine Entsagung von sich selbst deswegen geschieht, weil dein klarer Verstand und dein gesundes Urteil dir sagen, dass dies das Beste ist. Anstatt weiterhin deinen eignen Willen zu tun, unterstellst du dich von nun an dem Willen Gottes; denn das Glücklichste, was es in der Welt gibt, ist das Tun des Willen Gottes.

Vielleicht wirst du gerade hier versucht, dich zurückzuhalten und auf die Stimme zu lauschen, die dir möglicherweise zuflüstert: „Aber was wird aus dir werden, wenn du dir selbst entsagst? Könnte Gott nicht etwas ganz Schweres von dir fordern? Ist es nicht gefährlich, sich so hinzugeben?“

Um dies näher zu erläutern, wollen wir annehmen, du seist die Mutter oder der Vater eines Knaben. Wie alle Knaben hat dir auch der deine mehr oder weniger Mühe bereitet, indem er oft seinen eigenen Willen durchsetzen wollte. Das gab manch harten Willenskampf: sein Wille gegen den deinen. Dir war zu Recht klar, dass du durch deine Lebenserfahrung besser als er zu unterscheiden weißt, was für ihn gut ist. Angenommen, er käme morgen zu dir und würde sagen: „Mutter, von jetzt an will ich alles tun, was du von mir forderst. Ich entsage meinem Willen und gebe mich deinem Willen hin“.

Was würdest du in solchem Fall tun? Würdest du denken: „Oh, das ist jetzt eine gute Gelegenheit, ihm Lasten aufzubürden und ihm das Leben so unerträglich wie möglich zu machen?“ „O nein, wie könnte ich so etwas!“ – würdest du entrüstet sagen, nicht wahr?

Wird nun der große Gott, der die Liebe ist, seinen Kindern, wenn sie Ihm alles hingeben, schwere und bittere Bürden aufladen, nur weil Er die Macht dazu hat? Genauso wie du deinen Knaben, wenn er sich dir ergibt, um so mehr lieben und ihm das Leben soweit wie möglich angenehm gestalten wirst, – sogar wenn darin Schweres vorkommt – so sucht auch Gott die Last zu erleichtern, die seine Ihm geweihten Kinder zu tragen haben. Sich Gott hinzugeben, ist eine Tat von höchster Intelligenz und Weisheit.

„Übergabe“ meint soviel wie Aufgeben des Widerstandes. Gewiss muss sich der Sünder, wenn er sich bekehren will, Gott übergeben; und er übergibt sich Ihm auch. Auch du hast dich Ihm in dieser Weise schon übergeben. Und doch ist in deinem Herzen ein gewisses Eigenleben oder ein Eigenwille vorhanden, der mehr oder weniger vor dem Willen Gottes zurückschreckt, bis du ins Kanaan der völligen Heiligung eingetreten bist. Dieser Widerstand zeigt sich darin, dass du irgendeinen Weg des Herrn, den Er mit dir vorhat, abweist oder ihm entgegenstrebst. Zum Beispiel, du vernimmst einen Ruf zum besonderen Dienst, – im Predigtamt, auf dem Missionsfeld oder in der persönlichen Seelsorge – während du dir einen ganz anderen Lebensplan zurechtgeschmiedet hast und es als höchst unbequem empfindest, den Führungen Gottes nachzugeben.

Die Übergabe des Willens ist ein Teil der Weihe. Es kann keine wahre Seelenruhe geben, solange uns unser Wille nach der einen und Gottes Wille nach der anderen Seite zieht. Wenn Jesus sagt, dass sein Joch sanft und seine Last leicht ist, so bedeutet dies, dass sie nur dann leicht ist, wenn wir mit Ihm, und nicht gegen Ihn ziehen. Wie können zwei miteinander wandeln, wenn sie nicht ein und denselben Weg gehen? So lege deinen Willen nieder oder, besser gesagt, sei tatkräftig, begeistert und freudig bereit, dass Gottes Wille in und mit dir geschehe.

