Schwierigkeiten hinsichtlich der Gefühle

„Nun, Schwester, was hast du für Schwierigkeiten?“

„Schon seit zwanzig Jahren suche ich die Erfahrung der Heiligung, ohne zu dem Stand der rechten Gefühle zu kommen“.

„Du hast also einen Mangel an rechten oder, sagen wir es doch besser, an guten Gefühlen. Weißt du denn, dass der Heilige Geist eine Person ist und nicht irgendein Gefühl, und dass die Heiligung ein Werk der Gnade und nicht ein Gefühl ist? Wie kamst du eigentlich zu der Überzeugung, dass die Heiligung aus guten Gefühlen bestehe?“

Um einmal ganz frei zu sein: Ich habe mancher Predigt beigewohnt, wo Prediger mit größtem Nachdruck das Gefühls­element hervorhoben. Viele von ihnen legten großes Gewicht auf die Kundgebungen der Gefühle, die sich in Freude, Jauchzen und manchen anderen Dingen äußerten. Dadurch kam auch ich allmählich zu der Überzeugung, dass ich gerade dieses brauchte, und ich war fest entschlossen, danach zu streben, um es ebenfalls zu besitzen. Einst hörte ich einen Prediger in seiner Rede ausführen, dass eine geheiligte Frau stets überaus liebenswürdig sei und von den glücklichsten Gefühlen beherrscht würde, sogar wenn die Wäscheleine in Stücke ginge und all ihre schöne Wäsche, die sie mit Mühe gewaschen hat, im Schmutz läge.

Ganz gewiss wird der Herr einer geheiligten Frau unter allen Umständen des Lebens Gnade schenken, in seinem Willen zu ruhen. Aber wenn jene Frau die gleiche war, wie all die geheiligten Frauen, denen ich in meinem Leben begegnete, dann wird sie nicht gerade über die besten Gefühle verfügt haben, als sie ihre Wäsche im Schmutz liegen sah. Diese Art der Predigt ist wahrlich nicht die rechte. Es sollte uns allen klar sein, dass die Gefühle einer dem Herrn geweihten Frau anderer Art sind als wie gewöhnlich, wenn sie die Wäsche noch einmal waschen muss. Aber wenn sie auch nicht gerade gute Gefühle über ihr Missgeschick hat, so ist und bleibt sie doch in einem geheiligten Zustand. Auch ich würde nicht jauchzen, wenn ich meine Wäsche im Schmutz liegen sähe.

Der gleiche Prediger belehrte mich fernerhin, wenn ich dem Herrn ganz übergeben sei, wäre es für mich ein Leichtes, zu jeder Zeit liebenswürdig, nett und sanft zu den Kindern zu sprechen, selbst wenn sie unartig, ungehorsam und widerspenstig bis zum Äußersten seien. Und dass ich bei alledem noch die besten Gefühle haben würde. Ich glaube aber, dass die Erfahrung einer Mutter, die ein halbes Dutzend Kinder großziehen muss, oft ganz anders ist. Verstehe wohl, ich will damit nicht sagen, das sie über den Ungehorsam der Kinder aufs höchste erregt wird und sie mit kräftigen Worten ausschimpft. Das sage ich aber: Wenn meine Beobachtung und meine Erfahrung richtig sind, dann sind ihre Gefühle zu solchen Zeiten nicht immer die allerbesten.

Wie entmutigend ist es doch für aufrichtig suchende Seelen, gute Gefühle zum Maßstab ihrer Heiligung zu machen. Jeder Mensch mit einem gesunden Urteilsvermögen weiß, dass seine Gefühle nicht unter allen Umständen die gleichen sein können. Wir können unbeweglich in der Gnade Gottes stehen und ein ihm wohlgefälliges Leben führen, auch wenn unsere Gefühle hin und her schwanken. Wie leicht ist es oft, von Herzen gut zu sein, und welche Anstrengung kostet es zu anderen Zeiten, das gleiche Gefühl aufzubringen! Zuzeiten ist es geradezu ein Bedürfnis, freundlich und nett zu sein, und dann wieder kostet es uns Anstrengung. Warum machen die Leute ihren geistlichen Stand von ihren inneren Gefühlen abhängig? Sie begehen damit einen gewaltigen Irrtum. Gerade das Bestreben nach diesen Dingen hat aufrichtige Menschen in Zweifel gebracht, wo doch Friede und ein herrliches Siegesleben ihnen schon längst hätten beschieden sein können.

