Allezeit versorgt und bewahrt

Bei dieser Gelegenheit möchte ich der vielen Beweise der Liebe gedenken, die ich durch treue Gotteskinder aus der Heimat erhalten habe. Als im Verlauf des Krieges die Grenzen gesperrt wurden, dass meine liebe Frau mir keine Pakete schicken konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als dem Herrn für weitere Versorgung zu vertrauen. Unsere Essensportionen wurden immer knapper und weil ich von ziemlicher Körpergröße bin, hatte ich immer einen guten Appetit. Gottes Güte und Vorsehung fügte es so, dass ich dann von Menschen, die ich weder gesehen noch gekannt habe, viele Liebesgaben erhielt. Es waren treue Christen, die sich gedrungen fühlten, etwas für die bedürftigen Soldaten zu tun. Oft erlebte ich wunderbare Gebetserhörungen, wenn gerade zur rechten Zeit das Notwendige eintraf. Einmal trafen soviel Gaben ein, dass ich Butter und Eier an eine Notleidende Familie mit fünf Kindern abgeben konnte. Wie glücklich war ich, geben, anstatt nehmen zu können! Möge Gott, der in das Verborgene sieht, allen Gebern der Vergelter sein!

Wenn ich nicht diese Unterstützung gehabt hätte, wäre ich wohl an Unterernährung krank geworden. Denn oft gab es sehr knappe Zeiten im Schützengraben, die Brotrationen für den Tag wurden so verkleinert, dass sie gerade zur Morgenportion ausgereicht hätten. Ein Beispiel möge die Wirklichkeit unseres Hungers illustrieren. Beim Essenholen bat ich oft um eine größere Portion Suppe, die ich auch, wenn genügend vorhanden war, bekam. Eine gekochte Maus war keine Seltenheit und manches andere, das man nicht erkennen konnte. Einmal löffelte ich mit Heißhunger mein Kochgeschirr voll Suppe. Ich sah darin wohl etwas, das nicht hineingehörte, wollte es aber nicht beachten und aß weiter. Bald musste ich aber doch aufhören, denn in meiner Suppe schwammen etwa fünfzig oder mehr Kotkugeln von Ratten. Ich war von Natur immer sehr heikel und wenn nicht der Hunger mich getrieben hätte, würde ich wohl manchmal mein Essgeschirr ausgeschüttet haben.

Einmal waren wir hinter der Front in einem Dorf in Ruhestellung. Ich traf ein altes Mütterchen und fing mit ihr ein Gespräch an, um ihr etwas von Gottes Liebe zu erzählen. Sie sprach entrüstet über das sittenlose Treiben der Soldaten im Dorf. Dann schaute sie mir ins Auge und sagte mit veränderter, sanfter Stimme: „Sie tun das nicht. Ich sehe, Sie sind rein.“ Ich bestätigte das und sagte ihr manches über ein wahrhaft christliches Leben, und dass Gott mich inmitten des zügellosen, wüsten Kriegslebens an Leib und Seele rein erhalten hatte, und dass ich meiner Frau und meinen Kindern frei in die Augen schauen konnte. Wie mancher Mann, wie mancher Familienvater ergab sich hier der Unsittlichkeit und kehrte, wenn auch mit unverwundeten Gliedern, so doch krank und zerrüttet an Leib und Seele zu den Seinen zurück.

So notwendig die Ruhezeiten auch für mich waren, lieber kehrte ich wieder in den Schützengraben zurück, wo ich nicht das wüste Treiben anzusehen brauchte. In dieser Zeit lagen wir auf einer Anhöhe, wo schon viele erbitterte Kämpfe stattgefunden hatten. Bei Beschießungen wurden Überreste von Leichen heraus- und hereingewühlt. Oft war der Gestank so groß, dass wir es fast nicht ertragen konnten. An einem Laufgraben, den wir immer passieren mussten, war ein verschütteter Unterstand, aus dem noch das Bein eines Toten herausragte. Monatelang gingen wir hier täglich vorbei – immer noch ragte der Stiefel mit seinem verwesten Inhalt empor, als warte er noch auf einen letzten Treffer. Die Stellungen beider Gegner lagen nur etwa sieben Meter voneinander entfernt. Unterirdisch waren Stollen gegenseitig vorgetrieben und man wusste nicht, in welchem Augenblick ein Teil von uns oder vom Feind durch Sprengung in die Luft flog. Tage- und nächtelang erdröhnte das Trommelfeuer und erbitterte Angriffe wurden von Zeit zu Zeit gemacht.

