Eine Glaubensprobe

Auf dem Weg zu einer Lagerversammlung im Staat Louisiana erreichte ich das kleine Dorf Ethel. Es galt noch, 30 Meilen durch die wilden Wälder Amerikas bis zum Ziel zurückzulegen.

Auf einem Bauernwagen setzten wir dann die Reise fort. Wir sahen nur wenige Ansiedlungen. Erst spät am Abend erreichten wir das Ziel, doch noch immer waren wir mitten in den Wäldern. Verwundert fragte ich den in diesem Bezirk wirkenden Bruder: „Ich möchte nur wissen, wo hier die Teilnehmer einer Lagerversammlung herkommen sollen, sah ich doch auf dem ganzen langen Weg nur drei oder vier Häuser!“

„Bis Sonntag werden hier 500 Menschen versammelt sein.“

„Es ist mir unerklärlich, wo die herkommen sollen.“

„Sie werden aber hier sein. In diesen Wäldern wohnt verstreut eine Menge Ansiedler.“

Und wirklich, als der Sonntag kam, füllte die genannte Anzahl den Versammlungsplatz.

Am Schluss des Morgengottesdienstes wurde bekanntgegeben, dass ich am Abend über göttliche Heilung predigen würde. Es wurde eine besondere Einladung gegeben, vollzählig zu erscheinen und Freunde und Kranke mitzubringen, damit diese durch die Verkündigung des Wortes Glauben für die Befreiung von ihren Leiden empfingen.

Der Morgengottesdienst war vorüber und wir gingen zum Hause eines Verwandten des Predigers. Nach dem Mittagsmahl saßen wir auf der Veranda des Hauses und unterhielten uns. Zwei Knaben im Alter von 10 und 12 Jahren spielten in unserer Nähe. Plötzlich hörten wir einen Schrei – einer der Spielenden war über das Treppengeländer gestürzt und lag nun wie tot auf dem drei Meter tiefer liegenden Erdboden. Wir trugen ihn ins Haus und legten ihn auf ein Lager. Erst als wir sein schwaches Atmen vernahmen, wussten wir, dass noch Leben in ihm war.

Wir beteten zu Gott um seine Wiederherstellung, doch eine Besserung trat nicht ein. Darauf salbten wir den so schwer Gestürzten im Namen des Herrn, legten ihm die Hände auf und beteten abermals, doch auch jetzt trat keine Wendung ein.

Jemand ging zum Lagerplatz, berichtete von dem Unfall des Jungen und dass die Prediger nichts machten, als nur für ihn zu beten. Eine große Erregung ergriff das ganze Lager. Die Bewohner jener Gegend sind als sehr freundlich und sehr gastfrei bekannt. Doch es sind auch Heißsporne und wenn sie erregt sind, handeln sie ohne Vorbedacht, und das Schießeisen sitzt dann recht locker.

Sie rotteten sich sofort zu Haufen zusammen und riefen einen Arzt, den sie als den einzigen Befugten zu dem Kranken schickten und sagten, wenn sich jemand seiner Behandlung widersetzte, sollte er es sie wissen lassen.

Der Arzt kam nach einigen Minuten. Da er mit Bruder Owens bekannt war, begegnete er uns freundlich, und es entwickelte sich folgendes Gespräch:

„Ich erkenne wohl Ihre Glaubensüberzeugung an“, sagte der Arzt, „und will mich hier keineswegs einmischen. Doch ist es für Sie von Vorteil, wenn ich den Kranken vorerst untersuche.“

„Aber bitte, Herr Doktor, gewiss tun Sie uns mit Ihrer Untersuchung einen Gefallen.“

„Ehe ich das Lager verließ“, sagte der Arzt, „hatten sich bereits drei Rotten gebildet, von denen die erste euch an den erstbesten Baum hängen will, wenn der Junge stirbt. Aus einem anderen Haufen hörte ich die Worte: ‚Wir werden sie mit Kugeln durchsieben.‘ Wieder andere wollen euch mit Schimpf und Schande aus dem Lager jagen.“