Wir wollen mal die Gefühle unseres Herrn und Meisters betrachten. Als er einst am Grab des Lazarus stand, weinte er Tränen des Mitleids und sprach in der zartesten Weise zu Maria und Martha. Einige Wochen später, am Dienstag seiner letzten Woche auf Erden, gebrauchte er die strengste und beißendste Sprache in seiner Anklage gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten. Heuchler, verblendete Lehrer, Otterngezüchte und Prophetenmörder nannte er sie. Er klagte sie weiter an, dass sie wohl schöne Worte fänden, aber ihre Taten seien so ganz anders. Nur gelobt und geachtet zu werden sei ihr Ziel, der oberste Platz in der Synagoge sei ihr höchstes Streben und ihre höchste Befriedigung fänden sie in dem demütigen Gruß der andern. Glaubst du, dass dieselbe Gefühle sein Innerstes beherrschten, als er Tränen des Mitleids und der Trauer um seinen Freund vergoss und dann später seine Anklagerede gegen diese Heuchler hielt? Waren seine Gefühle wohl die gleichen, als er zu der schüchternen Frau, die schon jahrelang den Blutfluss hatte, sagte: „Sei getrost meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen“, und als er die Wechsler aus dem Tempel trieb? Hatte der Herr dieselbe Gefühle, als er sich im Geiste freute und als er in jener Nacht in Gethsemane rang oder gar als er die letzten Stunden am Kreuz verlebte? Waren seine Gefühle die gleichen, als er in jenem trauten Heim in Bethanien weilte oder in jener Nacht, als er verraten und von seinen Verfolgern verspottet und geschlagen wurde?

Wie im Leben unseres Heilandes, so ist es mit jeder geheiligten Seele. Wir können die Heiligung erlangen und unser ganzes Leben in ihr verharren, doch unsere Gefühle werden durchaus den Wechselfällen des Lebens ausgesetzt sein. Wie fühlt ein geheiligter Mensch, wenn er sehen muss, wie unschuldigen Kindern Unrecht angetan wird oder wie der Arme und Bedrückte schlecht behandelt wird? Sollen wir der nach Heiligung trachtenden Seele den Eindruck vermitteln, dass der geheiligte Mensch so rückgratlos und so mit Liebenswürdigkeit erfüllt ist, dass er in aller Behaglichkeit beharrt und es ohne Protest hinnimmt, wenn er sehen muss, wie der Teufel sein Zerstörungswerk an den Seelen verrichtet? Hat wohl ein Prediger die gleichen Gefühle, wenn er von der Herrlichkeit des Himmels redet und wenn er wie Jeremia „mit der Zornglut des Herrn erfüllt“ ist und der Geist des göttlichen Gerichts seine Seele durchdringt, um irgend eine herrschende Sünde in rechten Weise zu beleuchten und bloßzustellen? Hat der Mensch in Zeiten des Kummers und der körperlichen Leiden die gleichen Gefühle, als wenn er glücklich ist und es ihm gut geht?

Denke wohl daran, dass eine übergebene und demütige Haltung unseres Willens sehr notwendig ist, wenn wir unsere Heiligung behalten wollen. Doch unsere Gefühle sind wandelbar. Es ist leicht einzusehen, dass unsere Gefühle nicht immer die besten sein können. Töricht ist es zu sagen, das gute Gefühl wäre für den geheiligten Zustand notwendig. Ich will nun nicht sagen, dass der gottgeweihte Mensch ohne jedes gute Gefühl ist. Ganz im Gegenteil, zuzeiten wird er einen Überfluss davon besitzen; aber verkehrt ist es, sich ganz und gar darauf zu verlassen.