„Alles auf den Altar legen“ ist ein beliebter Ausdruck, den viele Prediger gebrauchen, die eine volle Erlösung und ein Siegesleben verkündigen. Dieser bildliche Ausdruck kommt von den Opfern unter dem Gesetz Mose. Jeder Israelit hatte Opfer darzubringen, das entweder ein Schaf, eine Ziege, ein Lamm, eine Taube oder noch etwas anderes war. Doch immer musste das Opfer vollkommen und untadelig sein. Gott nahm kein gelähmtes, verstümmeltes oder irgendeinen anderen Schaden aufweisendes Opfer an. Es musste das Beste seiner Art sein. Nachdem es dem Priester gebracht und dem Herrn geweiht worden war, wurde es auf den Altar gelegt und vom Feuer verzehrt. Es gehörte dem Herrn. Der Opfernde hatte darüber überhaupt nichts mehr zu bestimmen. So solltest auch du alles auf den Altar Gottes legen: Zeit, Talente, irdischen Besitz, Seele, Leib und Wille. Als Abraham einst ein Opfer brachte, kamen Raubvögel, um es zu stehlen. Abraham aber verscheuchte sie eifrig. Diese Handlung Abrahams ist für uns ein wunderbares Bild. Denn nachdem du alles auf den Altar gelegt hast, wirst auch du das Opfer bewachen müssen. Raubvögel des Eigenwillens, des Stolzes, des Unglaubens und übler Verlangen werden kommen, um dein Opfer zu stehlen.

„Sterben“ ist ein anderer gern gebrauchter Ausdruck mancher Prediger, die ein heiliges Leben lehren – sich selbst zu sterben, allem sterben, um Jesu allein zu gehören! Dies Bild hat eine große Bedeutung. Eine Dichterin beschreibt in einem ihrer Gedichte, wie die Führer und Vertreter der verschiedenen Kirchengemeinschaften den Todesfluss durchkreuzen und währenddessen alle ihre Unterscheidungsmerkmale verlieren. Drüben am andern Ufer sind alle konfessionellen Unterschiede verschwunden. Das ist aber nicht erst nach dem Tod der Fall, sondern geschieht schon bei der völligen Heiligung oder beim Übergang über den Jordan nach Kanaan. Denn in Kanaan finden wir erfreulicherweise keinen Spaltungsstreit mehr; jedermann ist dort beschäftigt, den Willen Gottes zu tun.

Die Weihe wird auch deshalb mit dem Wort „Sterben“ beschrieben, weil bei vielen die Weihe so schmerzlich war, dass sie das Gefühl hatten, als müssten sie Todesschmerzen erleiden. Andere haben das nicht in dem Maße verspürt. Wie immer sich aber die Gefühle auch äußern mögen – dieses Sterben muss stattfinden.

Eine Witwe und ihre Tochter wohnten zusammen. Beide waren fromm. Die Tochter wurde krank, und ihr Zustand verschlimmerte sich mehr und mehr. Schließlich war alle Hoffnung auf Genesung dahin, und Mutter und Tochter fingen an zu beten, dass Gott ihr „Sterbensgnade“ schenken möchte.

Die Bedingung zur Erlangung dieser Gnade besteht in einer vollkommenen Willigkeit zu sterben, einer Hingabe in den Willen Gottes. Als die Kranke diesen Bedingungen nachkam, empfing sie „Sterbensgnade“. Aber es kam anders, als man erwartete. Während die Tochter Sterbensgnade empfangen hatte und auf den Tod wartete, blieb sie am Leben und genas. Aber die Sterbensgnade, wie sie sie bezeichnete, behielt sie noch. Eines Tages sprach sie mit ihrer Mutter davon und sagte: „Mutter, ich glaube mehr und mehr, dass die Sterbensgnade die Gnade ist, die wir zum Leben brauchen“. Und das ist wahr!

Diese Tochter hatte sich auf dem Sterbebett geweiht. Gott hatte das Opfer angenommen, seine Gnade ausgeschüttet und das Mädchen wurde völlig geheiligt. Das war es gerade, was sie zum Leben brauchte. Sie war sich selbst gestorben.

Wie kannst du nun wissen, dass du alles aufgegeben hast und Gott das Opfer angenommen hat? Das mag nun deine Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.

Bedenke zuerst, dass dein Wille dir gehört und du auch deine eigenen Absichten sehr wohl kennst. Nimmst du dir vor, in die Stadt zu gehen und einen Hut oder Mantel zu kaufen, so weißt du doch, dass du diese Absicht hast, nicht wahr? Gewiss! Genauso gewiss kannst du dir auch über deine Weihe für Gott sein.

