Anfang in Brasilien

Wie ich schon vorher berichtete, fand im Jahre 1908 in Tscher­njachow, Kreis Schitomir, Russland, eine Lagerversammlung statt, der auch Br. Doebert diente. Nach dieser Lagerversammlung kam Br. Doebert bis nach Romanowka, Terekgebiet, im Kaukasus. Es bildete sich dann auch dort eine Versammlung der Gemeinde Gottes. Auch Br. Ebel besuchte diese Geschwister.

Gegen Ende des ersten Weltkrieges verließen unsere Geschwister jene Gegend und kamen nach mancherlei Wanderungen über Lettland in den Osten Deutschlands. Einige dieser Brüder besuchten im Jahre 1921 unsere Lagerversammlung in Essen und traten von da an mit der Gemeinde Gottes in Verbindung. Andere waren schon von Russland her mit uns bekannt. Im Jahre 1922 wanderten diese Geschwister mit ihren Familien nach Brasilien aus, siedelten sich im Staate Santa Catarina an und gründeten hier den Ort Neu-Hoffnung (Nova Esperanca).

Der Anfang musste im Urwald gemacht werden und war verständlicherweise sehr schwer. Doch nach ihrem Erzählen ging es ihnen in diesen Notzeiten im geistlichen doch ganz gut. Es bewahrheitete sich das Wort, dass Not beten lehrt.

Im Dezember 1935 kam Br. David Meier mit Familie von USA nach Brasilien, um hier mitzuhelfen. Einige Monate später, im April 1936, trafen meine Frau und ich mit unserer Tochter Else hier in Brasilien ein. Ende jenes Jahres folgte mein Sohn Heinrich einer Einladung der Gemeinde, in den Missionsdienst nach Brasilien zu kommen. Er und eine Tochter (Klara) von Br. Josef Krebs trafen im Dezember 1936 bei uns ein. Im April 1939 kam dann noch Br. Josef Krebs mit seiner Tochter Frieda nach Brasilien.

Auf Wunsch der Gemeinde ließen wir uns als erstes in Neu-Hoffnung nieder. Außer Neu-Hoffnung und Serra Pinhal waren in Brasilien noch 4 Versammlungen der Gemeinde Gottes: in Rio das Antas, Staat Santa Catarina, in Guarany, Staat Rio Grande do Sul, in Lettonia und in Wenzeslau, Staat São Paulo. Das alles waren Gemeinden von Kolonisten oder Farmer, die hauptsächlich aus dem Ausland gekommen waren, um hier einen neuen Anfang zu machen.

Hier in Neu-Hoffnung, wie auch an den anderen Orten, ging es sehr arm zu. Es ist eben nicht leicht, bis man aus dem Urwald seinen Lebensunterhalt gewinnt. Zudem war in jener Zeit der Absatz für landwirtschaftliche Erzeugnisse sehr schwach, so dass die Leute sehr wenig Geld hatten. Die Armut war wirklich groß. Trotzdem versuchten die Leute uns von Anfang an zu unterstützen. Doch wir sahen bald, dass das nicht gut geht und fingen selbst an, auf dem Lande für unsern Lebensunterhalt zu arbeiten.

Die Gemeinde in Neu-Hoffnung hatte ein Stück Land als Eigentum, das sie von Bruder Friedrich Hinz gekauft hatte. Dieses Land war einige Hektar groß. Im Laufe der Zeit kauften wir noch ein Stück dazu. Neben der Landarbeit dienten wir den Geschwistern, reisten auch im Lande herum und besuchten die anderen Gemeinden, um dort Gottesdienste zu halten, und kamen so auch bis nach Argentinien.

Nachdem Br. Krebs kurze Zeit in Brasilien gedient hatte, zog er mit seiner Tochter Frieda nach Argentinien und wirkte in den folgenden Jahren größtenteils dort. Br. Adolf Weidmann war schon Anfang 1937 nach Argentinien übersiedelt und arbeitete nun mit Br. Krebs zusammen.

Als wir 1936 nach Brasilien kamen, standen wir etwa im 50. Lebensjahr. Unsere Tochter Else war damals 14 Jahre alt. Die Arbeit auf dem Lande fiel uns nicht leicht. In Deutschland hatten wir mit dieser Arbeit nichts zu tun und waren daran nicht gewöhnt. Doch was tut man nicht alles aus Liebe zu dem Werke Gottes! Wir suchten ja nicht das Unsere. Mein und meiner Frau Wunsch war es, dem Werke in Südamerika so gut wie möglich zu dienen. Wir wollten dabei, wie es Paulus tat, den Geschwistern so wenig wie möglich eine Belastung sein. Auch wollten wir andern damit zum Vorbilde dienen und mit reinen Beweggründen tätig sein. Es ist nicht mein Gedanke, dass andere uns nachahmen sollen. Aber als ältere Prediger sahen wir es für gut und vom Herrn an, es so zu halten – ähnlich wie es Paulus tat, der sich nur wenig unterstützen ließ. Trotzdem denke ich, dass es die Pflicht der Gemeinde ist, den Prediger zu unterstützen. Auch ist das gemäß dem Worte Gottes in 1. Kor. 9:1-23 und Lk. 10:7. In ähnlicher Weise taten wir auch, als wir 1949 von Neu-Hoffnung nach Rio das Antas zogen und an der Bibelschule dienten. Die Unterstützung war so schwach, dass wir mit unseren Bibelschülern auf dem Lande arbeiteten, um den Lebensunterhalt zu haben. Es war ja damals im Irdischen allgemein sehr arm.

