Das allgemeine Bedürfnis

An einem Dienstagnachmittag im Oktober des Jahres 1821 schloss ein junger Rechtsgelehrter die Tür seines Büros und begab sich auf den Weg zum nahen Wald. Etwas furchtbar Schweres lag auf seinem Herzen. Er wurde von den tiefsten Empfindungen bewegt, die er je in seinem Leben hatte. Als er den Waldesrand erreichte, schlich er im Schutz eines Heckenzaunes dahin, weil er fürchtete, dass ihn jemand sehen würde. Schließlich kam er an einen umgefallenen Baumstamm. Neben diesem kniete er sich hin und versuchte zu beten. Doch er konnte nicht. Die Furcht ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Er schaute bald hier, bald dort hin, ob ihn vielleicht jemand beobachtete. Dann kam ihm plötzlich der Gedanke: „Ich suche Erlösung bei Gott und schäme mich, wenn jemand hört, dass ich mit ihm rede? Ist es nicht ein Vorrecht und eine Ehre, mit Gott reden zu dürfen? Warum sollte ich mich da schämen?“

Sofort war die Furcht gewichen und er konnte beten. Vor zwei Tagen hatte er beschlossen, Gott so lange zu suchen, bis er seiner Erlösung gewiss wäre. Die Bürde, die ihn hierher getrieben hatte, war die Last der Sünde. Er wurde erlöst und bald danach wirkte er als einer der bedeutendsten Evangelisten seiner Zeit.

Das Bedürfnis jenes jungen Rechtsgelehrten ist das allgemeine Bedürfnis. Alle Menschen auf der ganzen Erde empfinden es. Ein jeder weiß aus Erfahrung, was ein Schuldgefühl ist; und Menschen versuchen auf verschiedene Arten, es loszuwerden und eine Sühne oder ein Opfer dafür zu finden.

Als Saulus von Tarsus auf dem Weg nach Damaskus von übernatürlichem Licht zu Boden gezwungen wurde, wusste er, dass er sich vor dem Angesicht des Ewigen befand. In diesem Augenblick sah er die ganze Verkehrtheit seines Lebens so deutlich, wie man ein Licht auf dem Leuchtturm in der Dunkelheit aufleuchten sieht. Und er rief: „Herr, was willst du, dass ich tun soll?“ (Apg. 9:6).

Jedes Jahr kommen Tausende von Menschen zu Gott in Gottesdiensten oder im Gebetskämmerlein und beugen sich unter der Last des Schuldbewusstseins in Reue über ihre Sünden. Tränen fließen und Herzen brechen, wenn Menschen sich ihrer Sünden erinnern, die sie gegeneinander und gegen Gott begingen (Apg. 2:37-38).

Die Regierung der Vereinigten Staaten besitzt einen „Gewissensfonds“. Jedes Jahr fließen diesem Fonds erhebliche Mittel von denen zu, die sich einmal auf unehrliche Weise Geld von der Regierung angeeignet haben. Manche haben Waren ins Land geschmuggelt, die verzollt werden sollten; andere haben die Post betrogen oder durch Vorlegung falscher Ausweise Gelder bezogen, die dem Staat gehörten. Die Last ihrer Sünde wurde unerträglich. Tag für Tag stand ihr Verbrechen bedrohend vor ihnen und bedrückte ihr Herz immer mehr. Sie konnten ihr Gewissen nur dann beruhigen, als sie zurückgaben, was sie unehrlich erworben hatten.

In der Geschichte sind Fälle bekannt, wo Mörder von ihrem Gewissen so geplagt wurden, dass sie sich freiwillig in die Hände der Obrigkeit auslieferten. Tod oder Gefängnis war für sie erträglicher als die schreckliche Geißel eines anklagenden Gewissens.

Woran liegt das? Was veranlasst verlorene Söhne zum Vater zurückzukehren (Lk. 15:21)? Was zwang den König David auszurufen: „Ich habe gesündigt!“ (Ps. 51)? Was veranlasste Judas, einen Verräter von Gott und Menschen, zu sagen: „Ich habe gesündigt, dass ich unschuldiges Blut verraten habe.“ (Mt. 27:4)? Und warum folgen ihm heute noch so viele, indem sie ihrem Leben ein Ende machen? Warum fallen fromme Menschen auf ihre Knie, um im mächtigen Gebet zu ringen wie einst Daniel für das abgefallene und gefangene Israel (Dan. 9:4-5)? Warum durchwachen so viele Mütter ganze Nächte im Gebet für Söhne und Töchter? Wegen der Sünde. Das Gewissen, das Gott dem Menschen gab, lässt ihn seine Schuld so schwer fühlen.

