Schwierigkeiten geistiger Art

Lasst uns also mit den geistigen Schwierigkeiten beginnen. Wie manche suchende Seele erklärt bedrückt, dass ihr die Lehre der Heiligung noch nicht klar sei. Hier liegt das Geheimnis der Not mancher Menschen. Doch wie einfach ist gerade diese Lehre! Ich glaube, dass der Weg, solch eine unbedingt notwendige Erfahrung zu erlangen, so einfach und klar dargelegt werden kann, dass jedes Glied des Volkes Gottes, auch das ungelehrteste und bescheidenste, ihn gehen kann. Das was der Herr von jedem seiner Kinder erwartet, darf doch keineswegs so schwer für das Verständnis sein, dass zu seiner Erkenntnis komplizierte Erklärungen notwendig sind. Wäre aber die Heiligung eine solche „hochphilosophische“ Angelegenheit, die der einfache Mensch nicht fassen kann, dann wäre sie allerdings für ihn auch nicht erreichbar. Das kann jedoch nie der Fall sein. Lasst uns deshalb von der Vorstellung freimachen, dass diese Lehre derart in philosophische Geheimnisse eingehüllt sei, dass sie nicht verstanden werden könne.

In einfachen Worten ausgedrückt bedeutet Heiligung: Herzensreinheit, eine Reinigung von der angeborenen Sünde. Jeder, der wiedergeboren ist, hat von Zeit zu Zeit die Regungen der Sünde gefühlt, die in ihm wohnt. In Röm. 7:17 heißt es: „Nun aber tue nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt“. Es ist gar nicht schwer, die Menschen von dieser Sünde zu überzeugen; denn das ganze Menschengeschlecht ist mit ihr beladen und der Kampf der gerechtfertigten Seele gegen ihre Macht ist eine allgemeine Erfahrung. Sie ist die Ursache aller Nöte der bekehrten Seele und die Quelle des alten Lebens, das der Mensch lebte, als er noch ein Sünder war. Überwundengeglaubte sündiger Neigungen, die immer wieder aufflackern, scheinen dem Bekehrten eine Krankheit zu sein, die sich noch verstärkte, seitdem der Herr ihm dieses neue Leben schenkte. Die Heiligung bedeutet nun das Einziehen des Heiligen Geistes in das Herz des Menschen und damit die Zerstörung der Neigungen zur Sünde.

Ein anderer mag sagen: „Die Predigt, die ich über Heiligung hörte, ließ mir das Ziel so hoch erscheinen, dass es für mich wohl unerreichbar ist. Ich bin zu entmutigt, um mich danach auszustrecken.“ Wie schade ist es, wenn in der Predigt so sehr viel Wert darauf gelegt wird, die Gedanken der Leute nur auf die Erfahrung zu lenken, statt den höchsten Wert und die größte Aufmerksamkeit dem Heiligen Geist zuzuwenden, der doch die Erfahrung gibt. Manchen suchenden Seelen scheint der Weg zur Heiligung mehr ein harter Kampf der Selbsterziehung und Selbstentwicklung zu sein, als ein Werk göttlicher Gnade. Sie ist ihnen gar keine freudige Angelegenheit, weil sie ihnen so sehr viel Mühe machte. Und der Weg, sie zu erreichen, ist so lang, dass diese lieben Menschen jede Begeisterung verlieren, anderen davon zu erzählen und dieses Gnadengeschenk Gottes weiterzuempfehlen.

Es ist auch keineswegs ermutigend, wenn ein Prediger gerade über diesen Gegenstand zu extrem spricht. Einst hörte ich eine Predigt über das Thema „Die völlige Liebe treibt die Furcht aus“. Dieser Mann erzählte seinen Zuhörern, wenn sie geheiligt seien, sie getrost auf einem hohen Gebirgspfad dahinfahren könnten, ohne eine Spur von Angst oder Schrecken zu spüren – selbst wenn das Fahrzeug sich so dicht am Rande eines Abgrunds bewege, dass die Möglichkeit eines Sturzes bestünde! Ist es da ein Wunder, wenn so viele aufrichtig suchende Kinder Gottes wegen solcher Worte später vom Teufel mit allerlei Anklagen gequält werden?

