Winterfeldzug und Stellungskrieg

Inzwischen nahte ein früher Winter. Wir lagen auf einem ziemlich hohen Berg, wo Sennhütten uns Unterkunft boten. Ich wurde einer Wache zugeteilt, die sich in zwei Stunden Posten stehen und vier Stunden Ruhe abwechselte. Es wurde immer kälter, dichter Schnee fiel und immer sehnsüchtiger schauten wir nach Frieden aus. Doch auch Weihnachten kam ohne die frohe Botschaft des Friedens. Wie schmerzlich war mir dieses Friedensfest mitten im Kriege und fern von den Lieben in der Heimat! Wir erhielten von der Kompanie Extravergünstigungen in Bier und Wein und jeder Soldat bekam ein Liebesgabenpaket. Mein Paket soll von der Königin Charlotte von Württemberg gewesen sein. Während meine Kameraden durch den reichlich genossenen Alkohol in froher Stimmung waren, konnte ich auf alle diese zweifelhaften Genüsse verzichten, denn Gott hatte mich bei meiner Bekehrung auch von dem Alkoholgenuss befreit. Meine Vorgesetzten und die Kameraden wunderten sich darüber und oft hatte ich dann Gelegenheit, ihnen von der Schädlichkeit des Alkohols und von der Kraft Gottes, die mich davon befreite, zu erzählen.

Nach mehreren Wochen verließen wir diese Stellung. Obwohl wir hier nicht direkt vom Feind angegriffen wurden, war ich doch froh, als wir wieder hinab ins Tal ziehen durften, denn es war sehr kalt und auf dem Berg lag knietiefer Schnee. Nicht lange aber dauerte meine Freude, denn schon nach einigen Tagen mussten wir einen noch höheren Berg besetzen, der außerdem sehr ungünstig für die Versorgung war. Unser Zug, etwa 60 Mann, musste an die Spitze; 20 von uns bezogen vorher eine Blockhütte und ich musste mit den Übrigen ganz hinauf, wo eine Jägerhütte mit einem kleinen Ofen uns notdürftig Unterschlupf und Schutz gewährte.

Nun hieß es arbeiten, denn hier sollten Schützengräben und Unterstände eingebaut werden. Alte, fast hundertjährige Bäume wurden gefällt und für Schützengräben verwendet. Es war schade um manch schönes Exemplar, doch diese Verwüstung war notwendig zu unserer Sicherheit. Weil hier so mancher wichtige Posten zu besetzen war und wir nur wenig Leute waren, mussten wir anstatt zwei sogar drei Stunden bei der strengen Kälte Posten stehen. Dazu wurde unser Proviant sehr knapp, weil unser Transportmittel, ein Esel als Lastträger, nicht hinreichte, um auf den mühsamen Wegen genügend heranzuschaffen. Einmal hatten wir in drei Tagen nichts anderes als Brot erhalten. Man ermutigte uns, dass es am Abend genug zu essen geben werde. Aber es wurden unter 40 Mann wieder nur 1 ½ Laib Kommissbrot (einfaches, haltbares Brot; meist Vollkornbrot (Anm. d. Red.)) verteilt. Mit diesem Stückchen Brot in der Tasche mussten wir nun wieder auf Posten ziehen. Da haben die Kameraden furchtbar geflucht, um ihrer Enttäuschung und ihrem Zorn Luft zu machen. Aber auch in diesem Fall behielt ich Sieg in meiner Seele, durfte mit ergebenen Sinn die ganze Sache Gott überlassen, der am besten weiß, was ich bedarf, und der nicht mehr über mich kommen lassen wird, als ich ertragen kann.

Infolge der mangelhaften Ernährung wurde die Müdigkeit unter den Soldaten so groß, dass sie sich oft unbekümmert in den Schnee legten und schliefen. Die Kälte wurde so heftig, dass oft die Bäume krachten. Nach drei Stunden Posten stehen wurden wir abgelöst und durften dann zwei Stunden in der Jägerhütte sitzen, wo ständig ein Mann den kleinen Ofen heizte. Trotzdem war es dort so kalt, dass man nicht schlafen konnte. In dieser Zeit habe ich meine Oberschenkel gründlich angefroren. Als ich in einer Nacht bei großer Kälte Posten stand, hörte ich plötzlich neben mir fluchen und schimpfen. Zwei Kameraden hatten einfach ihren Posten verlassen und waren im Begriff zurückzugehen. Sie meinten, bei solcher Kälte ist es unmöglich, so lange draußen zu stehen. Das wäre ein unmenschliches Verlangen! Wohl hatten sie recht, dass es fast unmöglich war, diese Kälte zu ertragen, aber ein Soldat muss auch das Unmögliche tun. Ich redete ihnen Mut zu und bewog sie, wieder auf ihren Posten zurückzukehren, was sie auch taten.

Doch wie war es mir möglich, diese furchtbare Kälte zu ertragen? Ich kann sagen, dass es tatsächlich nur die Kraft Gottes war, die mich hielt. Mein Wille war völlig Gott ergeben und mein Herz floss über vor Freude, dass alle diese Leiden, die über mich kamen, sein Wille und seine Zulassung war. Segensströme erfüllten mein ganzes Sein und Wesen, so dass ich oft mit Freudentränen im tiefen Schnee kniete und in Loben und Danken mein Herz vor Gott ausschüttete. Ich war mitten in der traurigsten Lage einer der glücklichsten Menschen. Ich sehe noch im Geiste den Baum im Wald, wo ich allabendlich mit dem Gemeinschaft pflegte, der auf das Tun der Menschen herabblickt und der alle Dinge weiß. In den Zeiten, da die Wasser der Trübsal am höchsten stiegen, habe ich die köstlichsten Stunden mit Gott erlebt, die ich nicht missen möchte. Mein Gebet war: „Herr, wenn du mich verhungern oder erfrieren lassen willst – hier bin ich! Rette nur meine unsterbliche Seele, läutere mich durch diese Trübsal, dass ich für die Ewigkeit bereit bin“. Und der Herr ließ Ströme des Segens in meine Seele fließen und erfüllte mich mit überschwänglicher Freude. In dieser Zeit erlebte ich wieder eine wunderbare Gebetserhörung.