Über Bitten und Verstehen

Schon dreimal waren aus unserem Regiment Metallarbeiter angefordert und nach Schiffswerften und Munitionsfabriken entlassen. Jedes mal schien ich vergessen oder ich war abwesend. Dennoch ging mein Gebet täglich in gleicher Weise zu Gott. Doch weil es ein besonderes Anliegen war, musste Gott auch besonders darauf antworten. In einfältiger Weise betete ich: „Herr, du weißt, was ich hier erdulden muss, du weißt, dass ich gerne zur Arbeit abkommandiert werden möchte. Ich möchte nicht gerne da arbeiten, wo Kriegsmaterial hergestellt wird. Ist es möglich, mich auf andere Weise fortzubringen, so wäre ich dir von Herzen dankbar; geht es nicht, dann bin ich willig, hier zubleiben. Gib mir dann Geduld, alles zu ertragen. Dein heiliger Wille geschehe!“

Es war an einem Sonntagmorgen. In aller Frühe rief man mich ans Telefon. Mein Vorgesetzter, der mir sehr gutgesinnt war, sagte mir im Vertrauen: „Sie werden heute Abend zum Ersatzbataillon nach Ravensburg entlassen und von dort der Generaldirektion der württembergischen Eisenbahn zur Verfügung gestellt. Aber ich lasse Sie nicht gerne fort.“ Mir war, als träumte ich. Es überwältigte mich, dass Gott wirklich mein Gebet erhört hatte. Voller Freude eilte ich zurück, um die frohe Botschaft meinen Kameraden mitzuteilen, die mir dieses Glück von Herzen gönnten, aber am liebsten auch mitgekommen wären. Im Laufe des Tages hörte ich, dass mein Bataillonskommandeur alles versuchte, um mich zurückzuhalten. Aber ich wusste, weil dieser Befehl von Gott kam, können selbst die höchsten irdischen Instanzen nichts dagegen tun. Mein Herz war voll Lobens und Dankens. Ich ging umher wie ein Träumender und konnte es fast nicht begreifen, dass ich wirklich vom Frontdienst befreit war. Nach gründlicher Reinigung, Entlausung und ärztlicher Untersuchung ging ich, um mich bei meinem Kompanie- und Bataillonskommandanten abzumelden. Mein Major gab mir für treugeleistete Dienste, wie er sagte, aus der Bataillonskasse 10 Mark.

Dann ging es ans Abschiednehmen von meinen alten Kameraden. Bewegten Herzens drückte ich denen die Hand, die mit mir die Schrecken der langen Kriegsjahre geteilt hatten. Ein treuer Freund, mit dem ich vom ersten Tag an zusammengewesen war und mit dem ich oft über das Heil in Christus gesprochen hatte, begleitete mich. Und so verließ ich die Stätte, wo ich so viel Schweres, aber auch so viel Segen von Gott erfahren hatte. Nach einigen hundert Metern mussten auch wir beide uns trennen. Unter Tränen nahmen wir zwei alten Krieger Abschied, drückten uns die Hände und sagten uns ein letztes Lebewohl. Ich befahl ihn der Gnade Gottes und dem Schutze Gottes und sah ihm nach, wie er langsam und traurig der Front zuschritt.

Und mein Weg ging der Freiheit zu! Ich bestieg einen Gepäckwagen, der mich in etwa vier Stunden bis zur nächsten Bahnstation brachte. Solange ich konnte, schaute ich zurück und beobachtete die aufsteigenden Leuchtkugeln, die die gegenseitigen Stellungen erkennen ließen. Meine Gefühle lassen sich nicht beschreiben, wenn ich daran gedachte, dass meine armen Kameraden dort vor dem Feind in Lebensgefahr auf Posten standen, wie auch ich so oft. Wunderbar hatte mich Gott von allem befreit! Er führte in Gefahren, aber er führte auch wieder heraus. Gelobet sei sein heiliger Name.

Wie glücklich war ich, als der Zug über die Rheinbrücke fuhr und ich wieder in der Heimat war. Meine Gedanken eilten zu meinen Lieben daheim und ich malte mir ihre Freude aus, wie sie Gott auf den Knien für die Erhörung meiner Gebete und für meine Befreiung danken werden. Dürfte ich jetzt bei ihnen sein und ihre Freude teilen! Welch ein Vorrecht vor vielen Tausenden, dass ich gesund und heil an allen Gliedern die Kriegszone verlassen durfte! Wer bin ich, dass Gott mich seines Schutzes gewürdigt hat?

Nach einigen Tagen Eisenbahnfahrt kam ich zu meinem Bestimmungsort. Hier traf ich einige meiner früheren Kameraden, die sich wunderten, dass ich so lange an der Front gewesen war. Als meine Papiere und alle anderen militärischen Formalitäten besorgt waren, erhielt ich Reisegeld bis Stuttgart und wurde als Soldat entlassen, um der obengenannten Eisenbahndirektion zur Verfügung zu stehen. Mit meinem kleinen feldgrauen Sandsack anstelle eines Koffers, in dem sich meine wenigen Habseligkeiten befanden, kam ich in Stuttgart an. Hier erklärte man mir, dass ich in der Reparaturwerkstätte arbeiten müsste in der Art meines Berufes, denn ich wäre der einzige Handwerker gewesen, der in meinem Regiment aufzutreiben war. Weil aber hier in Stuttgart alles besetzt war, wurde ich sogleich nach Friedrichshafen überwiesen und erhielt eine Freifahrkarte dorthin. Meine Freude lässt sich nicht beschreiben, als ich erfuhr, dass Gott auch diesen meinen stillen Wunsch erfüllt hatte und mich in unmittelbare Nähe der Heimat gebracht hat. Betend und singend langte ich in Friedrichshafen an.