7. In den Händen des Riesen Ankläger

Frage: Ich habe solche schreckliche Kämpfe. Ich kämpfe und kämpfe, und es scheint gar kein Ende zu nehmen. Sicherlich bin ich nicht geheiligt. Wäre ich es, so würde ich doch nicht so versucht werden. Was soll ich nur machen? Es ist doch wirklich mein höchster Wunsch, ganz dem Herrn zu gehören. Aber kann ich wirklich ganz Ihm gehören, wenn mir so viele Gedanken aller Art durch das Gemüt gehen? Könnte ich vor diesen Kämpfen Ruhe finden, so würde ich wahrscheinlich das Empfinden haben, dass alles gut sei. Aber bei diesem ständigen Kampf fürchte ich, dass etwas verkehrt ist. Ist Heiligung nicht ein Gnadenstand, worin man nicht so viel versucht und geprüft wird, wenigstens nicht mit solchen Dingen, mit denen ich jetzt versucht und geprüft werde? Die schrecklichsten Dinge, von denen ich je gehört habe, drängen sich wieder und wieder meinem Gemüt auf. Könnt Ihr mir irgendwie helfen?

Antwort: Angenommen, wir würden einen Bürger Kanaans besuchen und ihn fragen, ob er irgendwelche Kämpfe mit den Riesen des Landes hatte. Ohne Zweifel würde uns das Glänzen seiner Augen und seine Gesichtszüge bald verraten, dass er eifrig am Nachdenken ist, und wir würden voller Erwartung aufmerken. Lass uns von ihm hören.

– Tatsächlich, oft, sehr oft habe ich mit den Riesen Kanaans gekämpft. Viele Leute glauben, Kanaan sei ein Ruhestätte für die Kämpfer, während es in Wirklichkeit das große Kampfgebiet der Welt ist. Ich will von einem Kampf erzählen, den ich mit dem Riesen Ankläger auszufechten hatte (Mt. 4:1-11).

Schaut einmal gerade über den Gipfel dieses Olivenbaumes nach Osten zum Toten Meer hin. Seht ihr dieses dunkle Tal tief unten zwischen jenen beiden Gebirgszügen? Das ist das Leidenstal. In diesem Tal hatte ich einen der größten Kämpfe meines Lebens zu bestehen.

Das war noch ehe ich mein Heim besaß. Ich hatte meinen Brüdern geholfen, die Einwohner des Landes zu bekämpfen, und warf zu dieser Zeit einen Blick über das Land. Ich betrat dieses Tal. Die Sonne war im Westen untergegangen, ich wurde trübsinnig und ahnte nichts Gutes. Da auf einmal erschien vor mir die große Gestalt eines der schlimmsten Riesen des ganzen Landes Kanaan, der Riese Ankläger. Ich konnte nicht zurücklaufen. Die Felsen waren auf beiden Seiten zu steil, um zu entfliehen, und der mächtige alte Riese versperrte mir den Weg nach vorn.

– Ich widerstehe dir im Namen des Herrn, – sagte ich zu ihm.

– Ah, der Herr! Ha, ha! Der Herr kümmert sich nicht um dich, – höhnte er. – Stiehl das Schaf dort drüben, keiner wird dich sehen. Sieht dich jemand damit, so kannst du ihm eine Lüge erzählen.

Ich war über diese Eingebung ganz entsetzt. Nie zuvor hatte ich derartige böse Eingebungen erlebt, und ich fühlte mich in meinem Herzen ganz betroffen, dass mir überhaupt so ein Gedanke kommen konnte. Der alte Riese schritt näher heran, und ich zitterte.

– Fluche und schwöre, – brüllte er mich an und schaute mir finster ins Gesicht. Aus seinem groben Mund kam ein ganzer Schwall von Lästerungen, wie ich noch nie hörte. Die Flüche hatten eine besondere Wirkung und blieben schier in meinem Gemüte haften, bis es mir schien, als kämen sie aus meinem Innern.

Ich fiel auf meine Knie, als mir der alte Riese mit seiner Keule einen Schlag auf den Kopf versetzte.

– Du hast geflucht, – schrie er mich an. – Sieh, dein Gemüt ist voll böser Worte. Und du wolltest stehlen; denn du hast die Eingebung, das Schaf zu stehlen, in deinem Herzen verdeckt. Du bist ein Sünder, ja sicher! Wahre Christen können nie solche Gedanken haben, wie du sie hast. – Und wieder schlug er mich mit seiner Keule.

Ich war zu schwach, um mich zu wehren. Schließlich hatte ich solche Gefühle, als hätte ich wirklich gesündigt.

Der alte Riese fiel dann über mich her und schlug mich, und nachdem er mich halb tot schlug und mich höhnisch auslachte, rief er mir noch mit einer Donnerstimme ins Ohr, dass er mich aus Kanaan vertreiben werde, und ging davon, als habe er noch etwas vor.

So lag ich dort eine lange Zeit und dachte über meine Lage nach. Kein Engel erschien, und Gott schien mich vergessen zu haben. Mein Gemüt war durch diesen Kampf ganz verwirrt worden.

