Das Gebet

Das siebte und letzte Stück der Waffenrüstung Gottes, das Gebet, gehört zu den bedeutungsvollsten. Wir können sagen, dass wir die Waffenrüstung ohne Gebet gar nicht anziehen und gebrauchen können. Und wollten wir es versuchen, so würden wir bald merken, dass wir gegenüber dem Feind nicht bestehen können. So zeigt uns besonders das siebte Stück wieder klar, dass die Waffenrüstung ein Ganzes ist und dass jedes einzelne Stück die übrigen Stücke voraussetzt. Und dass die Wahrheit des Evangeliums überhaupt ein Ganzes ist. Wir können kein Stück davon preisgeben, ohne unsere ganze Stellung in der Wahrheit zu schädigen. Behauptet der Teufel immer wieder das Gegenteil, sagt er uns: „Verteidigt doch die Jungfrauengeburt Jesu nicht so hartnäckig“, so erweist er sich eben als der „Lügner von Anfang.“

Das Gebet ist der „Heiligen Kleinod“, es ist ihre Großmacht. Es ist der tiefste Ausdruck ihrer Gemeinschaft mit Gott durch Christus, denn Christus allein ist der Weg zum Vater. Durch sein Blut allein haben wir Zugang zum Gnadenthron. Will der Teufel einen Menschen ruinieren, so sucht er ihn gebetslos zu machen. Ein Mensch, der nicht betet, mag noch so schöne Grundsätze haben, er ist doch ferne von Gott und hat keine Macht der Sünde und dem Teufel gegenüber. Ein gebetsloser Mensch hat auch keine Freude am Wort Gottes. Darum fehlt ihm das Licht zu einem Gott wohlgefälligen Wandel. Es fehlt ihm die Erkenntnis der ihn täglich und stündlich umgebenden Gefahren. Eben deshalb fehlt ihm die Bewahrung gegenüber der List und Macht des Satans. Seine Augen sind verblendet. Wenn man bedenkt, wie viele gebetslose Menschen wir haben, so wundert man sich nicht über die Menge derer, die eine Beute von allerlei Sünde und Laster werden. Ein gebetsloser Mensch steht ohne Gott da und wird unfehlbar eine Beute des Feindes werden, der eine so, der andere anders. Deshalb ist das Gebet das verbindende und vollendende Stück der Waffenrüstung Gottes.

Die ganze Heilige Schrift ist voll von Gebeten der Heiligen. Alle Gottesmenschen, im Alten wie im Neuen Bund waren Beter und sind es heute noch. Die Psalmen sind und bleiben ein Gebetsbüchlein des Volkes Gottes. Alle Siege des Reiches Gottes werden mit Gebet erfochten. Das Wort in 2Mo 17,11 ist für die streitende Gemeinde des Herrn zu allen Zeiten wichtig: „Und es geschah, solange Mose seine Hand aufhob, hatte Israel die Oberhand; wenn er aber seine Hand sinken ließ, hatte Amalek die Oberhand.“ Als einst das mächtige Heer der Assyrer das schwache Jerusalem belagerte und in seinem Übermut dem lebendigen Gott Hohn sprach, da betete der König Hiskia. Und auf sein Gebet hin schlug Gott in einer Nacht 185.000 Mann im Lager der Assyrer, und Jerusalem war gerettet (2Kön 19,35).

Als der Heiland seine zwölf Jünger wählen wollte, die aller Welt sein Evangelium verkündigen sollten, da blieb er vorher über Nacht im Gebet zu Gott (Lk 6,12–13). Unmittelbar vor Jesu letztem Leidens- und Todesgang lag er im Gebet vor dem Vater in Gethsemane. Betend hing er am Kreuz. Mit Gebet und Flehen warteten die Jünger auf Pfingsten (Apg 1,14). Mit gemeinsamem Gebet beantwortete die erste Gemeinde in Jerusalem den Hass der Obersten des Volkes und war stark im Herrn (Apg 4,23 ff.). Betend hauchte der erste Märtyrer Stephanus seinen Geist aus. Mit Fasten und Beten sandte die Gemeinde in Antiochien Barnabas und Saulus aus. Kurz, die ganze Gemeinde Gottes ist eine Betgemeinde, und sie folgt darin ihrem Herrn, der im Stand seiner Niedrigkeit immer wieder eine Nacht im Gebet verharrte.

