Der Mann mit der Reitpeitsche

Während einer Lagerversammlung in den Wäldern Lousianas, weitab von den großen Straßen, sagte ein Prediger zu mir: „In dieser Gegend lebt ein gefürchteter Anführer. Regelmäßig ist er in unseren Gottesdiensten zugegen und belästigt die Prediger. Wahrscheinlich wird er auch dich bei der Wortverkündigung nicht ungestört lassen.“

Wie gesagt, so geschah es. Doch die Art und Weise, wie er mich zu stören versuchte, war eine andere als sonst. Sonst war es seine Gewohnheit, mitten im Gottesdienst aufzustehen und Fragen an den Prediger zu richten, die oft in gar keinem Zusammenhang mit der Predigt standen. Mit dieser Handlungsweise versuchte er, den Redner zu verwirren und den Zuhörern ihr Interesse am Gottesdienst zu nehmen. Er war ein Mensch gleich dem Richter in Luk. 18:2, der sich weder vor Gott noch vor den Menschen fürchtete.

Eines Abends hatte ich nach der Predigt meine erste Begegnung mit jenem Mann. Als der Bußruf erscholl, kamen 14 Personen nach vorn, um Heil und Frieden mit Gott zu suchen. Gerade wollte ich das Rednerpult verlassen, um mit diesen Seelen zu beten, als ich aus der äußersten Ecke des Zeltes die herausfordernden Worte vernahm: „Ich wünsche, Sie hier draußen vor dem Zelt zu sprechen.“ Ich schaute nach dem Mann, der die Worte so ärgerlich ausgestoßen hatte, und erkannte den Gefürchteten. Freundlich entgegnete ich ihm, dass mein Platz jetzt an der Bußbank sei.

„Nein, ich will Sie jetzt sogleich hier draußen im Wald sprechen.“

„Warten Sie nur noch so lange, bis ich mit den Seelen hier an der Bußbank gesprochen habe, danach will ich gern auch mit Ihnen sprechen.“

Fürchtend, dass ich dem Wunsch des Mannes nachkommen würde, war der Gemeindeprediger zu mir getreten und warnte mich mit flüsternder Stimme hinauszugehen, da mir sonst Schlimmeres begegnen würde.

Bis auf zwei hatten sich schon nach kurzer Zeit die nach vorne gekommenen Seelen zum Sieg durchgebetet und die Versammlung wurde entlassen. Längere Zeit rangen wir noch mit den zwei Zurückgebliebenen, bis auch sie sich des Heils ihrer Seele erfreuten. Das Zelt war jetzt fast leer. Vergeblich suchte ich nach dem Störenfried, er war nirgends zu finden. In einiger Entfernung vom Zelt befand sich das Heim des Gemeindepredigers, bei dem ich über Nacht weilte. Ein schmaler Pfad durch den Wald führte zu der Landstraße, an der das Haus lag.

Es war eine helle Mondnacht, doch die Kiefern am Rande des Weges warfen dunkle Schatten. Als ich an die Stelle kam, wo der Pfad und die Landstraße sich kreuzten, sah ich im hellen Mondlicht unter dem Schatten eines Baumes am Rande der Straße einen Reiter auf einem Maulesel. Als er mich sah, stieg er ab und ging mir entgegen. Jetzt erkannte ich meinen Herausforderer, der mir, mit einer langen Reitpeitsche bewaffnet, mit finsterer Miene entgegenkam.

Ich blieb stehen, bat schweigend Gott um Schutz und Weisheit, widerstand dem Bösen in ihm und glaubte gemäß Lukas 10:19, dass der Herr mir Macht über den Satan gäbe. Alle Furcht hatte mich verlassen, als er, mit der Peitsche in der Hand, sich mir näherte. Die lange Schnur wirbelte durch die Luft und konnte im nächsten Augenblick zum furchtbaren Schlag ausholen. Mit ärgerlicher Stimme sagte er:

„Sie wissen ja, was Sie heute Abend predigten.“

„War es denn etwas Besonderes?“

„Sie wissen, was Sie über Freimaurerlogen und ähnliche Verbindungen sagten.“

„Ja, ich sagte, dass es das Recht des Menschen sei, sich jeder Vereinigung anzuschließen, zu der er sich hingezogen fühle, doch gezieme es sich nicht für einen Christen. Mein Thema hieß: Die Freiheit des Evangeliums und die Vorrechte des Volkes Gottes.“

„Aber Sie wissen, was Sie über Tabak sagten.“

„Ja, ja, ich erinnere mich, dass ich sagte, es sei das Vorrecht jedes Menschen, soviel Tabak zu kauen oder zu rauchen wie er nur möchte, doch für einen Christen wäre der Gebrauch dieses Genussmittels ungebührend.“

Während unserer Unterhaltung wurde der Mann immer wütender und konnte sich kaum im Zaum halten. Aufgeregt ließ er die lange Schnur seiner Peitsche durch die Luft sausen. Als wolle er noch das letzte Wort sagen, ehe er die Reitgerte niedersausen ließ, schrie er die Worte: „Sie sagten, es wäre eine schmutzige Angewohnheit!“

„Fragen Sie ein Kind. Meinen Sie nicht, dass es Ihnen das Gleiche sagen würde?“

„Das mag sein“, sagte er und die Hand, die eben noch die Peitsche durch die Luft sausen ließ, hing schlaff herunter. Ja, es schien, als könne die Peitsche jeden Augenblick aus seiner zitternden Hand gleiten.

„Wenn Sie einen Jungen oder ein Mädchen hätten, würden Sie es wohl gern sehen, dass Ihr Kind Ihr Beispiel nachahme?“

Ich erzählte ihm dann von einem Gespräch, das ich über den Gebrauch des Tabaks mit einigen Männern in Kalifornien hatte, und auch dass die Leute in Indien „pan“ statt Tabak kauten. Aufmerksam hörte er meinen Bericht an und schien für meine Missionserlebnisse recht interessiert zu sein. Auf meine Uhr schauend, sagte ich dann: „Es ist bereits spät. Ich muss jetzt gehen. Ich hoffe, Sie kommen morgen zum Gottesdienst.“

„Wahrscheinlich nicht.“

„Doch, kommen Sie nur morgen.“

„Ich weiß nicht, es könnte aber sein.“

„Ich werde mich freuen, wenn Sie kommen. Gute Nacht.“

Als ich ihm meine Hand zum Abschied reichte, war jegliche Härte und Kälte aus der Seele dieses Mannes gewichen. Kräftig schüttelten wir uns die Hände. Der Mann bestieg seinen Maul­esel und ritt friedlich nach Hause.

Nie erzählte ich dieses Erlebnis, ohne Gott das schuldige Dankesopfer für seinen Schutz und die herrliche Gebetserhörung zu bringen.