Der gegenwärtige Nutzen der Frömmigkeit

Viele hegen die irrige Ansicht, dass, wenn sie allen Ernstes an die Erlangung ihres Seelenheils denken würden, sie ihr irdisches Glück opfern müssten. Und dies gehört zu den Gründen, die sie anführen, um ihr Zögern zu entschuldigen. Sie geben zu, dass das Heil sie im Himmel in alle Ewigkeit beglücken wird. Aber sie zweifeln daran, dass es sie auch schon auf Erden glücklich machen kann. Sie halten es für eine Sache von großer Wichtigkeit, wenn es zum Sterben geht, sehen aber nicht ein, dass sie schon in diesem Leben einen besonderen Nutzen daraus ziehen können. Sie betrachten es eher als eine Notwendigkeit und nicht als ein Vorrecht. Und auch darum schieben sie die Erlangung des Heils so lange auf, bis die Notwendigkeit in ihren Augen so dringend wird, dass ein längeres Zögern verhängnisvoll werden könnte. Dies ist ein deutlicher Beweis dafür, dass die Sünde blind macht. Wie wahr ist doch das Wort Gottes, wenn es in bezug auf die gottentfremdeten Menschen sagt: „Den Weg des Friedens wissen sie nicht“ (Röm. 3,17).

Gott hat den Menschen zum Glück geschaffen. Und er hat ihm genügend Gelegenheit gegeben, dieses Glück zu erlangen. Aber dadurch, dass sich der Mensch von Gott, der lebendigen Quelle, abgewandt hat und sich ausgehauene Brunnen machte, die löchrig sind und doch kein Wasser geben (Jer. 2,13), hat er sich in das tiefste Elend und das größte Unglück gestürzt. Die Frage, die alle Menschen beschäftigt, ist: „Wer wird uns Gutes sehen lassen?“ (Ps. 4,7). „Aber man fragt nicht: ‚Wo ist Gott, mein Schöpfer, der Lobgesänge gibt in der Nacht?‘“ (Hiob 35:10).

Die Welt kann die Seele des Menschen nicht befriedigen. Sie mag ihm das bieten, was seine fleischliche Natur verlangt. Aber seine geistliche Natur verlangt nach etwas Höherem, nach einem beständigen Gut, das diese Welt nicht geben kann. Da der Mensch ursprünglich für den Umgang mit dem „Vater der Geister“ geschaffen wurde, kann sein Sehnen durch nichts, das diese Welt bietet, befriedigt werden. Erst wenn der Geist des Menschen sich Gott zuwendet, von dem er gewichen ist, kann er die Ruhe finden, die er sucht.

Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Wesen. Wie kann aber diese Vernunft sich damit zufriedengeben, an das Sinnliche gebunden zu sein? Der Mensch ist unsterblich. Wie kann er auf dieser Erde, wo alles nur ein Schatten ist, wirkliche Befriedigung finden? Das Sehnen und Verlangen des Menschen sind unbegrenzt, und die Dinge dieser Welt können sie nicht stillen. Seine Seele benötigt Himmelsspeise und kann sich nicht an den Träbern dieser Welt sättigen.

Seit die Menschen von Gott abgefallen sind, haben sie es versucht, ohne Gott glücklich zu werden. Sie haben es auf jede mögliche Art und Weise versucht, aber umsonst. Sie konnten das, was sie suchten, nicht erlangen. Salomo, der hervorragendste irdische Monarch, der je lebte, hat diesen Versuch gemacht. Und nachdem er alle irdischen Freuden genossen hatte, musste er ausrufen: „Da war alles eitel und Haschen nach Wind und kein Gewinn unter der Sonne!“ (Pred. 2,11).

Goethe, der berühmte deutsche Dichter, schrieb in seinem hohen Alter, nachdem er all die Lorbeeren geerntet, die diese Welt zu geben vermochte, dass er in den fünfundsiebzig Jahren seines Lebens keine vier Wochen wahrer Ruhe und Glückseligkeit genossen hätte, sondern, dass es nichts als Mühe und Arbeit gewesen wäre.

Oberst Gardiner, der ein sehr ausgelassenes Leben führte, wurde als glücklich bezeichnet. Aber er bekannte später, dass er so unglücklich gewesen sei, dass er sogar einen Hund hätte beneiden können. Die Dinge dieser Welt konnten ihn nicht befriedigen oder glücklich machen.

