In verzweifelter Lage

Als wir in der vordersten Linie waren, erhielt jeder einen Schutzschild, den wir nach der Erstürmung gut gebrauchen konnten. Die französische Stellung sollte zuerst durch Granat- und Minenfeuer sturmreif geschossen werden. Unter den Schützengräben war von unserer Seite ein langer Stollen vorgetrieben, der an seinem Ende, nahe der französischen Linie mit Sprengstoff gefüllt war. Wenn dieser zur Explosion gebracht wurde, sollten wir sofort zum Angriff übergehen.

Die Beschießung begann. Unsere 1-2 Zentner schweren Minen flogen auf die feindlichen Schützengräben hinüber. Der Feind erwiderte das Feuer in gleicher Weise. Bald lag ein Volltreffer in einem unserer Unterstände. Einem Gefreiten wurde der Kopf buchstäblich abgerissen, viele junge Rekruten waren sofort tot, andere kamen blutend und taumelnd aus Schutt und Erde hervor, brachen zusammen und schrieen in Todesnot. Es war ein furchtbarer Augenblick! Immer heftiger und schneller folgte Schuss auf Schuss. Die Sonne wurde durch Pulverrauch verdunkelt und ein entsetzlicher Gestank verbreitete sich um uns. Ängstlich zusammengekauert harrten wir auf das letzte Zeichen. Die Rekruten fragten, ob es möglich sei, so den Angriff zu machen. Wir kauerten im Freien, ohne jede Deckung und waren von Erde und Holzsplittern überschüttet, als ob wir schon im Kampf gewesen wären.

Endlich nach bangen Stunden erfolgte die unheimliche Explosion, wie ich sie schrecklicher nie gesehen hatte. Es war ein Wunder, dass die armen jungen Rekruten nicht vor Schrecken davonliefen. Da ertönte auch schon der Befehl: „Sprung auf! Marsch! Marsch!“, und vorwärts ging’s mit aufgepflanztem Bajonett. Es war noch viel Drahtverhau unbeschädigt geblieben, so dass wir vorsichtig und zum Teil kriechend voran mussten, mitten unter scharfem feindlichen Feuer. Aber vorwärts ging’s bis zu den fast gänzlich unbeschädigten feindlichen Stellungen. Einige Tote lagen da, einige wurden gefangen genommen, aber der größte Teil hatte sich zurückgezogen. Nun hieß es für uns, sich schnell eingraben und die Schutzschilder davor stellen. Ich merkte gleich das Gefährliche unserer Stellung, denn wir waren so weit vorgerückt, dass der Feind uns seitlich, ja fast im Rücken beschoss. Wenn diese Stellung gehalten werden soll, sind wir verloren.

Und tatsächlich! Es ging der Befehl durch die Schützenlinie: Unter keinen Umständen die Position aufgeben! Verteidigungsstellen herrichten! An ein Zurück war also nicht zu denken. Es wurde Mitternacht und wir bekamen schon ziemlich heftiges Feuer. Ich fing an zu beten, dass doch unsere Kommandeure diese gefährliche Lage erkennen möchten, und schon machten sich andere Stimmen in gleicher Weise bemerkbar. Es wurden Ordonnanzen zurückgeschickt, die an maßgebender Stelle unsere verzweifelte Lage melden sollten. Sie kamen aber mit der Meldung zurück, dass der gegebene Befehl ausgeführt werden soll. Fast schien es, als sollten wir um eines unvernünftigen Ehrgeizes willen alle geopfert werden. Ich betete heftiger um Rettung aus dieser gefährlichen Situation. Wir hörten das geschäftige Treiben der Franzosen, die sich zum Gegenangriff vorbereiteten und ohne Zweifel Truppen heranschafften. Wieder wurde ein Mann zurückgeschickt, um unsere Gefahr zu melden, aber mit gleicher Order kehrte er zurück.

Beim Morgengrauen eröffnete der Feind das Feuer, mit aufgepflanztem Bajonett erwarteten wir den Angriff. – „Morgenrot, Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod…“ Plötzlich rief eine Stimme: „Ich befehle den Rückzug!“ „Wer ist dieser Befehlshaber?“, schrieen andere Offiziere. Er nannte seinen Namen und sagte, dass er die volle Verantwortung für seine Tat übernehme. Zum zweiten Mal befahl er mit lauter Stimme den Rückzug. Wir machten kehrt und liefen, so schnell wir konnten, zu unserem Schützengraben. Hier wurden wir angeschrien: „Wer heißt euch hereinzukommen?“ Aber bald wurden diese Draufgänger eines anderen belehrt und zum Schweigen gebracht, denn ein Hagel von Geschossen prasselte auf unseren Schützengraben, so dass alles in größtem Wirrwarr sich verkroch und Deckung suchte. Eilend lief ich mitten durchs Feuer dem Ausgang des Grabens zu, andere folgten mir. Einer rief mich in Todesangst an, ich möchte ihn doch retten. „Komm mit mir!“, rief ich ihm zu, und wir kamen heil davon, obwohl wir durch das Granatfeuer mit Erde, Minensplitter, Holz und anderen Dingen überschüttet wurden.

Wieder hatte Gott mein Gebet erhört und mich aus größter Gefahr errettet. Doch wie viele fehlten beim Appell! Manche Verwundeten mussten zwischen den feindlichen und unseren Stellungen liegen bleiben und konnten erst in der Nacht geborgen werden. Nach dieser Feuerprobe kamen wir wieder in die Garnison und wurden auf verschiedene Kompanien verteilt. Ich kam wieder zu meiner alten Kompanie zurück, wo man mich schon zu den Toten gerechnet hatte. Da wurde mir das Wort köstlich: „Aber er wird dich mit seinen Fittichen decken, und deine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln“ (Ps. 91,4).