Du magst so anfangen: „Ich begehre, ganz dem Herrn zu gehören. Ich wünsche, Ihm meinen Willen zu übergeben, und möchte ein Leben zu seiner Ehre führen“. Und da es im Worte Gottes heißt: „Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst“ (Röm. 12:1), so kannst du sicher sein, dass Gott auf diese Übergabe wartet und froh ist, sie annehmen zu können.

Wünsche jedoch nicht nur, geweiht zu sein, sondern fange gleichzeitig an, dich als dem Herrn gehörend zu betrachten, und zwar als beständig, unwiderruflich, für Zeit und Ewigkeit. Manche haben im Ernst und Eifer ihrer Seelen in der feierlichen Stunde ihrer vollständigen und endgültigen Weihe diesen Entschluss in Form eines Vermächtnisses auf Papier niedergeschrieben und beim Unterzeichnen desselben Gott und die Engel zu Zeugen dieser feierlichen Handlung angerufen. Sei es nun auf Papier geschrieben, oder sei es einfach der unveränderliche Herzensentschluss – man muss den Punkt erreichen, wo alles übergeben ist. Es muss dem Herrn ein endgültiges „Ja“ gegeben werden – die Gabe muss auf den Altar gelegt werden. Und von da an hast du dich ganz als dem Herrn gehörend zu betrachten, ungeachtet, was für Gefühle du haben magst. Gleich dem Unterzeichnen eines Vertrages muss diese Handlung als ein abgeschlossenes Vermächtnis gelten. Und ist es dazu gekommen, dass du dich tatsächlich dem Herrn auslieferst, damit Leib, Seele und alles Ihm auf ewig gehöre, dann kannst du das Opfer als ein vollständiges und die Hingabe in den Tod als eine ewige betrachten.

Wenn du versucht sein solltest, zu untersuchen, ob du fühlst, dass du Gott geweiht bist, dann bedenke, dass deine Gefühle nichts mit der Sache zu tun haben. Dein Wille ist hierin entscheidend. So wie dein Wille, so auch du.

Wenn ein völlig Opfer du gebracht

Und es wahrst vor böser Gier,

Wahrlich, Er, der hat des Feuers Macht

Wird’s entzünden auch in dir!

Legst du alles auf den Altar? „Was ist größer: Das Opfer oder der Altar, der das Opfer heiligt?“ (Mt. 23:19). Hast du alles auf den Altar gelegt, so berühren deine Fußsohlen, wie die der Priester zu Josuas Zeit, das Wasser des Jordans. Dann bist du zum Übergang bereit. Gehe gleich weiter und gehe über den Jordan! Betrachte die Sache als erledigt. Dein Herz fühlt eine große Sicherheit, während du alles Gott übergibst. Deine eigene Seele bezeugt dir, dass du nun alles hingegeben hast und Gott das Opfer annimmt.

Was nun? Bitte Gott, deine so Seele zu reinigen, bis Er mit ihrer Reinheit zufrieden ist. Bitte Ihn, alles zu töten, was Ihm missfällt, und die letzten Reste der angeborenen Sünde zu zerstören. Bitte Ihn, das Ebenbild Gottes in deiner Seele wiederherzustellen, selbst einzuziehen und seinen Tempel in Besitz zu nehmen. Bitte den Herrn, dass Er dich mit seinem Heiligen Geist erfülle und der Tröster Wohnung in dir nehme, um ewig in dir zu bleiben. Öffne weit die Tür deines Herzens für den Heiligen Geist. Glaube, dass Gott tut, was Er verheißen hat; glaube, dass Er dich völlig heiligt. Da du nun sein bist, musst du es auch Ihm überlassen, dieses Werk so durchzuführen, wie es Ihm gefällt. Deine Sache ist es, dich Gott hinzugeben und zu glauben. Und wir werden „geheiligt durch den Glauben“ (Apg. 26:18). Unsere Herzen werden „durch den Glauben gereinigt“ (Apg. 15:8-9). Lass die Arme deines Glaubens die Verheißungen Gottes erfassen, und das Werk ist geschehen. O die wunderbare Gnade Gottes!