Byron, der große englische Dichter des 19. Jahrhunderts, konnte sich nur auf elf Tage entsinnen, an denen er sich wirklich freute. Sein ganzes übriges Leben war sonst freudenleer. Er sagte: „Ich bin alles dessen, das dieses Leben bietet, müde und überdrüssig. Es gibt keine Freude auf dieser Erde. Oft habe ich gewünscht, dass mein Geist umnachtet würde oder dass irgend etwas geschähe, um die Erinnerung an die Vergangenheit aufzuheben, diesen nie sterbenden Wurm, der an meinem Herzen nagt.“

Shuter, der gefeierte Schauspieler, war einmal durch die Predigten Whitefield’s so gerührt, dass man hoffte, er würde sich bekehren. Doch gewannen die Versuchungen, denen er durch seinen Beruf ausgesetzt war, die Oberhand. Im Gespräch mit dem Prediger des Evangeliums machte er folgende Äußerung: „Die Schmeicheleien der Großen sind bezaubernde Fallstricke. Lord E. sandte heute nach mir und ich war froh, dass ich nicht gehen konnte. Arme Geschöpfe! Sie sind unglücklich und wollen, dass Shuter sie zum Lachen bringe.“

Lord Chesterfield hat eines der nachdrücklichsten Zeugnisse über die Eitelkeit der Dinge dieser Welt abgelegt. Er sagte: „Ich habe die Welt genossen und all ihre albernen Vergnügungen mitgemacht. Ich habe mich alles dessen, was diese Welt zu bieten vermag, erfreut, und daher kenne ich die Nichtigkeit aller Weltfreuden. Ich bedauere ihren Verlust nicht. Ich schätze sie nach ihrem wahren Wert, der in Wirklichkeit sehr gering ist, während diejenigen, die noch unerfahren sind, sie stets viel zu hoch einschätzen. Sie sehen nur die bezaubernde Außenseite und werden von dem Glanz verblendet. Ich aber habe einen tieferen Einblick gemacht. Wenn ich auf das, was ich gesehen, gehört und getan habe, zurückblicke, so kann ich kaum glauben, dass alles das, was ich erlebte, Wirklichkeit war, sondern ich betrachte es als einen jener romantischen Träume, die durch den Opiumgenuss herbeigeführt werden. Und ich möchte die widerliche und ekelhafte Dosis nicht noch einmal einnehmen, um die Wiederkehr dieses flüchtigen Traumes zu verhindern.“

Es ist nicht nötig, noch mehr solcher Zeugnisse anzuführen. Es gibt Tausende, die, obwohl sie von dem Reichtum und Glanz dieser Welt umgeben sind, sich dennoch tief unglücklich fühlen und nach etwas Besserem sehnen, das ihre Herzen zufriedenstellt. „Auch beim Lachen kann das Herz trauern, und nach der Freude kommt Leid“ (Pred. 14,13).

Höre nun die Worte einer frommen Frau, die sich dem Herrn ergeben hatte und ihm diente: „Wo könnte ich hoffen, solche Freuden zu finden, wie du sie mir gibst? Wo kann ich so ein reines und ungetrübtes Vergnügen finden? Wenn du mir dein Angesicht zuwendest und mich deine Liebe fühlen lässt, wird dann nicht meine Seele mit einer Freude erfüllt, die ich nie zuvor kannte? Hatte ich je ein Bedürfnis, das du nicht befriedigtest? Könnte ich nach etwas besserem verlangen, könnte irgend etwas anderes noch meine Aufmerksamkeit fesseln neben der vollkommenen Freude, die du, mein Gott, mir beschert hast? Sind nicht alle Herrlichkeiten der Welt verdunkelt, in den Schatten gestellt und verunstaltet worden? Wie armselig und verächtlich sind sie mir erschienen! Oder sind sie nicht vielmehr verschwunden wie Träume, wie Schatten vor der Mittagssonne? Nie zuvor habe ich volle Genüge gefunden, bis ich sie in Gott fand. Nun bin ich zufrieden. Wenn ich nur dich habe, so besitze ich alles; ohne dich fehlt mir alles. Du bist die Quelle all meiner Freude und Wonne. In dir geborgen, ist meine Seele sicher, und nichts kann sie erschrecken. Ich erfreue mich eines süßen Friedens, ewiger Liebe und unvergänglicher Freuden. Mein Verlangen ist gestillt, alle meine Wünsche sind erfüllt, ich könnte nichts mehr wünschen. O mein Gott! Um mehr könnte ich gar nicht bitten, und mit weniger würde ich unbeschreiblich elend sein.“

So lautet das einstimmige Zeugnis aller getreuen Kinder Gottes. Höre, wie die Schreiber der Heiligen Schrift sich hierüber ausdrücken: „Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde“ (Ps. 73,25). „Deine Güte ist besser denn Leben“ (Ps. 63,4). „Ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser denn sonst tausend; ich will lieber die Tür hüten in meines Gottes Hause denn wohnen in der Gottlosen Hütten“ (Ps. 84,11). „Ich freue mich im Herrn, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott“ (Jes. 61,10). „… ja, ich achte es noch alles für Schaden gegen die überschwängliche Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um welches willen ich alles habe für Schaden gerechnet, und achte es für Kot, auf dass ich Christum gewinne“ (Phil. 3,8).