Darum werden wir vom Herrn und seinen Aposteln immer wieder zum Gebet ermahnt. Das ist auch nötig, denn das Fleisch, die Welt und der Teufel wollen uns immer wieder vom Gebet ablenken, um uns zu schwächen, damit wir ohne Gott dastehen sollen. Jede Untreue, jede Befleckung, alle Trägheit schwächt unseren Zug zum Gnadenthron. Besonders wichtig sind die Ermahnungen des Herrn und der Apostel zum anhaltenden Gebet, zum Gebet ohne Unterlass, zum Beten „in allen Dingen“ (Lk 18,1; Röm 12,12; Kol 4,2; 1Thess 5,17; Phil 4,6; Eph 6,18). Diese Stellen zeigen uns, dass wir allezeit und in allen Dingen der göttlichen Bewahrung, des Segens, der Kraft und Stärke Gottes bedürfen und dass wir ohne göttliche Hilfe und göttlichen Beistand gar nicht auskommen. Dieses Allezeitbeten, das Anhalten im Gebet, das Kommen zu Gott in allen Dingen setzt aber voraus, dass wir uns freimachen lassen von allem Selbstvertrauen oder von allem Vertrauen auf eigene Kraft. Wir werden das Angesicht Gottes umso mehr suchen, je mehr wir Gottes bedürftig geworden sind und je mehr wir unser Unvermögen und die Macht der Sünde und des Teufels erkannt haben.

So stellt diese Aufforderung, allezeit zu beten und in allen Dingen vor Gott zu kommen, eine der tiefsten Forderungen dar, die Gottes Wort überhaupt an die Kinder Gottes stellt. Sie schließt daher auch die großen Segnungen in sich, die uns verheißen sind. Stets, zu aller Zeit zu beten, in allen Dingen vor Gott zu kommen, heißt nichts anderes, als täglich mit Gott dazustehen, ein Leben mit Gott zu führen, in allen Dingen ihm zu vertrauen, beständig seine Bewahrung in Anspruch zu nehmen, sich immer wieder in seine Macht und seine Gnade einzuhüllen. In solcher Stellung steht man wahrhaftig in der Waffenrüstung Gottes da. Der Feind trifft uns nicht mehr allein an, er hat es nicht nur mit uns zu tun, sondern mit Gott dem Herrn selbst. So wird auch das Wort in 2Mo 14,14 sonnenklar: „Der Herr wird für euch kämpfen, und ihr sollt still sein!“ Dieses Stück der Waffenrüstung Gottes ist eines der größten Privilegien der streitenden Gemeinde. O möchten wir allezeit treulich davon Gebrauch machen! Wenn man Kinder Gottes fragt, in welchem Stück sie am meisten versäumt haben, so werden viele antworten: „Im anhaltenden Gebet!“ Wie viele Niederlagen, wie viele Oberflächlichkeit gäbe es nicht, wenn Jesu Ermahnung, dass man allezeit beten und nicht müde werden soll, Praxis wäre.

Der Apostel redet in Vers 18 von Bitten und Flehen im Geist. Alle rein formellen Gebete, alles geistloses Lippenwerk gehört nicht zur Waffenrüstung Gottes, es dringt nicht zum Herzen Gottes. Nur das vom Heiligen Geist gewirkte Gebet, das von Herzen geht und Gebet des Glaubens ist, hat Verheißung und ist eine Macht gegenüber aller Macht der Finsternis. Das Gebet des Glaubens, das Gebet im Geist hat es immer mit dem Willen Gottes zu tun. Ein Gebet, bei dem man nicht in erster Linie nach dem Willen Gottes fragt, mag als ein Glaubensgebet erscheinen, ist aber oft nur ein Ausdruck menschlicher Energie, die etwas bei Gott erobern will, das er nicht geben will, weil es nicht nach seinem Willen ist. Gibt Gott es in einzelnen Fällen doch, so wird das Eroberte zur Zuchtrute, die viel Schmerzen verursacht. Sie kann aber unter Gottes barmherziger Leitung zum Segen und zur Schule in der Geduld werden.

Das Gebet im Geist, das immer Gebet des Glaubens ist, umschließt ein großes Gebiet, in dem Irdisches und Himmlisches Platz hat. Es hat zum Ziel, dass Gottes Wille im Himmel und auf Erden geschehe. Wo dieser Wille geschieht, da ist Gottes Macht, da muss der Feind weichen. Überall, wo eine Betgemeinde ist, ist eine Offenbarungsstätte der Macht Gottes. Die Waffenrüstung Gottes anzuziehen, heißt die Kraft Gottes anzuziehen; und wo Gottes Kraft ist, da ist Sieg.

Mit der Aufforderung, in allen Anliegen stets zu beten, mit Bitten und Flehen im Geist, verbindet der Apostel die Ermahnung zur Fürbitte für alle Heiligen und auch für ihn zum freudigen Auftun seines Mundes. In unserem ganzen Abschnitt handelt es sich um den Kampf gegen die listigen Kunstgriffe des Teufels, gegen die Herrschaften und Gewalten, gegen die weltbeherrschenden Mächte der Finsternis, gegen die geistigen Mächte der Bosheit in den himmlischen Regionen. Dieser Kampf ist nicht nur Sache der einzelnen Gläubigen, sondern der ganzen Gemeinde Gottes, zusammen mit ihrem Haupt Christus. Nicht dem Einzelnen, sondern der Gemeinde gibt der Herr in Mt 16,18 die Verheißung, dass die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen sollen. So leitet der Herr und seine Apostel die Gemeinde nicht an zu selbstsüchtigem Gebet, bei dem der Beter nur an sich denkt. Solches Gebet kennt das Neue Testament nicht. Schon das Vaterunser beweist für alle Zeiten, dass die Gebete der Jünger Jesu Reichsgebete sein sollen, also Fürbitte einschließen. Dasselbe finden wir im hohepriesterlichen Gebet in Joh 17. Damit stimmen auch die Apostel überein. Beter, die die Fürbitte vergessen, sind armselige Beter, sie haben nicht den Geist Jesu.

