„Wenn sie rufen, will ich ihnen antworten!“

Es wurden Freiwillige zum Essenholen verlangt. Ich meldete mich mit einigen anderen Kameraden und wir marschierten etwa eine Stunde Waldweg zurück, wo wir die Feldküche antrafen. Als wir uns zum Rückmarsch bereit machten, hörten wir plötzlich heftiges französisches Artilleriefeuer. Zu unserem Schrecken sahen wir, dass gerade der Waldweg, auf dem wir unbedingt zurück mussten, unter Feuer genommen wurde. Wir standen mit unseren Kochkesseln ratlos da. Gehen mussten wir unter allen Umständen, aber der Tod oder Verwundung schien uns sicher, denn Schrapnell auf Schrapnell platzte vor uns. Ich nahm meine Zuflucht wieder zu dem, der schon so oft in schwierigen Lagen geholfen hatte. Heißt es doch von ihm: „Von seinem festen Throne sieht er auf alle, die auf Erden wohnen. Er lenkt ihnen allen das Herz; er merkt auf alle ihre Werke“ (Ps. 33,14-15). Ich sagte in meinem Herzen, wenn diese Worte wahr sind, dann kann Gott auch das Herz des französischen Artilleriekommandeurs lenken, dass er Befehl gibt mit Schießen aufzuhören, bis wir oben bei unseren Kameraden sind.

Wir nahmen unsere Kochkessel wieder auf und vorwärts ging es der gefährlichen Stelle zu. Einen anderen Weg gab es hier nicht. Rechts befand sich ein Abgrund und links waren die Bäume umgeschossen oder umgehauen. Kurz vor dieser Stelle hielten wir noch einmal an, um dann in raschem Lauf durch das Feuer zu kommen. Die Franzosen schossen noch ununterbrochen. Ich blickte noch einmal zum Herrn auf, bat um Erhörung meines Flehens und eignete sie mir im Glauben an. Wir marschierten eilig vorwärts. Plötzlich verstummte der Kanonendonner, kein einziger Schuss fiel und ruhig schritten wir weiter. Auf dem Wege sahen wir viele Volltreffer und Blindgänger liegen. Ohne Zweifel wären auch wir getroffen worden, denn ihr Ziel war sicher. Gott hatte in wunderbarer Weise das Herz des französischen Kommandeurs gelenkt. Frohen und dankbaren Herzens gelangten wir bei unseren Kameraden an, die schon sehnsuchtsvoll nach uns und nach dem warmen Essen ausschauten. Kaum waren wir in Sicherheit, da begann von neuem der Kanonendonner. Und staunend bemerkten wir, dass das Feuer das gleiche Ziel wie vorher – unseren Waldweg – hatte. Wie war meine Seele durch dieses Erlebnis ermutigt! Ich verstand immer besser, was es heißt: „Ihr seid meine Freunde.“ Welch ein Vorrecht, ein Freund Gottes zu sein, alles ihm anzuvertrauen: Weg und Ziel, Tod und Leben!

Ich glaube bestimmt, dass Gott infolge treuer Gebete manchen Kriegsplan von unserer sowie von Feindes Seite vereitelt hat. So kamen wir nach Monaten wieder einmal ins Tal, konnten uns endlich einmal waschen und umziehen und die Wohltat genießen, eine Nacht durchschlafen zu dürfen. Nicht lange dauerte die Erholung. Bald hieß es wieder, im Sturmanzug zu einem anderen Berg abzumarschieren. Als alte, erfahrene Soldaten wussten wir nur zu gut, was dieses bedeutet. Nichts Gutes ahnend, rief ich, wie gewohnt, den Herrn um seinen Schutz an und bat, es doch zu verhindern, dass wir nicht zum Sturmangriff oder ins Handgefecht kommen. Meine Seele redete mit Gott und weilte in seiner Nähe.

So zogen wir gemächlich den Berg hinan. Unser Kompanieführer war etwas wohlbeleibt und zeige viel Nachsicht mit seinen Leuten. Als wir endlich oben ankamen, war das Gefecht schon im Gange. Eine andere Kompanie musste an unserer Stelle diesen Sturmangriff ausführen, weil wir zu spät eintrafen und alles sich noch vor Anbruch der Nacht abspielen sollte. So blieben wir als Reserve etwas abseits und hörten nur aus der Ferne den Lärm des Gefechts. Am anderen Morgen kehrten wir in unser Quartier zurück und konnten unterwegs die traurigen Wirkungen des Kampfes sehen. Hier lag ein bärtiger Landwehrmann, hatte noch das Taschentuch in seine Wunde gesteckt, um das dahinfließende Leben aufzuhalten – aber vergebens! Dort lagen andere, verkrampft im Todesschmerz, mit angstvoll verzerrten Zügen. Ihr letzter Gedanke mag noch „Rettung“ gewesen sein, aber die Nacht war kalt und der Kampf hart. Die Hilfe kam nicht und die Morgensonne beleuchtete ihren frühen Tod. Manche ahnungsvoll sorgende Frau, manche alte Mutter erhielt nach diesem Angriff die kurze, inhaltsschwere Nachricht: „Er starb den Heldentod fürs Vaterland!“ Auch der Kompanieführer fand hier seinen Tod. Unbarmherzig soll er vorher geäußert haben: „Die Landwehrmänner haben ihr Leben vollständig genossen, sie dürften es schon hergeben!“ Doch wie schwer mag manchem Familienvater das Sterben geworden sein, wenn er an seine Frau und an seine unversorgten Kinder dachte! Auf diesem Weg war mein Herz erfüllt von wehmütigen Gedanken und dennoch voll Dank gegen Gott. Wie leicht hätte auch ich anstatt eines dieser Toten hier liegen können, wenn Gott nicht wieder in wunderbarer Weise mein Gebet erhört hätte!

Der Stellungskrieg hatte schon eingesetzt, als wir endlich die unheimlichen Berge verlassen durften und in einer anderen Gegend die schon angefangenen Schützengräben beziehen konnten. Hier hatten unsere Vorgänger fast freundschaftlich mit den Feinden verkehrt, was schließlich böse Folgen hätte haben können. Wir sollten wieder Kriegsstimmung in diesen Frontabschnitt bringen, und bald entwickelten sich kleine und größere Gefechte und Angriffe. Mein Gebet ging dahin, Gott möge mich vom Waffendienst befreien und mir einen anderen Posten verschaffen. Nach kurzer Zeit wurde ich als Telefonist beim Kompanieführer angestellt, obwohl ich von der Feldtelefonie keine Ahnung hatte. Dadurch war ich doch vom Postendienst enthoben und hatte hier einen leichteren Dienst. Doch eine andere Gefahr lauerte auf mich hier.