Unter den Tausenden, die sich dem Herrn übergeben haben, ist noch keiner enttäuscht worden. Sie wurden reichlich dafür belohnt, dass sie seine Gebote hielten. Sie alle kannten eine Zeit, in der sie, gleich denjenigen, die noch von Gott ferne sind, ihre höchste Freude in den Dingen der Welt suchten. Doch diese gab ihnen nie das, was sie versprach. Die Welt lockt ihre Opfer nur an sich, um sie zu betrügen und zu vernichten.

Würden diejenigen, die zu Gott gekommen sind, ihren gegenwärtigen Zustand mit ihrem früheren vertauschen? Wären sie geneigt, die Erfahrungen, die sie im Dienst der Welt und der Sünde machten, noch einmal durchzumachen und die unvergänglichen Schätze, die sie jetzt besitzen, aufzugeben?

Die Glaube an Jesus Christus ist eine unversiegbare Quelle der Freuden, aus der wir jederzeit schöpfen können, besonders aber in Zeiten der Trübsal und des Leides. „Der Mensch wird zu Unglück geboren, wie die Vögel schweben, emporzufliegen“ (Hiob 5,7). Lieber Leser, du magst dich jetzt sicher fühlen und glauben, dass dir kein Unglück drohe. Aber wie bald kann in deinen Verhältnissen eine Wendung eintreten! Reichtümer können Flügel bekommen und davonfliegen, Freunde können sterben. Du selbst magst von Krankheit befallen werden und deine Aussichten, die jetzt so gut und ungetrübt sind, können durch eine schwarze Wolke verdunkelt werden. Wo willst du dich dann hinwenden, um Trost und Hilfe zu erlangen? Wenn die Welt die Quelle deiner Freuden war, so wirst du feststellen, dass diese versiegt ist. Das Mitgefühl der Menschen, mag es auch noch so aufrichtig sein, kann deinen betrübten Geist nicht aufrichten. Und wenn in einer solchen Stunde Gott nicht deine Zuversicht und Stärke ist, so ist dein Zustand sehr traurig.

Voltaire bemerkte, obwohl er reichlich mit weltlichen Ehren beladen war: „Das Leben ist voller Dornen, und ich weiß keinen anderen Ausweg, als so schnell wie möglich durch diese hindurchzugehen. Je mehr wir über unser Missgeschick nachdenken, je mehr wird es uns schaden.“ Solcher Art ist der Trost, den der Unglaube bietet. Wie gänzlich davon verschieden sind die Gefühle des wahrhaft Gläubigen! Der ewige Gott ist seine Zuflucht. Er hat einen Frieden, den die Welt nicht geben, aber auch nicht nehmen kann. Was immer ihn befallen mag, er weiß, dass Gott nur Liebesabsichten mit ihm hat und ihn für die himmlische Herrlichkeit vorbereiten will. „Herr, ich weiß, dass deine Gerichte recht sind; du hast mich treulich gedemütigt“ (Ps. 119,75).

Und nun, lieber Leser, kannst du dir diese Segnung zu frühe aneignen? Kannst du zu schnell glücklich werden? Kannst du Gott zu bald zu deinem Teil, zu deiner Zuflucht machen? Kannst du die Freuden der Vergebung zu frühe schmecken? Kannst du dich der gewissen Hoffnung des ewigen Lebens zu frühe erfreuen? Was bedeutet dein Zögern anders, als deine Glückseligkeit zu verschieben? Dadurch, dass du dich unverzüglich dem Herrn übergibst, hast du nicht nur nichts zu verlieren, sondern alles zu gewinnen. „Die Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütze und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens“ (1.Tim. 4,8).

Sehr treffend wurde gesagt: „All die notwendigen Geschäfte würden besser versehen und die wirklichen Freuden, die das Leben bietet, mehr genossen werden. Alle Unternehmungen wären erfolgreicher, alle Dichtung anziehender, wenn sie mit der Gottseligkeit eines wiedergeborenen Herzens verbunden wären. Cowper hörte nicht auf, ein Poet zu sein, als er ein Christ wurde. Die Harfe Montgomery’s verstummte nicht, sondern gab um so lieblichere Töne von sich, nachdem sein Herz sich Gott zugewandt hatte.“

„O schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist!“ (Ps. 34,9). Du hast die Bitterkeit der Sünde geschmeckt. So komme nun und schmecke die Freuden der erlösenden Gnade! Komme zu der nie versiegenden Quelle des ewigen Lebens und der ewigen Freude! Versuche nicht länger, dich an Träbern zu sättigen, denn in deines Vaters Haus ist Brot die Fülle. „Warum zählet ihr Geld dar, da kein Brot ist, und tut Arbeit, davon ihr nicht satt werden könnt? Höret mir doch zu und esset das Gute, so wird eure Seele am Fetten ihre Lust haben“ (Jes. 55,2).