Während ich noch dalag, kam der alte Riese wieder. Ich fürchtete mich schrecklich, denn es schien, dass ich keine Waffe hätte, vor der er sich fürchten könnte. Und hätte ich sie gehabt, so wusste ich doch nicht, wie ich sie gebrauchen sollte. Ich versuchte, ihm zu widerstehen, und war innerlich entrüstet und unwillig, dass er mich so behandelte; aber wie ich ihn überwinden sollte, wusste ich nicht. Ich betete: „O Gott, hilf mir, hilf mir!“ Aber keine Stimme antwortete, und keine Hilfe kam. Der Riese schritt dicht an mich heran, und, ohne ein Wort zu sagen, schlug er mich wieder mit seiner Keule. Der Schlag schien mich direkt ins Herz getroffen zu haben, und ein Gefühl größter Entmutigung und Hilflosigkeit kam über mich. Ich stöhnte und seufzte in vollkommener Verwirrung und Bestürzung.

– Sieh, wie entmutigt du bist! Du bist in Kanaan nicht glücklich, so wie andere. Sicherlich ist etwas verkehrt. Die Leute in Kanaan sollten keine solche Entmutigungen haben, wie du sie hast.

Dann kamen mir aus irgendeinem Grunde (es mag sein, dass der Riese diese Dinge unbemerkt meinem Gemüt einflößte) die verschiedenartigsten schlimmen Gedanken und gemeine Worte in den Sinn, unreine Bilder tauchten vor meinem Geiste auf, und ein Gefühl, dass nun alles verloren sei, schien sich tief in meine Seele einzugraben. Dort lag ich, allein, vergessen, während sich die turmhohe Gestalt des Riesen über mir stand, um mich jeden Augenblick in die äußerste Hilflosigkeit zurückzuschlagen. Schließlich versuchte ich aufzustehen; aber wieder sauste die furchtbare Keule nieder. Noch einmal raffte ich meine Kraft zusammen und stellte mich auf die Knie, aber ein schrecklicher Schlag direkt ins Herz warf mich wieder zu Boden.

– Du hast gesündigt, – zischte er, – du kannst nicht in Kanaan bleiben. Gott hat dich aufgegeben. Sieh, er hat dich verworfen. Er liebt dich nicht mehr. Stirb, und alles wird ein Ende haben. Du bist so wie so ein Sünder; da kannst du gleich etwas Verzweifeltes tun, und dann ist alles vorbei.

Ich war so verwirrt, dass ich kaum wusste, was ich tun sollte. Der Riese versetzte mir noch einen Schlag, und dann ließ er mir Zeit, meine Wunden zu befühlen und zu verbinden.

Als ich nun merkte, dass ich allein war, versuchte ich, die Gedanken zu sammeln und meine Lage einzuschätzen. Aber mein Geist war so verwirrt, dass ich in ein desto größeres Durcheinander geriet, je mehr ich mir die Sache zu überlegen versuchte.

Und dann sah ich zu meiner Bestürzung den Riesen wieder kommen. Ich fühlte schon, dass er mich wieder einmal schlagen und verwunden werde. Ich machte einen schwachen Versuch des Widerstands, aber es schien nichts zu nützen. Er setzte seine Schläge fort, und so lag ich äußerst verwirrt da. Dasselbe wiederholte sich viele Tage nacheinander.

Doch eines Tages wurde meine Aufmerksamkeit auf den Schild des Glaubens gelenkt (Eph. 6:16), mit dem mich der Herr ausgerüstet hatte. Ich hatte ihn kaum gebraucht, und er lag zu meinen Füßen, und mein Schwert des Geistes hing unbenutzt an meiner Seite. Warum ich es nicht gebraucht hatte, war für mich rätselhaft. Kein Riese kann vor ihm bestehen. So entschloss ich mich, diese heiligen Waffen zu gebrauchen, wenn der Riese Ankläger wieder käme, um mich zu schlagen.

Es dauerte auch nicht lange, so kam der Riese wieder. Zuversichtlich schritt er daher und meinte natürlich, mit mir schnell fertig zu werden. Schon fing er wieder an, über mein Elend höhnisch zu lachen. Ich aber stieß keinen Schrei der Verzweiflung vor ihm aus, zitterte auch keineswegs; denn nun wusste ich, dass ich meine Waffen nur zu gebrauchen habe. Als der Riese nahe genug herangekommen war, plärrte er wieder heraus:

– Du hast gesündigt, deine Gedanken haben sich mit unrechten Dingen gefasst. Du hast gezweifelt, du musst von Neuem beginnen, du bist verloren!

– Das ist nicht wahr, – antwortete ich, – ich bin ein rechtmäßiger Bürger Kanaans und habe Anspruch auf ein Heim in diesem Land; – und damit hielt ich den Schild des Glaubens vor mich hin, schwang das Schwert (Eph. 6:17) und schlug mit meiner ganzen Kraft nach ihm. Er wich zurück, raffte sich aber unverzüglich wieder auf. Noch glaubte er, dass ich nachgeben müsse; so fing er wieder an, mir die Verkehrtheiten und Sünden vorzuhalten, deren er mich anklagte.