Dem Herrn gehört die Welt; alle Menschen gehören ihm, jeder Mann, jede Frau und jedes Kind. Er hat sie alle geschaffen. Der Mensch ist ein Geschöpf, das Gott selbst mit seiner Hand schuf (1.Mose l:26; 2:7; Kol. l:16). Und als der Mensch „eine lebendige Seele wurde“, wurde er für seine Handlungen Gott gegenüber verantwortlich. Er wurde ein moralisch verantwortliches Wesen.

Solltest du, lieber Leser, über die Verantwortung des Menschen Gott gegenüber Zweifel haben, so lass mich dir einige Schriftstellen anführen. Wenn du jedoch auch die Echtheit und Glaubwürdigkeit der Bibel in Frage stellst, dann wäre es allerdings unnütze, den Gegenstand weiter zu besprechen. Denn die Bibel ist das einzige Buch, das den Weg der Erlösung zeigt. Wenn du ihr nicht glaubst, dann kannst du nicht erlöst werden, denn einen anderen Weg der Erlösung gibt es nicht.

In Prediger 12:14 lesen wir: „Gott wird alle Werke vor Gericht bringen, alles, was verborgen ist, es sei gut oder böse“. Saul von Tarsus, der ein Verfolger der ersten Christen war, wurde ein Apostel Jesu Christi, der sagte: „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit ein jeglicher empfange, nachdem er gehandelt im Leibe, es sei gut oder böse“ (2.Kor. 5:10).

Auch du wirst einst dort stehen. Auch ich werde dort stehen. Unsere Väter und Mütter werden auch dort stehen. Die Verbrecher, Räuber, Lügner, Ehebrecher, Diebe, Trinker, die Stolzen und Hochmütigen, die Schmuggler und ihre Schutzherren, wer sie auch sein mögen – alle werden dort sein. Jener Kriegsknecht, der dem Herrn Jesus in die Seite stach, wird auch dort sein. Jene Verfolger, die den treuen Johannes Huß zum Tode verurteilten, und auch die, die das Holz zum Scheiterhaufen zusammentrugen; der grausame Herzog Alba, der Tausende in den Niederlanden hinmordete; Philipp von Spanien, der das Todesurteil eines ganzen Volkes unterzeichnete – keiner von ihnen wird diesem Gerichtstag entgehen. Der reiche Mann, der sein Geld so sehr liebte, der Selbstgerechte mit seiner Unabhängigkeit, der Moralische, der es abwies, Christus anzunehmen – alle werden einst dort stehen.

Die Afrikaner von Uganda, die Bauern von Transval, die Indianer von Brasilien, die Kopfjäger von Borneo – Menschen, die nie etwas von Jesus hörten, denen aber das Moralgesetz Gottes in ihre Herzen und Gewissen geschrieben war und die auf ihre heidnische Weise Frieden und Freiheit von der Schuld ihrer Sünden zu finden suchten – sie alle werden dort sein.

Dann wird auch jeder diese Verantwortung deutlich empfinden, ungeachtet dessen, ob er sie vorher strikt verleugnete oder nicht. Alle Sitten, Gesetze und Regeln der menschlichen Gesellschaft gründen auf der Tatsache, dass wir Menschen verantwortliche Wesen sind. Und wenn wir dereinst vor Christus stehen, werden wir unsere Sünden erkennen, sofern diese nicht durch das Blut des Lammes getilgt wurden. Denn „den Menschen ist bestimmt einmal zu sterben, danach aber das Gericht“ (Hebr. 9:27; Elbf. Ü.).

Wie kommt es, dass Menschen unter ihrer Sündenlast zittern und sich fürchten? – Wegen dem Bewusstsein, dass Gott ihre Sünden einst richten wird. Wenn es keinen Gott gäbe, der uns alle richten wird, dann gäbe es auch keine Schuldgefühle – genauso wie ein Pferd keine Schuldgefühle hat, wenn es in ein Kornfeld geht, um zu weiden. Diese schreckliche Schuldlast wird uns entsetzlich drücken, wenn wir einst vor Christus stehen werden. Niemand wird eine Entschuldigung vorbringen können, denn „Christus ist ... zur bestimmten Zeit für Gottlose gestorben“ und „Gott erweist seine Liebe gegen uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren“ (Röm. 5:6.8).

Kurz gesagt: Der Mensch ist ein verlorener Sünder und dem Gericht unterworfen. Aber Christus ist für die Erlösung der Sünder gestorben. Darum ist für einen zitternden, schuldigen, vom Gewissen geplagten Menschen keine Kunde so wunderbar und so groß, wie die Kunde von der Erlösung durch Christus.