Der vielfach vorherrschende Glaube, dass der Geheiligte immer im Besitz guter Gefühle sein müsse, lässt keinen Raum mehr, sich versucht, gezüchtigt oder ein wenig verletzt zu fühlen, wenn man getadelt wird. Jedes Kind Gottes, das den geheiligten Zustand erstrebt, sollte wissen, das ein geweihtes Leben Verluste, Trübsale, Leiden, Arbeit, Selbstverleugnung und vielleicht sogar das Märtyrertum zur Folge haben kann. Nun wäre die Frage am Platz: Ist es nicht selbstsüchtig, nach guten Gefühlen und angenehmen Zeiten zu streben, wo doch unser Herr so viel für uns leiden musste? Unsere Gefühle sind nicht dazu bestimmt, uns zu führen oder zu beherrschen. Wir wollen sie ganz in unserer Gewalt haben und sie sollen unserem Glauben untergeordnet sein. Wenn wir es lernen würden, mehr rechten Glauben zu üben, dann hätten wir auch öfters die „rechten Gefühle“.

„Wird nun der Mensch wirklich gar keine gute Gefühle haben, wenn er geheiligt wird?“, fragt jemand. Als Erklärung diene folgendes Beispiel: Wenn jemand stirbt und dir eine Million hinterlässt, hast du dann irgendwelche Gefühle? Ja, gewiss. Aber dein Vermögen, das du jetzt dein eigen nennst, ist doch die Hauptsache und keineswegs deine Gefühle. Bedenke doch, dass Gefühle mit den Realitäten des Lebens – auch des geistlichen – nicht viel zu tun haben. Viele, die den Heiligen Geist empfingen, wurden in der Stunde ihrer Weihe von innerer Bewegung gepackt, während andere, die genau so aufrichtig waren, gar nichts von einem Überschäumen ihrer Gefühle bemerkten.

Viele Kinder Gottes, die sehr nach ihren Gefühlen gehen, sagen, dass sie bei diesem Schritt ihres christlichen Lebens volle Klarheit haben möchten. Natürlich wollen sie nur volle Klarheit fühlen. Aber weit besser ist es, sich seiner Erfahrung sicher zu sein, als sich nur ihrer sicher zu fühlen. Der einzige Weg, sicher zu sein ist, der Verheißung Gottes zu glauben. Petrus hatte recht, als er sagte: „Wir haben geglaubt und erkannt“ (Joh. 6:69). Dies ist der einzige Weg für uns, irgend einer Verheißung sicher zu sein, die Gott uns gegeben hat. Petrus sagte nicht: „Wir fühlen und haben erkannt“. Gar ungestüm mögen unsere Gefühle sein und viel Tränen und Bitten mögen sie begleiten; aber Gott kann deswegen seinen Plan für irgend jemand nicht ändern. Alle müssen auf die gleiche Weise kommen. Gott weiß, dass der Weg der Gefühle die Seele auf Dauer nicht befriedigen kann. Nur die, welche wahren Glauben üben, werden voll befriedigt. Alle Freude und aller Friede im christlichen Leben werden uns allein durch den Glauben zuteil (Röm. 15:13).

Ein geheiligtes Leben ist notwendigerweise ein ergebenes und geweihtes Leben. Und keineswegs ist es frei von Kampf, Anstrengung und Leiden. Sehr schädlich ist es, bei suchenden Seelen den Eindruck zu erwecken, dass ein geheiligtes Leben in einer Welt der Sünde und bitterer Gegnerschaft ganz ohne Kampf geführt werden kann. Weder Jesus noch Paulus, noch irgend einer der frühen Prediger gaben uns zu solch einer Einstellung irgend welche Berechtigung.

Das beste für dich ist, den Tatsachen frei ins Angesicht zu schauen. Übergib dein Herz dem Willen Gottes, sei innerlich stark und gefasst zu leiden. Bringe dein Herz dahin, dass Gott dich dein ganzes Leben hindurch seinen Weg führen kann, dann kannst du freudig und bestimmt die Verheißung Gottes für dich in Anspruch nehmen. Ist deine Weihe aufrichtig und echt, dann mögen die Gefühle sein, wie sie wollen. Wenn du den rechten Glauben an die unfehlbare Verheißung deines himmlischen Vaters übst, dann ist der Heilige Geist in deinem Besitz. Gott gibt den Heiligen Geist denen, die ihm gehorchen (Apg. 5:32).