Die Art der Aufforderung des Apostels zur Fürbitte zeigt uns, wie völlig er im Geist Jesu steht, wie Jesu und seiner Gemeinde Sache ganz seine Sache ist. Er sagt: „… und wacht zu diesem Zweck in aller Ausdauer und Fürbitte für alle Heiligen, auch für mich “ Die Worte „und wacht zu diesem Zweck“ haben eine tiefe Bedeutung. Er will damit sagen: „Habt ein Herz für alle Heiligen, merkt auf ihre Bedürfnisse, lasst euch ihr Wohl und Wehe zu Herzen gehen und bringet alles in eurer Fürbitte vor Gott“. Das ist heilige, zarte Liebe, heilige Solidarität der Kinder Gottes und heilige Gemeinsamkeit. Der Apostel ermahnt die Epheser nicht nur, ab und zu solche Gesinnung zu zeigen, sondern er sagt: „Wacht zu diesem Zweck in aller Ausdauer und Fürbitte für alle Heiligen, auch für mich “. Daraus sehen wir, dass solche Fürbitte anhaltende Übung bei uns sein soll. Im Blick auf die heutige vom Unglauben und vom Abfall bedrängte Gemeinde Gottes wollen wir uns diese Ermahnung recht zu Herzen nehmen und wollen den Herrn bitten, dass er auch unsere Herzen erfülle mit dem Geist heiliger, zarter Fürbitte. Dieser Geist erfüllt für Jesu Reichssache eine anhaltende Wächteraufgabe. Solche Fürbitte, verbunden mit der hohepriesterlichen Fürbitte Jesu, ist eine Macht, vor der der Feind nicht bestehen kann. Sie ist der heilige Rückhalt, Trost und Stärkung der einzelnen Seele in ihren Kämpfen und Nöten. Sie belebt unsere Hoffnung auf das Kommen des Herrn mit seiner endgültigen Errettung. So gehört auch die Fürbitte wesentlich und im tiefsten und weitesten Sinn des Wortes zur Waffenrüstung Gottes. Und wir können sagen: Gottes Volk ist ein Volk in Waffen und sein Feldherr ist der Sieger über Sünde, Tod, Teufel und Hölle. Das muss uns ermuntern, immer mehr eine betende Gemeinde zu werden.

Der Apostel bittet auch um spezielle Fürbitte, damit er das Geheimnis des Evangeliums mit freudigem Auftun seines Mundes kundmachen möge, dessen Bote in Ketten er war. Er betrachtete also die anhaltende Fürbitte als eine wesentliche Hilfe für sein Zeugnis und für den Dienst des Herrn, wie er ja auch in Röm 15,16 seinen Dienst am Evangelium einen priesterlichen Dienst nennt. Das war das Geheimnis seines großen Erfolgs, der reichen Siegesbeute, die der Herrn ihm schenkte. O wie ganz anders würde es mit der Frucht der Predigt unserer Tage stehen, wenn jeder Prediger ein Beter wäre und wenn jeder Prediger einen Rückhalt von Betern hätte! Da ist ein großer Mangel. Man sammelt alle möglichen Vereine – doch wie viele Gebetsvereine sammelt man?

Es geht jetzt alles ins Große, doch es fehlt oft an Tiefe und darum an der Siegeskraft. Gottes Volk muss noch viel mehr ein priesterliches Volk werden. Der betenden Gemeinde gehört der Sieg.

Und nun, mein lieber Leser, wozu soll dir und mir dieses bescheidene Büchlein über die „Waffenrüstung Gottes“ dienen? Ich denke, es wird seinen Zweck nicht erreichen, wenn es nur einmal gelesen wird. Wir wollen uns mit allen lieben Lesern des Büchleins vor dem Angesicht Gottes verbinden, hinfort jeden Morgen beim Aufwachen und Ankleiden die ganze Waffenrüstung Gottes anzuziehen, mit Gebet und Flehen. Dann werden wir unaussprechlich viel Segen haben und einen Streiterbund bilden, dessen priesterliche Hände sich mit den hohepriesterlichen Händen Jesu verbinden, zu unaussprechlichem Segen für viele. Reiche mir im Geist deine Hand zu diesem Bund und lass uns den Herrn gemeinsam bitten, er möge dazu sein Amen sprechen.