Einführung in die Historie des charismatischen Zungenredens

Im Jahr 1901 gab es in Amerika eine lang anhaltende Gebetsversammlung einer Gruppe von Bibelschülern. Diese waren zu der Überzeugung gekommen, dass das Sprachenreden wie zu Pfingsten auch heute noch für jeden erfahrbar sein müsste. Sie sahen das Sprachenreden auch als ein notwendiges Zeichen für die Taufe mit dem heiligen Geist an. Ihr Lehrer hieß Charles Fox Parham und er bestärkte seine Schüler in ihrem Suchen. Fest entschlossen flehten zu Gott sie um diese Erfahrung. Plötzlich fing eine der Schülerinnen namens Agnes Ozman an, in „Zungen“ zu reden und zwar auf chinesisch, wie man annahm. Wenige Tage später erlebten ungefähr die Hälfte der Schüler ebenfalls das Zungenreden und auch Parham selbst. Das war der Beginn der modernen Pfingstbewegung. Die Euphorie darüber verbreitete sich explosionsartig. Parham und seine Schüler waren sich sicher, dasselbe erfahren zu haben wie die Apostel zu Pfingsten. Sie waren fest davon überzeugt, nun die Fähigkeit zu haben, im Missionsfeld in Fremdsprachen zu den Heiden reden zu können. Damit waren auch große Erwartungen für die Zukunft verbunden.

Tatsächlich haben Charles Parham, Agnes Ozman und die anderen Bibelschüler aber niemals das übernatürliche Zeichen gefunden, das sie gesucht hatten.

Sie waren davon überzeugt, dass das Sprachenreden die übernatürliche Fähigkeit sei, in Fremdsprachen reden zu können, die man nie zuvor gelernt hat. Das war die Gabe, die sie so verzweifelt suchten. Was sie aber tatsächlich empfangen hatten, war nichts anderes als sinnloses Geplapper. Das wurde auf schmerzvolle Weise deutlich, als dieses Zungenreden im Missionsfeld eingesetzt wurde und man zugeben musste, dass niemand die Missionare verstehen konnte. Schriftlich sah es auch nicht besser aus: Agnes Ozman meinte, nicht nur in chinesisch sprechen, sondern auch chinesisch schreiben zu können. Es ist überliefert, dass man ihr Gekrakel einmal einem echten Chinesen zu lesen gab. Sein Kommentar (sinngemäß): „Ich verstehe nichts, gebt es einem Japaner, vielleicht kann der etwas damit anfangen“. Die Erwartungen wurden auf ganzer Linie enttäuscht [1]. Und daran hat sich bis heute nichts geändert:

1. Die sog. Zungenredner müssen ehrlich zugeben, dass sie nicht in der Lage sind, fremdsprachige Menschen in real existierenden Sprachen anzusprechen.

2. Millionen von Menschen können heutzutage zwar in sog. Zungen reden, aber dieselben Millionen können niemals tun, was die Apostel zu Pfingsten vollbrachten.

3. Die hoch gefeierte Gabe ist offensichtlich eine Fälschung und etwas völlig anderes.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten, damit umzugehen:

Erstens, ich gebe ehrlich zu, dass meine Gabe nichts mit der Bibel zu tun hat und ich etwas ganz Falsches ergriffen habe oder sogar das ganz Falsche mich ergriffen hat. Das ist nicht einfach. Erst schätze ich mich selbst so ein, dass ich im Besitz des Reichtums der apostolischen Gaben bin, hoch erhaben über andere, denen solche spektakulären Dinge fehlen und plötzlich stelle ich fest, dass ich mich völlig verrannt habe. Ich stehe nicht über, sondern sogar unter den anderen, abseits des Wortes Gottes. Das ist auf alle Fälle eine sehr bittere Erkenntnis, die ich nur ungern zugeben möchte. Einige haben das gemacht, wie z.B. Heinrich Dallmeyer, durch den die sog. Zungenbewegung in Kassel zum Durchbruch gekommen war. Später widerrief er seine Äußerungen und bezeichnete die charismatische Bewegung als einen „Lügengeist“.

Zweitens, ich halte an der Fälschung fest und versuche zu begründen, warum dies alles trotzdem richtig ist. Man entschied sich überwiegend für den zweiten Weg. Und zwar, indem man behauptete, dass es zwei verschiedene Arten des Zungenredens gibt [2, 3]: Einmal die Sprachengabe wie zu Pfingsten mit real existierenden menschlichen Sprachen. Dann aber noch ein weiteres Zungenreden, das nichts mit real existierenden Fremdsprachen zu tun hat, dafür aber der Praxis des charismatischen Zungenredens gut entspricht. Also ein Reden, das in der Regel völlig unverständlich ist - auch für den Sprechenden selbst - und das, wenn überhaupt, nur besondere Ausleger interpretieren können.

Natürlich kann man auf diesem Wege auch einer seriösen Überprüfung der Gaben aus dem Wege gehen. Wie kann man schon prüfen und bewerten, was sowieso niemand versteht? Und wer kann schon bewerten, ob die Aussagen der Ausleger wirklich stimmen? Der Echtheitstest, bei denen drei oder fünf voneinander unabhängige Ausleger über dieselbe Zungenrede befinden sollen, ist daher auch ein zuverlässig schockierendes Erlebnis für gläubige Charismatiker. Daher wird dieser Test auch nach Möglichkeit vermieden.

In der charismatischen Praxis findet man kaum eine Auslegung des Zungenredens, der offensichtliche Widerspruch zur Forderung des Paulus in 1. Kor.14 wird meist übergangen [4]. Sofern es doch Auslegungen gibt, sind sie keine Übersetzungen des Gesagten, sondern Versuche, die Aussagen des Zungenredners zu deuten. Die Länge der Auslegungen steht dabei meist in keinem Verhältnis zur Zungenrede an sich, ihre Aussagen sind oft sehr dürftig und der oben beschriebene Echtheitstest ist grundsätzlich erschütternd.

Man versucht bis heute, diese offensichtliche Fälschung mit Gottes Wort zu begründen. Wir wollen aber im Hinterkopf behalten: Es ging von Anfang an um etwas ganz anderes. Nämlich darum, die Rechtfertigung für eine Hoffnung zu finden, die auf ganzer Line bitter enttäuscht wurde [5].

Es ist eine traurige Ironie der Geschichte, dass gerade die, die sich ihrem charismatischen Bekenntnis nach am meisten auf den heiligen Geist ausrichten wollen, ihn am meisten missbrauchen, falsch darstellen, auslöschen und entehren. Und wie? Sie legen ihm Worte in den Mund, die er nie gesagt hat, schreiben ihm Taten zu, die er nicht getan hat, Erscheinungen, die er nicht gewirkt hat und Erfahrungen, die nicht mit ihm zu tun haben. Sie betreiben Etikettenschwindel und bezeichnen Dinge mit seinem Namen, die nicht von ihm sind. [6]

In der Bibel gibt es acht eindeutige Stellen, in denen das Phänomen des Sprachenredens behandelt wird [7]. Drei Stellen finden sich im AT, die fünf weiteren stehen im NT. Es ist wichtig, folgende Abschnitte genau zu untersuchen, um das Thema vollständig überblicken zu können: 1. Mo. 2; 16–17, 23 / 1. Mo. 3; 2 / 1. Mo. 11; 1–9 / Jes. 28; 11–12 / Mark. 16; 15–20 / Apg. 2; 1–21 / Apg. 10; 44–48 / Apg. 19; 1–7 / 1. Kor. 12–14