Monatelang hatten wir unsere Stellung gehalten, Schweres, ja Übermenschliches ertragen, da hieß es, unser Regiment wird versetzt und zwar nach Verdun. „Die Hölle von Verdun“, hieß es, die Hauptfront! Hatten wir hier schon Schweres erduldet, so erwartete uns dort noch viel Schlimmeres. Mit schwer bedrücktem Herzen begab ich mich in der Morgenfrühe in mein Gebetskämmerlein. Es war ein leerer Unterstand. Ich fiel auf meine Knie und rief unter Tränen zu meinem Gott. In kindlicher Einfalt schüttete ich mein Herz vor ihm aus und bat um ein Trostwort aus dem Buch der Bücher, das mein steter Begleiter war. Ich sagte, dass ich meine Bibel von ungefähr öffnen werde und der Vers, auf den mein Blick fiele, sollte mein Trostwort sein. Ich tat es und las: „Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn seines Leibes? Und ob sie desselben vergäße, will ich doch dein nicht vergessen. Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet“ (Jes. 49,15-16). Ich fiel auf mein Angesicht und betete an, dass ich solcher Gnade vor Gott wert gehalten bin. Nun war ich getrost, mag kommen, was da will; nun war ich geborgen in Gott.

Nach einigen Tagen wurde unser Nachbarregiment nach Verdun versetzt und wir kamen auf einen Platz, wo wir schon vor zwei Jahren dem Feind gegenübergestanden hatten. Wir lagen auf einem hohen Berg, in den Schützengräben gebaut waren. Auch hier war der bekannte Stellungskrieg: Beschießung, Trommelfeuer und gegenseitige Angriffe. Einmal gelang es den Franzosen nach einer heftigen Beschießung 40 Mann von uns gefangen zu nehmen. Wir lagen fast 24 Stunden ohne jede Deckung vor dem Feind. Als das Feuer etwas nachließ, mussten wir die Leitungen in Ordnung bringen. Kaum war dieses geschehen, zerstörte erneut einsetzendes Trommelfeuer die mühsam vollendete Arbeit. Bald erfolgte ein rascher Angriff, der uns viel Tote und Gefangene kostete. Die Nacht brach herein, und es wurde so dunkel, dass wir nichts unternehmen konnten. Bei Morgengrauen wurden die Toten und Verwundeten geborgen und wir versuchten, die zerstörten Leitungen und die zerschossenen Schützengräben in Ordnung zu bringen. Es war eine schwere Arbeit. Die Gräben konnte man nicht befestigen, weil der Berg fast ganz aus Geröll und Steinen bestand, und wir waren immer in Gefahr verschüttet zu werden. Hier lagen viele Tote zerstreut, manche schrecklich zerrissen, andere lagen friedlich mit kleiner Wunde, aber mit ausgelaufenem Blut. Ich kannte sie alle gut, die armen Kameraden, die nun mit wächsernem Gesicht, mit gebrochenen Augen dalagen, waren wir doch von Anfang an zusammen und hatten manches miteinander erlebt. Da fand ich auch jenen Mann, der mir noch kurz zuvor erzählte, dass ihm vor vielen Jahren eine Wahrsagerin gesagt habe, dass er in diesem Jahr sterben werde. Nun lag er ausgestreckt bei den anderen und seine Seele war in der Ewigkeit! Sein Anblick erschütterte mich tief. Wie traurig, dass er dieser Zaubereisünde zugeneigt war, die doch vor Gott ein Gräuel ist! Selbst der König Saul wurde von Gott verworfen und erfuhr dann auf diese Weise die Wahrheit über sein Ende.