Mein Zeugnis

Zu jener Zeit konnten wir unsere Versammlungen regelmäßig halten. Dazu kamen noch weitere Pflichten, die in der Gemeinde zu erfüllen waren, wie Krankenbesuche, Trauungen, Taufen und anderes mehr. Vonseiten der Obrigkeit gab es doch noch oft Bedrängnisse. Ein Fall blieb mir sehr in Erinnerung.

Wieder einmal hatten wir das Kreisparteikomitee im Dorf zu Besuch. Dieses Komitee kam während der Arbeitszeit und wandte sich an den Parteigruppenführer in der Kolchose. Der Parteigruppenführer musste nun die verantwortlichen Brüder der Gemeinde zusammenrufen. Brüder, die bereits im Ruhestand waren, wurden von zuhause gerufen, ich von meiner Arbeitsstelle. Wenn möglich, informierten wir sofort die Geschwister der Gemeinde darüber. Und ein jeder seufzte und betete, dass Gott den Brüdern doch Weisheit schenken möge so zu sprechen, dass alles gut abläuft.

Wenn das Komitee kam, zeigten seine Mitglieder den Gläubigen gegenüber große Verachtung. Sie redeten lästernd, grob, sogar drohend und versuchten uns einzuschüchtern; und wenn sie einen Grund gefunden hätten zu strafen, hätten sie uns nicht verschont.

Nun kam wieder einmal ein junger Mann, Mitglied des Parteikomitees, vermutlich ein Richter. Als ich nun ins Büro kam, reichte er mir die Hand, stellte sich vor und sagte ganz freundlich, weshalb er mich kommen ließ: „Unsere Regierung überwacht die Leute. Und wo sich etwas findet, das dem Aufbau der Sowjetunion hinderlich ist, sorgt man dafür, dass es in Ordnung gebracht wird, damit sich die Bürger unserer Gesellschaft wohl und sicher fühlen können. Wir wissen, dass ihr euch hier im Ort versammelt und zu Gott betet. Eure Vorgesetzten am Ort haben an eurer Arbeit in der Kolchose nichts auszusetzen, aber wegen eures Betens kommt es zu Auseinandersetzungen. Wir können euch nicht machen lassen, was ihr wollt. Deshalb bin ich heute auch hier und möchte Sie bitten, mit den Versammlungen aufzuhören. Es kann ein jeder zu Hause beten, wie er will und so lange er will, wir haben nichts dagegen. Bitte folgt meinem Rat und es wird euch niemand beunruhigen.“

Er war sehr freundlich und hat in keiner Weise grob gesprochen. Ich aber seufzte zu Gott: „Was soll ich hierzu sagen?“ Er konnte in seinem Reden aufrichtig sein, es konnte aber auch genauso eine List sein, um uns etwas aufzubürden. Ich dachte nach, was doch das Beste wäre, was man dem Mann sagen könnte. Da kam mir ein Wort in den Sinn: „Seid allezeit bereit zur Verantwortung jedermann, der Grund fordert der Hoffnung, die in euch ist“ (1.Petr. 3,15).

Ich fing an, ihm zu erzählen: „Ich beobachtete von meiner Jugend an, dass es Menschen gibt, die ein ordentliches Leben führen, und dass es andererseits Menschen gibt, die allerlei Schlechtes hervorbringen, böse, wild sind und sich nichts sagen lassen. Ganze Familien gehen dadurch zugrunde. Ich interessierte mich dafür, was denn die Ursache dafür sei. Man sagte mir, die Ursache dafür ist die Sünde. Wer die Sünde meidet, der ist fromm und angenehm. Wer sich aber der Sünde hingibt, der tut Dinge, deren er sich später schämen muss. Ich entschied mich, die Sünde zu meiden und bekehrte mich im Alter von siebzehn Jahren zu Gott. Gott gab mir die Gewissheit, dass ich sein Kind bin. Seit jener Zeit diene ich ihm.“

„Ich musste im Ersten Weltkrieg fliehen, war sechseinhalb Jahre in der Arbeitsarmee und musste miterleben, wie sehr viele Menschen um mich herum starben. Meine Frau wurde mit den Kindern nach Polen verschleppt, dann nach Sibirien, schließlich kamen wir nach Kasachstan. Wir hatten weder zu essen, noch Geld oder Wohnung. Als ich fünf Jahre mit meiner Familie zusammen gewesen war, wurde ich verhaftet und zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Gott sorgte dafür, dass ich nach zweieinhalb Jahren wieder freikam. In all diesen Notzeiten, in denen mir teilweise auch vonseiten der Obrigkeit Not bereitet wurde, habe ich mein Vertrauen auf Gott gesetzt. Meine Frau wie auch ich haben gebetet, und Gott hat so gesegnet, dass in unserer Familie niemand umgekommen ist und wir auch die nötigste Gesundheit haben.“

„Dass wir von der Obrigkeit nicht verstanden werden, dafür kann ich nichts. In der Bibel steht, dass man Gott mehr gehorchen soll als den Menschen, wenn es um göttliche Dinge geht. Wir müssen manches von den Leuten wie auch von der Obrigkeit hinnehmen. Ich denke daran, dass mein Leben schon seinem Ende zugeht. In all den Jahren meines Gottdienens habe ich mir einen gewissen Schatz im Himmel gesammelt. Die Bibel sagt, dass Gott alles reichlich vergelten will. Soll ich jetzt, da es vielleicht nicht mehr weit bis zu meinem Ende ist, mein Gottdienen aufgeben? Sie haben mir eben den Rat gegeben, alles aufzugeben. Wenn Sie jetzt an meiner Stelle wären, würden Sie nach all diesen Lebenserfahrungen aufgeben und Gott untreu werden?“

Der Mann war von meiner Frage überrascht, und ich sah, wie meine Worte auf ihn einwirkten. Er gab mir keine Antwort, stellte mir stattdessen noch einige nebensächliche Fragen und dann verabschiedeten wir uns freundlich. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört. Wie war ich doch froh und Gott dankbar, dass wieder alles gut abgelaufen war.