Vorbereitungen für eine Reise nach Indien

Im August des Jahres 1903, als ich gerade auf einer Lagerversammlung in Claypool, IN, weilte, erhielt ich den bestimmten Eindruck, mit Bruder Khan, einem bekehrten Mohammedaner, nach Indien zu reisen. Ich hatte mit ihm bereits ausgedehnte Reisen durch Amerika unternommen. Nun wollte er im kommenden Januar in seine Heimat zurückkehren. In jener Zeit war unser Missionswerk in den heidnischen Ländern noch wenig verbreitet. Darum war es notwendig, dass jemand von uns einmal solch eine Reise unternahm, um die Möglichkeiten und die allgemeine Lage des Missionswerkes unter den Heiden kennenzulernen und um festzustellen, wo wir neue Missionsfelder eröffnen und mit dem Schriftenbetrieb beginnen könnten.

Ich besprach meinen Plan mit einigen Brüdern, die ebenfalls zu seiner Ausführung rieten. Dem Plan gemäß wollten wir zunächst nach Liverpool und London fahren, dann nach Tanger und Marokko in Nordafrika, um die Bitte eines dort wirkenden Missionars, ihn doch einmal zu besuchen, zu erfüllen. Dann wollten wir nach London zurückkehren, um von dort auf dem Festland über Frankreich, die Schweiz und Italien nach Ägypten und Palästina zu reisen.

Unser Ziele in Indien sollten Bombay und Kalkutta sein. Mein Reiseweg heimwärts sollte mich über China, Japan und Hawaii nach San Francisco führen. In Europa beabsichtigten wir den Besuch größerer Bibliotheken – des Britischen Museums und des Vatikans in Rom. Das Studium von einigen der ältesten griechischen Handschriften der Bibel war das weitere Ziel.

Zu jener Zeit waren keine Geldmittel zur Ausrüstung und Sendung von Missionaren vorhanden. Doch im Gebet schenkte mir der Herr die Gewissheit, dass mein Vorhaben unter seiner Führung und Leitung stand. Es galt aber auch noch andere Schwierigkeiten zu überwinden.

Frau und Kinder waren mit meiner Reise keineswegs einverstanden und es gab jedesmal Tränen, wenn dieses Thema berührt wurde. Gern sahen sie es, dass ich mich der Reichsgottessache widmete, doch sie fürchteten, dass ich von solch einer Reise nie wieder heimkehren könnte. Ein weiteres Hindernis war meine verantwortliche Stellung im Werk. Ich kannte niemand, der meinen Platz als Hauptschriftleiter und Vorsteher des Verlagswerkes so schnell ausfüllen könnte und wollte, zumal ich meine Arbeit bereits 16 Jahre ohne ein festes Gehalt ausführte. Geld zur Reise besaß ich nicht, wusste auch nicht, wie ich es hätte beschaffen können. Von dem Gedanken, in der „Evangeliums Posaune“ zu einer Spende aufzurufen, war ich abgeneigt.

Kurze Zeit vorher hatte ich mich entschlossen, 100 Dollar für das Verlagswerk zur Deckung einer Schuld einzuzahlen, doch war ich bis dahin dazu außerstande gewesen. Auch diese Angelegenheit hätte ich noch gern vor meiner Abreise geregelt.

Wir wohnten damals in Moundsville. Bruder Khans Abreise stand kurz bevor und ich musste mich in wenigen Tagen entschließen. Machte ich jetzt einen Fehler, dann konnten sehr nachteilige Folgen für mich und das Werk entstehen. Ich brauchte deshalb eine klare Antwort von Gott. Wohl fühlte ich, dass meine Reise nach dem Willen des Herrn war, doch all die Hindernisse standen noch im Wege. Das Gebet war meine einzige Zuflucht.