– Ich bin kein Abtrünniger, – erklärte ich ihm mit Nachdruck, – und diese hässlichen Dinge, die mir in den Sinn kamen, sind von dir, du alter Riese Ankläger, – fügte ich noch hinzu. Dann schlug ich wieder mit aller Kraft nach ihm. Dabei gab er ein wenig nach, und ich merkte es. Das ermutigte mich gewaltig. Dann ließ ich Schlag auf Schlag, so schnell ich nur konnte, auf ihn niederfallen. Bald fing er an zu laufen. Indem ich all meine Kraft zusammenraffte, rannte ich hinter ihm her und versetzte ihm Schlag auf Schlag, bis er in eine große Vertiefung sprang und verschwand. Dann fiel ich auf meine Knie und pries den Herrn, den allmächtigen Gott, der mir geholfen hatte, einen so großen Sieg zu erringen.

Ich will euch auch sagen, mit wem ich noch alles gefochten habe: Mit dem Riesen Versucher, dem Riesen Entmutiger, dem Riesen Habsucht, dem Riesen Lügner, dem Riesen Böse-Lust, dem Riesen Stolz, dem Riesen Zweifel, dem Riesen Furcht, dem Riesen Weltliebe und vielen anderen. Dank sei Gott für die Waffenrüstung: den Schild und das Schwert, den Panzer und den Gürtel, die uns über sie Macht geben. Seit einiger Zeit habe ich keinen Riesen mehr gesehen. Aber wenn einer von ihnen wieder ein Gefecht versuchen sollte, so bin ich mit Gottes Hilfe bereit.

 

Heiligung befreit uns nicht von Versuchungen; aber sie verleiht uns größere Sicherheit, den Sieg über sie zu gewinnen. Es ist sogar wahrscheinlich, dass, nachdem du geheiligt bist, du mehr Kämpfe und mehr Zusammenstöße mit den Mächten der Finsternis haben wirst, dass mehr Versuchungen über dich kommen als vorher. Die geistlichen Feinde kämpfen keineswegs nur mit den Gerechtfertigten; eine große Schar derselben begegnet uns auch im geistlichen Kanaan.

Viele, die in ihrer Erfahrung der Heiligung noch jung waren, wurden von furchtbaren inneren Kämpfen gerade so überwältigt, wie es dir ergangen ist. Entweder wird das Gemüt fortwährend mit bösen Gedanken belästigt, oder böse Worte kommen so oft in unseren Sinn, bis es uns schließlich scheint, dass sie von innen kommen. Oder vielleicht dringt eine Eingebung, dass wir eine sündige Tat begehen sollen, fortwährend in unser Gemüt. Auch mag es sein, dass man gewisse Gefühle bekommt, von denen man glaubt, dass sie sich mit der Erfahrung der Heiligung nicht vereinbaren lassen. Vielleicht kreist eine teuflische Versuchung immer um uns herum. Alle diese Dinge sendet der Feind mit einem bestimmten Zweck aus, nämlich um unsere Seele zu überwinden.

Es ist eine Lieblingsmethode des Satans, unserm Gemüt eine Sünde oder irgendetwas Schlechtes aufzudrängen und uns dann anzuklagen oder dieser bösen Sache schuldig zu sprechen. Es ist so, wenn ein Dieb sich plötzlich umwendet und den Eigentümer des gestohlenen Guts des Diebstahls beschuldigt. Satan mag dein Gemüt mit schlechten Dingen erfüllen und dann versuchen, dich zu beschuldigen, dass diese Gedanken von dir kommen. Sein Ziel ist es, dich so zu verwirren, dass du den Glauben aufgibst. Und dann hat er leichtes Spiel mit dir.

Kämpfe weiter! Niemand kann ohne Kampf stark werden. Der Kampf bringt dir Gewinn, weil du darin die geistlichen Waffen benutzen musst. Wenn dein Glaube angegriffen wird, so lerne den Schild des Glaubens zu gebrauchen. Beim nächsten Angriff geht du schon vertrauter damit um. Dasselbe gilt vom Gebrauch des Geistesschwertes, welches das Wort Gottes ist. Diese harten Kämpfe, die dir schwerer erscheinen, als dass du sie zu bestehen vermagst, bringen nur das zur Entfaltung, was aus dir einen starken, geübten Streiter Gottes macht.

Außerdem sind diese mächtige geistliche Kämpfe ein Beweis deiner Fähigkeit zu widerstehen, sonst würdest du sie nicht haben (1.Kor. 10:13). Sie sind ein Beweis deiner Treue. Darum sehe in ihnen einen außerordentlichen Beweis deiner Stärke und des Vertrauens Gottes zu dir, anstatt sie zu fürchten oder darüber beunruhigt zu sein. Darum, liebe Seele, sei in dieser Hinsicht recht ermutigt; freue dich, dass Gott dich würdig achtet, für Ihn zu streiten, und dass Er dich des Sieges fähig hält. Siehst du die Sache in diesem Licht, so wird es dir nur eine Quelle der Ermutigung sein können. Darum lass die Kämpfe kommen, sie werden dir nur zum Nutzen sein (2.Tim. 2:3; 1.Petr. 1:7).