Kapitel 14

Während am folgenden Morgen der alte Sander mit Elisabeth in das nächste Pfarrdorf gegangen waren, um dort dem Gottesdienst beizuwohnen, eilten die vier Zurückgebliebenen bei heiterem Sonnenschein dem Strand zu, um gemeinschaftlich die Stelle aufzusuchen, wo Peter vor etlichen Wochen aus einer so großen Gefahr gerettet worden war.

Die Wellen rauschten und murmelten wie immer ganz unheimlich in der Nähe der schwarzen Klippen. Anfangs wandte sich der Knabe mit Grauen ab. Doch dann, als er wieder hinüberschaute und das blaue Gewässer und die hohen, zackigen Felsen betrachtete, da wurde sein Herz zu den Gefühlen der tiefsten Dankbarkeit bewegt. Alle setzten sich auf den weichen Rasen und nachdenklich schweiften ihre Blicke über das Meer, darin die beiden Kinder beinahe den Tod gefunden hätten. Im schönsten Farbenglanz leuchteten die Wogen und der klare, blaue Himmel spiegelte sich darin.

„Peter“, sagte Nathan, „erinnerst du dich noch jenes Abends, wo du ausriefst: ‚Jesus soll auch mein König sein!‘?“

„Ach, er ist mein König nicht mehr ...“, seufzte der Knabe.

„Wie? Nicht mehr dein König?“, fragte Nathan erstaunt.

„Ich will dir alles erzählen“, fuhr Peter fort. „Ach, ihr haltet mich für besser, als ich bin. Ich will dir alles erzählen.“

In wenigen Augenblicken hatte er die ganze traurige Geschichte von seinem schweren Fall mitgeteilt; er sagte die volle Wahrheit. Als er zu Ende war, warf er sich ins Gras und verbarg sein Gesicht in beiden Händen. Agnes umarmte ihn und Christiane legte teilnehmen ihre Hand auf seine Schulter.

„Ach! Nun wird mir auch die Geschichte mit deinem kleinen Neuen Testament klar“, sagte Nathan in ermutigendem Ton. „Ich dachte gleich, dass etwas ganz Besonderes geschehen sein müsse. Doch beruhige dich, Christiane hat das Buch für dich aufbewahrt. Und weißt du, Peter, ich habe oft gedacht, du gleichst deinem Namensvetter, dem heiligen Apostel Petrus, fast auf ein Haar. Der war auch so keck und dann wieder so verzagt. Es war damals eine große Kühnheit, als er auf dem Meer wandeln wollte und kaum war er aus dem Schiff gestiegen, da sank, sobald er den großen Sturm heranbrausen hörte, sein Mut plötzlich. Und ebenso zog er im Garten Gethsemane sofort das Schwert und hieb dem Knecht Malchus das Ohr ab. Doch kurz nachher floh er und verließ seinen Herrn. Und welche Kühnheit zeigte er, als er sich dem Kohlenfeuer nahte, wo unglücklicherweise ein Verwandter des verwundeten Knechtes sein musste! Aber nachher verleugnete er mit Flüchen und Schwüren seinen Herrn und Meister. Siehst du, er tat dasselbe, was auch du getan hast.“

„Ach ja, so hab ich es gemacht“, seufzte der Knabe.

„Freilich, aber der Herr wandte sich um und sah seinen Jünger an, und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich“, fuhr Nathan fort.

„Auch ich habe viel weinen müssen“, hob Peter an.

„Petrus hatte sich selbst vertraut“, unterbrach ihn Nathan mit großem Ernst, „und darum musste er solch bittere Erfahrungen machen. Aber er wurde nicht von Gott verstoßen.“

„Nein, gottlob, er wurde nicht verstoßen“, wiederholte in diesem Augenblick hinter ihnen eine kräftige Männerstimme.

Alle fuhren zusammen und, sich umwendend, erkannten den Kapitän Seefort, der dem fast zu Marmor erstarrten Peter freundlich die Hand entgegenstreckte. Der arme Junge, den die Krankheit sehr geschwächt hatte, brach fast zusammen. Er ergriff die dargebotene Rechte mit beiden Händen, beugte sein Gesicht darauf nieder und brach in ein lautes Schluchzen aus.

„Sollte Gott mir meine Sünde wohl vergeben?“, keuchte er hervor.

„Wir lesen“, ließ sich der Kapitän vernehmen, „in dem ersten Brief des Johannes: ‚Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit‘. Und wiederum: ‚Und wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist.‘ Nur das Blut Christi kann uns von unsern Sünden reinigen. Sobald wir an den Herrn Jesus glauben, sind unsere Sünden für immer ausgelöscht, weil er sie für uns am Kreuz getragen hat. Wir gehören dann zu seinen Schafen, die, wie er selbst sagt, niemand aus seiner Hand reißen kann. Aber da wir ein böses Fleisch, in dem die Sünde wohnt, an uns tragen und uns in einer Welt befinden, wo der Satan der Fürst ist, bedürfen wir der Wachsamkeit und des Gebets, um nicht in Versuchung zu fallen. Sobald wir nicht wachsam sind, werden wir bald unserem Fleisch und den Einflüsterungen des Satans folgen, sündigen, den Heiligen Geist betrüben und uns dadurch viele Schmerzen bereiten. Aber wir sind dann aufgefordert, reumütig unsere Sünden zu bekennen, denn wir haben durch Jesus, der unser Fürsprecher ist, immer einen freien Zugang zu unserem Vater. Du wirst, mein lieber Junge, hoffentlich die Erfahrung gemacht haben, dass man ohne den Herrn nichts vermag. Darum halte dich in seiner Nähe, dort wird es dir nie an Trost und Kraft sowie an Frieden und Freude fehlen.“

Der Kapitän wartete die Antwort des Knaben nicht ab, sondern nahm die kleine Agnes bei der Hand und schritt, von Nathan begleitet, dem Dörfchen Kliffstrand wieder zu. Christiane und Peter blieben allein zurück. Das Herz unseres Freundes war ganz leicht geworden, Hoffnung und Freudigkeit kehrten in das so lange beängstigte Gemüt zurück. Mit Lob und Dank gegen den, der ihn in seinem Erbarmen nicht verstoßen hatte, wandte sich seine Seele zum Thron der Gnade.

„Peter“, unterbrach Christiane nach einer langen Pause das Schweigen, „also du glaubst wirklich an den Herrn Jesus?“

„Ja, ich glaube an ihn, er ist mein Heiland“, erwiderte Peter, zum Himmel blickend.

„Nun, dann kannst du gewiss sein, dass er dich lieb hat und dass du ihm angehörst“, versicherte Christiane. „Aber nun lass uns auch nie vergessen, dass, wie der Kapitän sagte, wir stets in seiner Nähe bleiben müssen, denn sonst betrüben wir ihn.“

„Er wird mir beistehen“, flüsterte der Knabe.

„Siehe, hier ist auch dein Neues Testament wieder“, fuhr Christiane fort. „Ich habe es von dem Schlamm, der daran saß, gänzlich gesäubert, so dass es wieder ganz wie neu ist. Lies fleißig darin und fürchte dich nicht vor Kittig.“

Mit diesen Worten reichte sie ihm das Buch und lief dann davon, um die beiden Männer wieder einzuholen. Auch Peter folgte nach. Wie freudig glänzten seine Augen, als er sich wieder im Besitz seines lieben Buches sah! Dieses war in der Tat der glücklichste Augenblick seines Lebens und von Herzen vergab er seinen Feinden, was sie an ihm Böses getan hatten.