Drei Tage und drei Nächte verbrachte ich mit Beten und Fasten und aß und trank in jenen Tagen nicht. In dieser Gebetsstimmung verrichtete ich meine täglichen Arbeiten und verweilte so oft wie möglich in meinem Gebetskämmerlein. Ich rief zu Gott, wenn meine Reise nach seinem Willen wäre, möge er doch meine Frau und Kinder umstimmen und all die Hindernisse hinwegräumen, die meinem Plan entgegenstanden.

Als ich die dritte Nacht vor meinem Bett im Gebet verweilte, erhielt ich die bestimmte Antwort vom Herrn, dass meine Bitte gewährt sei. Ich wusste, nun würde sich alles noch zum Guten wenden. Drei Tage lang war jegliches Bedürfnis zur Nahrungsaufnahme gewichen, doch als nun der Kampf beendet war, verlangte auch der Leib wieder sein Recht.

Kurze Zeit danach suchte mich ein Bruder auf und sagte: „Ich hörte von deiner Absicht, nach Indien zu gehen. Meine Frau und ich fühlten uns gedrängt, dir dieses Geld zu geben, um so an der Ausführung deines Planes mitzuhelfen. Wir spürten sichtlich den Segen des Herrn, als wir uns zu dieser Gabe entschlossen.“

75 Cent hatte mir der liebe Bruder zurückgelassen. Ich zögerte zunächst, die Gabe überhaupt entgegenzunehmen, denn die zwei lieben Menschen waren sehr arm. Doch ich hatte meinem Herrn versprochen, jede Erfüllung meiner Bitte anzunehmen. War diese Summe auch nicht groß, sondern eher mit dem Scherflein der Witwe vergleichbar, so war diese Gabe doch das erste äußere Zeichen der Erhörung meiner Gebete. Darum nahm ich das angebotene Geld dankbar an. Auch dankte ich sogleich auf den Knien meinem Gott für die Erhörung.

Kaum hatte ich mein Arbeitszimmer wieder aufgesucht, als ein anderer Bruder kam und zu mir sagte: „Schuldest du dem Werk Geld?“

„Ja“, entgegnete ich.

„Wie hoch ist die Summe?“, fragte er weiter. „100 Dollar, nicht wahr?“

„Ja, 100 Dollar, aber warum fragst du danach?“

Hierauf sagte er: „In der vergangenen Nacht erwachte ich aus tiefem Schlaf. Darauf wurde mir ein bestimmter Eindruck vom Herrn übermittelt, dass du dem Werk 100 Dollar schuldest und ich die Schuld bezahlen solle.“

„Bist du auch sicher, dass es Gott war, von dem du diesen Auftrag empfangen hast?“

„Ja, ja“, entgegnete der Bruder, „lehne bitte die Gabe nicht ab.“ Darauf nahm er 100 Dollar aus seiner Tasche und gab sie mir. Wieder hatte ich einen Grund, mich in meinem Gebetskämmerlein zurückzuziehen und Gott für die Erhörung meiner Gebete zu danken. Noch am Nachmittag desselben Tages erlebte ich eine weitere Freude, denn meine Frau und Kinder erklärten sich mit meiner Abreise einverstanden. Alle Tränen waren auf einmal versiegt und nun halfen sie mir, die umfangreichen Vorbereitungen zu treffen, die zu solch einem Unternehmen notwendig sind. Ja, sie und auch noch andere halfen, für das Gelingen des Planes zu beten.

Der Herr führte mich nun auch mit einem Bruder zusammen, von dessen Fähigkeiten, mich in meinem jetzigen Wirkungskreis zu vertreten, ich überzeugt war. Als ich ihn darum bat, erklärte er sich bereit, einen Teil meiner Arbeit zu verrichten, während sich noch andere Brüder fanden, um die Verantwortung für die übrigen Angelegenheiten zu übernehmen. Jener Bruder riet mir, doch einen Aufruf in die „Evangeliums Posaune“ zu setzen, um auf diese Weise die Mittel zur Bestreitung der Reisekosten zu erhalten. Die Leser wären am Missionswerk gewiss sehr interessiert und würden gern ihr Scherflein beitragen, wenn sie von diesem Plan wüssten.