Die Heiligung ist keineswegs dazu bestimmt jene Furcht, die ihren Sitz im natürlichen Instinkt und Selbsterhaltungstrieb des Menschen hat, zu verbannen. Der Herr stattete uns Menschen mit natürlichen Begierden, geschlechtlichen Trieben und gewissen anderen Regungen aus, die er uns keineswegs nehmen will. Wohl will er die Befleckung der Sünde von diesen natürlichen Dingen entfernen, aber keineswegs sie zerstören. Ein früherer Schlemmer und Genießer mag so sehr durch seinen Appetit zu leiden haben, dass er am Ende versucht ist, Gott zu bitten, ihn vollständig davon zu lösen. Doch Gott will nur seine unnatürliche Genusssucht von ihm nehmen, seinen Appetit ihm aber lassen. Die Heiligung ist nicht dazu bestimmt, uns die menschliche Natur zu nehmen, sondern unsere angeborene Neigung zur Sünde. Durch die Gnade Gottes sind wir dann imstande, unsere menschlichen Neigungen zu beherrschen und in rechte Bahnen zu lenken.

Es scheint mir, dass die Apostel gerade die Heiligung ihren Zuhörern in einer einfacheren Weise darstellten als wir, und darum verstanden diese die Dinge auch leichter. Sie predigten über die Dreieinigkeit und baten ihre Hörer zuerst Christus anzunehmen, um gerettet zu werden, und dann auch den Heiligen Geist zu empfangen. Sie machten keineswegs den Fehler, über eine Erfahrung zu reden und den Geber dieser Erfahrung ganz außer acht zu lassen. Ihre Predigt über die Rettung der Seele schloss auch die Aufforderung zur Annahme des Heilandes ein. Und als Paulus die zwölf Jünger in Ephesus antraf, fragte er nicht, ob sie die Heiligung empfangen hätten, sondern seine Frage war: „Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, nachdem ihr gläubig geworden seid?“

Wir sind heute geneigt, die zwei Gnadenwerke nachdrücklich zu betonen und es sind ja auch diese beiden Werke der Gnade für uns vorhanden. Die Apostel jedoch brachten ihren Hörern immer wieder die zwei Personen der Gottheit nahe, die den Menschen die beiden Gnadenwerke übermitteln. Viel leichter ist es, lieben Seelen die Heiligung nahezubringen, wenn man ihre Aufmerksamkeit zuerst auf den Heiligen Geist lenkt, als sie gleich auf eine mit dem Verstand gar nicht zu fassende Erfahrung hinzuweisen. Können wir durch unsere Predigt die Menschen veranlassen, sich dem Willen Gottes zu unterwerfen und sich selbst zu sterben, so dass der Heilige Geist vollen Besitz von ihren Herzen nehmen kann, dann erfordert es keine große Mühe mehr von unserer Seite, die näheren Umstände der Erfahrung zu erläutern, weil selbst der Heilige Geist dieses Werk in den Herzen wirkt. Dass dies so ist, wissen alle, die ihn empfangen haben.

Der Heilige Geist ist kein Gnadenwerk, sondern die Person Gottes selbst. Ihn empfangen bedeutet, auch die Heiligung zu empfangen. Wenn wir Christus in unser Herz aufnehmen, sind wir von unsern Sünden gerettet, wie es in Apg. 13:39 heißt: „Wer an diesen glaubt, der ist gerecht“. Und in Apg. 15:8-9 steht geschrieben: „Gott, der Herzenskündiger, gab ihnen Zeugnis, indem er ihnen den Heiligen Geist gab gleichwie auch uns; und er machte keinen Unterschied zwischen uns und ihnen, da er ihre Herzen durch den Glauben reinigte“. Ein Grund, warum es heute so viele trockene und formelle Heiligungsbekenner gibt, liegt darin, dass sie zu viel Wert auf das Technische und auf die exakte Auslegung der Heiligung gelegt haben, anstatt ihr Augenmerk hauptsächlich auf Christus und den Heiligen Geist zu richten. Das menschliche Herz verlangt nach einem Wesen, das es lieben kann. Ihm, dem Heiligen Geist, wird der Mensch leichter und eher vertrauen als einer bloßen Erfahrung, an der er dann dauernd herumstudieren muss.

Zum Schluss mag noch erwähnt werden, dass wir trotz unserer Herzensreinheit, die wir durch das Aufnehmen des Heiligen Geistes erfuhren, manches noch nicht empfangen haben. Noch allerlei gibt es für den Geist Gottes in unseren Herzen zu tun, nachdem wir geheiligt wurden. Viel christliche Zucht, Wachstum in der Gnade, Übung in geistlichen Dingen, das Dahingeben mancher Dinge und anderes will der Heilige Geist in uns wirken, wenn wir seinem veredelnden Einfluss ergeben sind. Die Sünde jedoch ist vollkommen aus dem Herzen verbannt, seitdem wir geheiligt wurden.