Hier in Brasilien mussten wir erst noch lernen mit Pferden, Kühen und Schweinen umzugehen. Ebenso lernten wir hier mit Hacke, Waldmesser und Axt zu arbeiten. Um den Dienst in der Gemeinde zu versehen, mussten wir noch reiten lernen. Alles dieses ist ja denen, die hier im Lande ansässig waren, eine Selbstverständlichkeit. Als ich einmal ein Pferd bestieg, zog ich die Zügel so stark an, dass das Pferd mit mir rückwärts fiel. Doch das Pferd und ich kamen wieder heil auf die Beine. Als ich anfangs einmal mit dem Pferdewagen fuhr, kamen wir in den Graben am Weg. So gab es allerlei Neues zu lernen und sich in die Verhältnisse hier in Brasilien einzuleben. Als ich einmal Kürbisse, die wir zu Futterzwecken brauchten, den Berg herunterrollte, kam ein Kürbis einem Pferd zwischen die Füße. Die Pferde scheuten und rissen aus. Dabei wurde der Wagen auseinandergerissen, doch ging alles noch einigermaßen gut ab.

Außer der Versammlung in Neu-Hoffnung dienten wir auch noch auf der Serra, das eine Landgemeinde auf einem Berg in der Nähe war. Im Laufe der Zeit wurde dort auch ein Bethaus gebaut. Auf dem befahrbaren Weg benötigte man dorthin ungefähr zwei Stunden, doch es gab noch einen kürzeren Weg durch den Wald. Darauf gab es einen steilen Aufstieg, der teilweise über einen Felsen ging, wo man sich an Wurzeln und Zweigen festhalten musste, um hinaufzuklimmen. Und ich hatte noch die Tasche für das Liederbuch und die Bibel und eine Stalllaterne für den Rückweg in der Nacht dabei. Etwa einen Kilometer führte der Weg durch dichten Urwald. Damals gab es noch viele Affen und andere Tiere, auch an Schlangen fehlte es nicht. Ich erinnere mich gut, wie ich in einer Nacht mit der Laterne den schmalen Waldpfad entlang ging. Da muss ein größeres Tier vor mir und dem Licht die Flucht ergriffen haben, denn es gab plötzlich einen furchtbaren Krach. Später machten die Brüder einen etwas besseren Pfad, und es war dann leichter, zu dieser Versammlung zu kommen.

Straßen und Bahnverhältnisse waren während vieler Jahre sehr primitiv. Unsere nächste Eisenbahnstation war Hamonia, 45 km von Neu-Hoffnung entfernt. Das war eine Tagesreise mit dem Pferdewagen. Eine andere Reisemöglichkeit bestand damals nicht. Des Öfteren machten wir die Reise von Neu-Hoffnung nach Rio das Antas. Dabei reisten wir 3-4 Tage mit Pferden, Bahn und Bus. Doch der Herr gab Gnade, dass meine Frau und ich nicht unzufrieden wurden, und trotz der vielen widrigen Verhältnisse bewahrten wir uns dankbare Herzen. Was wir getan haben, taten wir ja nicht für uns, sondern für den Herrn.

Es wäre uns auch nicht schwer gewesen, für uns in Nordamerika zu werben, um Geld zu erhalten. Wir waren ja mit Br. Karl Arbeiter persönlich bekannt und dieser lebte damals noch etliche Jahre in den USA. Auch hatten wir das Vertrauen der Geschwister. Doch wir hatten gelernt, nach oben zu schauen und nicht auf Menschen zu blicken. Ungefähr 10 Jahre lang wurden wir von niemand unterstützt, dann bekamen wir von der Christian Unity Press eine Zeitlang monatlich 15 Dollar Mithilfe. Wir sind den Geschwistern heute noch dankbar, dass sie uns eine Zeitlang geholfen haben. Gott segne sie dafür.

Der Weg, den Gott mich und meine Frau hier in Brasilien führte, war ähnlich wie früher, als ich meine kaufmännische Laufbahn aufgab und als Arbeiter in die Fabrik und ins Bergwerk ging. Wie ich schon schrieb, lernte ich es damals aus praktischer Erfahrung kennen, wie es den Arbeitern geht und konnte so später der Gemeinde in Essen verständnisvoller dienen, als wenn ich nur Kaufmann gewesen wäre. So ging es auch jetzt. Durch viele Jahre dienten wir hier in Brasilien in Gemeinden, die fast ausschließlich aus Kolonisten oder Farmern bestand. Wie hätten wir diese Leute verstehen und ihnen eine Hilfe sein können, wenn wir nicht selbst Kolonisten geworden wären? Es hätte sonst mancher sagen können: „Der versteht uns nicht“, oder „Der hat leicht zu reden“, oder „Lass ihn doch einmal so wie wir den ganzen Tag in der großen Hitze im hohen Mais oder Zuckerrohr arbeiten, dann würde er anders sprechen.“ So mussten wir auch in allen Dingen unsern Brüdern als Kolonisten gleich werden, um sie in ihren Kämpfen verstehen zu lernen, barmherzig zu sein und mit ihnen zu fühlen. Diese Arbeit haben wir viele Jahre hindurch getan. Was weiß eine Frau in der Stadt davon, wenn einer Kolonistenfrau die Kuh beim Melken mit dem schmutzigen Schwanz ins Gesicht schlägt, oder wenn die Kuh ausschlägt, die Milch ausschüttet und man dabei noch verletzt wird? Und noch vieles mehr, was das Leben im Urwald mit sich bringt.

Noch heute danke ich Gott beim Rückblick für seine wunderbare Führung. Auch in dieser Beziehung ist alles, was der Herr tat, sehr gut.