Eine Predigt vor dem Gouverneur

Während unserer Reise durch Indien kamen wir eines Tages in die Stadt Bogra. Sie hatte 10.000 Einwohner und war die Distrikthauptstadt. Der Gesamtdistrikt umfasste 4500 Städte und Dörfer. Das gesamte Gebiet war dem Götzendienst ergeben. Die Botschaft von Jesus war bis vor eineinhalb Jahren noch nicht hierher gedrungen und man erzählte uns, dass nur zwei Missionare mit aller Vorsicht das Werk des Herrn trieben.

Gegen Mittag erreichten wir den belebten Marktplatz, auf dem sich annähernd zweitausend Menschen befanden. Es waren Angehörige der einfachen und niederen Kasten. Nach dem Singen einiger Lieder und einer kurzen Predigt fanden wir, dass es schwer war, die Leute inmitten des Marktbetriebes zu fesseln.

Unter dem Eindruck, dass die Abhaltung eines Abendgottesdienstes der rechte Weg sei, ersuchten wir beim Gouverneur die Erlaubnis, den Gottesdienst im Regierungsgebäude abhalten zu dürfen und versäumten nicht, ihn und seine Freunde besonders einzuladen. Als wir abends den Versammlungsraum betraten, fanden wir zu unserer Überraschung, dass er mit vornehmen Hindus und den Obersten der Stadt gefüllt war.

Mein Thema lautete: Der Unterschied zwischen der Anbetung der Götzen und Jesus Christus. Kaum hatte ich fünf Minuten gesprochen, als sich zu meinem Erstaunen die gesamte Zuhörerschaft erhob. Jemand flüsterte: „Der Gouverneur kommt“.

Dann erschien er mit seinen Stabsoffizieren, Ärzten und der Leibgarde im Versammlungsraum. Die Leibgarde stellte sich im Seitengang auf, während der Gouverneur zwischen ihnen nach vorne schritt. Er setzte sich und die Offiziere bildeten zwei Halbkreise um den Gewaltigen. Außerhalb des Gebäudes stellte sich eine besondere Wache auf.

Während sich dies seltsame Schauspiel vor mir abspielte, bedrückte der Zweifel mein Gemüt, ob ich die Weiterführung des angefangenen Themas in Gegenwart des gewaltigen Herrschers wagen konnte. Ich hatte vorher in der Umgegend Gruppen blinder Menschen gesehen und auf Befragen erfahren, dass sie geblendet worden waren, weil sie ihren Gebieter, der jetzt als Zuhörer vor mir saß, erzürnt hatten. Hatte er nicht Macht, auch mich wegen meines Unterfangens, ihm den Irrtum seines Glaubens vorzuhalten, zu strafen, da dies doch der Gegenstand meiner Predigt war. Ihm die Botschaft von Jesus nahezubringen, ohne seinen Zorn zu erregen, und diesen Heiden die nötige Hilfe zu bringen, war meine Sorge. Ich beschloss, den Gottesdienst so zu halten, als ob er mein letzter wäre. Ich wusste, dass ich sie nicht für Christus gewinnen würde, wenn ich in meiner Predigt ihre Götter tadelte, sondern ich musste ihnen zeigen, dass es etwas Besseres als ihren Götzendienst gibt. Noch einmal wiederholte ich kurz das bereits Gesagte und begann dann, ihnen von Christus, seinem Charakter, seinem Leben, seinem Dienst an der Menschheit und seiner Macht zu erzählen. Auf meine Frage, ob alle Anwesenden dem Götterglauben ihrer Vater huldigten, folgte allgemeines Kopfnicken. Ich bemerkte, wie auch der Herrscher freudig nickte und so seiner Glaubensüberzeugung Ausdruck gab. Sie alle waren stolz auf ihren heidnischen Götzendienst.

Mit größtem Interesse folgte der Gouverneur meinen Ausführungen. Gott half mir, den Anwesenden die Schönheit des Lebens und der Lehre Jesu Christi nachhaltig vor die Seele zu stellen und sie dann über all das Gute, dessen ein an Christus Gläubiggewordener teilhaftig wird, zu belehren. Mich nun an den Herrscher wendend, fragte ich: „Empfangen Sie auch so viel Gutes durch die Anbetung Ihrer Götter?“

„Nein“, entgegnete er.

Dies Bekenntnis befähigte mich, die Friedensbotschaft noch klarer und eindringlicher zu verkündigen. Nach Schluss des Gottesdienstes wurde ich dem Herrscher vorgestellt. Er ergriff meine Hand und sagte:

„Ich danke Ihnen für Ihre Rede. Noch nie wurde in solcher Weise über diese Dinge zu uns gesprochen.“ Er bedauerte es, keinen passenderen Platz für unsere Gottesdienste zu haben, und fragte, wie lange ich bleiben könnte, um weitere Gottesdienste zu halten.

Ich musste ihm jedoch eröffnen, dass ich bereits meine Schiffskarte nach Amerika gelöst hatte und meine Abreise am nächsten Morgen erfolgen müsse. Er bat mich, doch noch eine Woche zu verweilen. Sie alle würden jeden Abend kommen und den Versammlungen beiwohnen.

„Ich bin sehr interessiert und möchte gern mehr hören“, so sprach dieser Heide.

Eine halbe Stunde verweilten wir im Gespräch und all die vornehmen Hindus saßen dabei und hörten mit größtem Interesse zu. Klar und eindringlich sprach ich zu ihm über den Weg zur Erlangung der Heilsgewissheit und wagte dann die Frage: „Sind Sie gerettet?“

„Leider nicht“, entgegnete er, „aber ich bin sehr interessiert für diese Lehre.“

Beim Verlassen des Gebäudes nahm er mich am Arm. Draußen gewahrte ich die stattlichste Karosse und die schönsten Pferde, die ich je sah. Sogleich bildeten die Offiziere einen Kreis um uns und wir verweilten weitere 20 Minuten in angeregtem Gespräch. Noch einmal bat er mich, doch zu bleiben oder jemand anders zu senden, der ähnliche Botschaften brächte. Ermutigt durch diesen wunderbaren Eingang hätte ich hier zu gern noch länger verweilt, um das Evangelium zu verkünden. Der Herrscher dieses großen Gebietes sowie die einflussreichsten Männer waren begierig, das Evangelium zu hören, obwohl sie Heiden waren.

Früh am nächsten Morgen kam ein Bote des Herrschers und fragte nach mir. Zum Zeichen seiner Untertänigkeit verbeugte er sich vor mir, der Sitte gemäß, dreimal bis zur Erde. Dann reichte er mir einen großen Teller voll schönster Früchte als Geschenk seines Herrn. In ihrer geschmackvollen Anordnung bildeten sie ein herrliches Farbenspiel, wie es eben nur dieses Land hervorbringen kann. In einem beiliegenden Brief drückte der Gouverneur seinen Dank für den gehaltenen Gottesdienst aus und bat mich, diese Gabe als Zeichen seiner Wertschätzung anzunehmen. Er schloss mit den besten Wünschen für eine glückliche Heimkehr und mein baldiges Wiederkommen.