Ich sagte ihm, dass ich solch eine Bitte nicht an die Leserschaft richten möchte, doch wäre mir an ihren Gebeten sehr viel gelegen. Und der Herr könnte sie dann auch anregen, die Mittel zur Durchführung des Planes zu geben. Der Bruder sagte dann: „Überlasse bitte diese Angelegenheiten mir.“

In einer kurzen Notiz teilte er dann den Lesern der Evangeliums Posaune den Plan meiner Reise mit und bat um die Gebete der Gläubigen, damit Gott das Gelingen und die sichere Rückkehr schenke. Die Notiz enthielt eine weitere Bemerkung, dass ich zu den Heiden im Glauben ginge und dem Herrn vertraue, mir die notwendigen Mittel für die Reise zu verschaffen. Nun floss von den verschiedensten Seiten, teilweise von Menschen, die mir ganz fremd waren, Geld in meine Reisekasse. Meine Fahrkarte über London, Liverpool und Gibraltar nach Nordafrika und zurück nach London musste ich eine Woche vor der Abfahrt lösen.

Ich hatte zur rechten Zeit genügend Geld für die Fahrkarte und konnte noch einen Reisekoffer und andere zur Reise notwendigen Sachen kaufen. Am Reisetag hatte ich sogar noch einige Dollar als Taschengeld übrig. Alles weitere überließ ich dem Herrn, denn für den zweiten Teil der Reise nach Indien hatte ich noch keinen Cent in der Tasche.

Unser Schiff schwamm bereits mitten auf dem Ozean, als ich mich gedrungen fühlte, den Herrn um eine Erhöhung meines Taschengeldes zu bitten, damit ich alle mir auf dieser Reise entstehenden Unkosten bestreiten könne. So verbrachte ich in meiner Kabine eine Zeit im innigen Gebet. Niemand wusste darum und keiner hörte es. Danach suchte ich den Tagesraum auf. Eine ältere Dame, die darin saß, kam bald auf mich zu und fragte: „Sind Sie ein Missionar?“

„Ich bin auf einer Missionsreise“, entgegnete ich. Sie richtete noch einige Fragen an mich, dann streckte sie ihre Hand aus und ließ eine Zweidollarnote in die meine fallen mit den Worten: „Vielleicht können Sie diese Kleinigkeit auf Ihrer Reise gebrauchen.“

Nun erzählte ich ihr von meinem Gebet vor einigen Minuten.

„Wie freue ich mich, dass Sie das berichten, denn als Sie dieses Zimmer betraten, fühlte ich mich getrieben, Ihnen das Geld zu geben. Die innere Anregung war tief und nachhaltig und eine Stimme schien mir zu sagen, dass Sie ein Missionar seien und das Geld sehr benötigten. Deutlich fühlte ich die Führung des Geistes Gottes. Dass ich recht tat, ist außer allem Zweifel, seitdem Sie mir von Ihrem Gebet berichteten.“

Samstag nachmittag erreichte unser Schiff Liverpool. Am nächsten Morgen und Nachmittag hielten wir in dem 15 Meilen entfernt liegenden Ort Ehester Gottesdienste ab. Abends kehrten wir dann nach Liverpool zurück, wo einer von uns in der großen St.-Pauls-Halle den Abendgottesdienst halten sollte. Bei unserer Ankunft fanden wir, dass die Menge uns bereits sehnlichst erwartete, weil der Gottesdienst schon begonnen hatte.

Der Versammlungsleiter begrüßte uns an der Tür und führte uns zum anderen Ende der Halle. Dann griff er in die Tasche und gab mir eine goldene Münze im Wert von nahezu 5 Dollar mit den Worten: „Nehmen Sie bitte das Geld. Schicken Sie mir für ein Jahr die Evangeliums Posaune und benutzen Sie das Übrige zum Auffüllen Ihrer Reisekasse.“ Ich dankte ihm dafür, hatte aber leider keine Gelegenheit, ihm von meinem Gebet in der Schiffskajüte zu berichten.

