„Wie deine Tage, so deine Kraft!“

Wenn ich nun glaubte, jetzt müsste mir alles von selbst zufallen, dann täuschte ich mich sehr. Auch hier erhielt mich Gott in einer kindlichen Abhängigkeit und ich musste mir jedes Einzelne, was ich bedurfte, von Gott erbitten. Das war zunächst eine Schlafstelle. Es war damals nicht leicht, ein Quartier zu bekommen, weil alles vom Militär und von militärischen Behörden besetzt war. Ich wollte nicht gerne in einem Gasthaus logieren, weil dort Trinkzwang bestand. Gott hatte mich während des ganzen Frontdienstes vor dem Alkoholgenuss bewahrt. Er würde es auch hier tun, das war meine Überzeugung. Ich betete ernstlich um ein Plätzchen, wo ich allein wohnen konnte, und ging zum Wohnungsamt. Man sagte mir, es sei alles besetzt bis auf ein einziges Bett, das soeben frei geworden sei. Ich nahm dieses aus Gottes Hand, ging hin und mietete das Zimmer.

Ebenso musste ich mir meine Mahlzeit von Gott erbitten, die ich in einem anderen Hause erhielt. Weil ich von der Front nicht verwöhnt war, war ich gern mit allem zufrieden, wie ich es bekommen konnte. Ich war ja so glücklich, mich wieder in menschlichen Verhältnissen zu befinden. Als ich zum ersten Mal an den See ging und in der Ferne die Schweizer Berge erblickte, überwältigte mich die Schönheit des Heimatbildes und ich musste die Augen schließen vor dieser Herrlichkeit. Erst allmählich konnte ich mich an all den Naturschönheiten satt sehen. Da stand ich und konnte es noch immer nicht glauben, dass ich wirklich – dem Tode entronnen – die Heimat sehe. Glockengeläute klang über den See – Heimatglocken grüßten den Heimkehrenden! In meinen Freistunden suchte ich öfter diese stillen Plätze auf und schaute hinüber nach dem Land meiner Lieben.

Die Arbeit in der Werkstätte fiel mir recht schwer, waren doch die Hände nicht mehr an solche schwierige Arbeit gewöhnt, wie sie hier geleistet werden musste. Denn die Lokomotiven haben Bestandteile, die sehr exakt gearbeitet sein mussten. Nach etwa vier Wochen hatte ich fast kein Gefühl mehr in den Händen, beim Essen fiel mir des Öfteren der Löffel aus der Hand und beim Waschen konnte ich die Seife kaum festhalten.

Trotz größter Mühe und Hingabe musste ich mich von dieser Arbeit abmelden. Ich erhielt dafür einen noch schwierigeren Posten, nämlich die Westinghouse-Pumpen (Luftkompressor (Anm. d. Red.)) zu reparieren, die den Zweck haben, für die selbsttätigen Luftbremsen die Luft zu erzeugen. Auch die Auslösventile wurden hier repariert. Man gratulierte mir von allen Seiten zu dieser Arbeit und wollte mir Angst machen, indem man mir erzählte, dass alle Monteure, die schon 25 Jahre diese Arbeit machen, oft das Werkzeug im Zorn auf die Erde werfen, weil die Maschine nicht gehen will. Nun musste ich mein Vertrauen auf Gott setzen und bat ihn um Weisheit und Geduld zu jeder Arbeit.

Ich hatte auch bald Gelegenheit, mich in der Geduld zu üben, und wenn ich nicht das volle Heil in Christus gehabt hätte, würde ich es wohl jenen Monteuren nachgemacht haben. Viele Ersatzteile mussten wir selbst anfertigen. Aber so genau wie mit den Spezialmaschinen, die wir nicht hatten, konnten sie hier nicht gemacht werden. Daher musste man sich viel Mühe geben, um sie gebrauchsfertig abzuliefern. Meine Kollegen haben bald meine Geduld bewundert und sagten, solange hat noch keiner gearbeitet, ohne zornig zu werden. Ich war Gott dankbar auch für diese Geduldsproben, in denen ich so recht meine Abhängigkeit von Gott und seiner bewahrenden Gnade fühlte. Wäre bei mir alles glatt und gut gegangen, dann hätten schwere Versuchungen an mich herantreten können. So war ich genötigt, Tag und Nacht ernstlich Gott zu suchen und immer seine Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Einmal hatte ich eine Maschine, die nach dreitägiger Arbeit nicht funktionieren wollte. Alles hatte ich probiert, aber alles war vergebens. Der Werkmeister nahm sie in Augenschein, probierte manches, doch vergebens. Er rief einen Zweiten herbei, der auch seine Ratschläge erteilte – doch auch hier ohne Erfolg. Nun kam noch der Oberwerkführer als Dritter hinzu, aber alle vermochten keine Änderung herbeizuführen. Einer sagte: „Nun bin ich mit meiner Kunst zu Ende.“ Sie ließen mich stehen und gingen davon. Wie ich es gewohnt war, brachte ich auch diese Angelegenheit im Gebet vor Gott. In der Nacht betete ich ernstlich, dass Gott meine Gedanken oder meine Augen auf den Punkt lenken möchte, wo es an der Maschine fehlte. Am Morgen ging ich im festen Glauben an die Arbeit und versuchte etwa 1½ Stunden, die Maschine in Gang zu bringen. Im Stillen rief ich Gott immer wieder um Hilfe an. Und siehe, ich probierte wieder dasselbe, was ich schon öfter getan hatte – da ging sie plötzlich! Sie ging so genau und tadellos, wie ich bisher keine gehabt hatte. Es war eine wunderbare Gebetserhörung. Gott, der im mörderischen Kugelregen seine Hand über mein wehrloses Haupt gehalten hatte, ist es ein Leichtes, eine Maschine in Gang zu bringen, wenn wir nur Glauben und Vertrauen zu ihm haben. So konnte ich überall und zu allen Zeiten köstliche Erfahrungen der Hilfe Gottes machen und möchte sie um nichts missen.

Obwohl ich auch hier noch manches von den Beschwerden des Krieges spürte, so war ich doch Tag um Tag froh, dass mir dieses Los vor vielen, vielen tausend Kameraden beschieden war, und war Gott dafür von Herzen dankbar. Welche Wohltat war es meinem Körper, vom Ungeziefer befreit zu sein! Meine Brust war damals von den Läusen wund zerfressen und meine Beine an den Fußgelenken blutig gescheuert, weil die Flöhe sich ihren Weg von unten herauf suchten und dies ihnen durch Abschnüren der Unterhosen verwehrt wurde. Die Essensportionen waren auch hier sehr schmal und oft litt ich Hunger, weil ich nicht in ein Gasthaus gehen mochte, wo ich mir mehr hätte kaufen können. Ich erinnere mich eines Fleischerladens, in dem an gewissen Tagen Wurst ausgegeben wurde. Da standen gruppenweise Menschen und warteten, bis sie etwas erhielten. Ich stand manchmal auch, hielt eine halbe Stunde das Geld zum Ladentisch hin und musste doch wieder leer abziehen. Es war eben das vierte Kriegsjahr und die Lebensmittel wurden knapp. Eines Abends gab es im Quartier Kartoffelsalat und Wurst. Ich roch, dass das Fleisch schon angefault war; aber mein Hunger war so groß, dass ich dennoch die Portion im Namen des Herrn aß, ohne dadurch Schaden zu erleiden.