Bald waren wir wieder auf dem Schiff, das uns nach Nordafrika bringen sollte. Wir trafen dort unseren Missionsfreund, der uns als Gäste aufnahm und alle entstehenden Ausgaben selbst bezahlte. Immer wieder hatte ich Grund, die Güte Gottes zu preisen, der gemäß seinen Verheißungen meine Gebete erhörte und alle meine Bedürfnisse befriedigte.

Nach dreiwöchigem Aufenthalt kehrten wir nach London zurück. Zwei Tage nach unserer Ankunft mussten wir zu unserer Reise durch Europa aufbrechen, um drei Wochen später in Port Said, Ägypten, das Schiff zu erreichen, das unser gesamtes für die Landreise entbehrliches Gepäck von London durchs Mittelländische Meer nach Italien befördern sollte.

Ich erwartete, bei unserer Ankunft in London eine Menge Briefe mit den notwendigen Geldmitteln für die weitere Reise zu finden. Doch wie erstaunt war ich, als ich nur zwei Briefe vorfand. Der eine war von meiner lieben Frau und der andere von einem unserer Prediger, Br. Ebel, mit einem Inhalt von 2 Dollar als Gabe für meine Reise. Tagelang war aus der Heimat kein Schiff mehr zu erwarten, das Post für mich an Bord haben könnte. Unserem Reiseplan gemäß mussten wir nach zwei Tagen weiterreisen.

Mehrere Geschwister hatten uns auf der Überfahrt von Amerika nach England begleitet. Sie blieben in England, während wir unsere Reise nach Nordafrika unternahmen. Nun aber waren wir wieder mit ihnen vereint. Die Geschwister hatten bereits in der Heimat Fahrkarten bis zum Endziel gelöst, doch ich besaß weder eine Karte zur Weiterfahrt, noch konnte ich zurückfahren. Mein Bargeld reichte gerade noch, um einige Tage in London zu leben. Meine Lage war in der Tat kritisch und Stimmen wurden laut, was ich nun wohl zu tun gedächte. Nur der felsenfeste Glaube, dass Gott mich diesen Weg geführt hatte, bewahrte mich vor Zweifel. Ich sagte ihnen, dass ich sicher sei, dass der Herr mir den Auftrag gegeben habe, nach Palästina und Indien zu gehen. Dann fragte ich die Geschwister, die dasselbe Reiseziel wie ich hatten, ob sie mein Gepäck zusammen mit ihrem aufgeben könnten. Ich hatte noch Geld, um bis nach Frankreich zu kommen. So entschloss ich mich zur Weiterreise, da ich dadurch meinem Ziel – Jerusalem, wenn auch nur ein kleines Stück, näher kam. Für die weitere Hilfe vertraute ich dem treuen Gott.

Um die Angelegenheit mit unserem Gepäck zu regeln, gingen wir zum Büro der Reisegesellschaft, bei der wir in der Heimat unsere Fahrkarten gelöst hatten. Wir trugen dem Angestellten unsere Bitte vor, der dann auch entsprochen werden konnte. Wir waren gerade dabei, die Formalitäten zu erledigen, als mich der Beamte an sein Pult rief. Er fragte mich nach meinem Namen, meiner Heimatadresse und dem Tag meiner Abreise. Dann sprach er von anderen Dingen, stellte Fragen über die beabsichtigte Reise und wiederholte am Ende seine ersten Fragen noch einmal. Endlich zog er einen Brief aus dem Fach seines Pultes und gab ihn mir. Er war an mich gerichtet. Beim Öffnen fand ich eine Summe von 400 Dollar darin. Verschiedene Personen in der Heimat hatten das Geld zusammengelegt und unser Verlagswerk hatte es nachgesandt. Aus diesem Grunde hatte ich es nicht auf dem Postbüro in Empfang nehmen können.

Wieder hatte ich einen Anlaß, dem Herrn für seine Güte zu danken. Im Zimmer unseres Quartiers angelangt, hatten wir einen gemeinsamen Lob- und Dankgottesdienst.