Nun machte sich der Arzt daran, den Verunglückten zu untersuchen. Mit der Nadel stach er in die Haut aller Gliedmaßen, doch der Knabe rührte und regte sich nicht. Darauf sagte er: „Der arme Junge kann jeden Augenblick sterben. Sollte er jedoch wirklich am Leben bleiben, wird er sein Leben lang ein hilfloser Krüppel sein.“

Darauf ging er zu den Leuten und sagte, sie sollten doch all ihren Lärm um den Verunglückten und die Prediger sein lassen, da von seiner Seite alles getan wäre, was in diesem Fall überhaupt getan werden könnte. Ärztliche Hilfe sei hier nicht mehr möglich und wenn Gott nicht eingreife, müsse der Knabe sterben.

Sobald der Arzt gegangen war, dachten wir, es sei wohl der Wille Gottes gewesen, dass der Arzt erst kommen musste, damit die Leute die ganze Hoffnungslosigkeit menschlichen Bemühens einsehen würden, so dass dann Gott so recht verherrlicht würde, wenn er ihn heilte. Wir vereinigten uns nochmals im Gebet für den Kranken, doch eine Besserung trat nicht ein.

Mittlerweile hatte sich die Menge vor dem Haus versammelt. Fünfhundert oder mehr Menschen schritten am Lager des Kranken vorbei. Alle schauten den Jungen und uns an. Staunen und Verwunderung lag in diesen Blicken. Aber auch der Entschluss, sich an uns zu rächen, wenn der Kranke stürbe, war in dem Blick einiger Vorüberschreitender zu lesen. Dann gingen alle zum Lager zurück und wir dachten, da alle das Zeugnis des Arztes gehört und den Kranken gesehen hatten, dass Gott die Offenbarung seiner Macht nicht mehr zurückhalten würde. Wieder flehten wir um seine Hilfe, doch scheinbar auch jetzt vergeblich.

Bruder Owens und ich gingen nun in die Einsamkeit des Waldes und brachten dort lange Zeit im Gebet zu. Wir baten Gott, uns zu offenbaren, was ihn hindere einzugreifen. Doch wir fanden nichts und nach mehrstündigem Flehen baten wir am Schluss den Herrn, wenn er das Kind nicht wieder aufrichten wolle, dann möge er es zu sich nehmen, noch ehe wir zu seinem Lager zurückkehrten. Träfen wir den Verletzten noch lebend an, dann sähen wir dies als ein Zeichen des Himmels an, als die Bereitschaft Gottes, dem Kranken zu helfen.

Bei unserer Ankunft fanden wir den Knaben in gleicher Verfassung wie vorher. Jetzt glaubten wir fest an seine Heilung und beteten an seiner Lagerstätte das Gebet des Glaubens. Doch kein Zeichen der Heilkraft Gottes war zu sehen.

Der Beginn des Gottesdienstes rückte immer näher und gerade an diesem Abend sollte ich über göttliche Heilung predigen. Ich meinte, deutlich eine innere Stimme zu hören, die zu mir sprach: „Heute abend sollst du nicht über göttliche Heilung predigen. Die Leute wissen doch, dass du wiederholt für den kranken Jungen gebetet hast und noch immer ist sein Zustand unverändert. Erzählst du jetzt den Menschen, dass der Herr Kranke heilt, dann glauben sie dir kein Wort. Verschiebe diese Predigt bis zum Schluss der Lagerversammlung, dann ist die Gegnerschaft dieser Leute vielleicht schwächer geworden. Die schlechten Gefühle sind dann vorüber und sie werden eher geneigt sein, diese Botschaft aufzunehmen.“

All dies schien so begründet zu sein, dass ich zu glauben begann, es sei besser, heute Abend über etwas anderes zu sprechen. Dann aber rang sich in meiner Seele eine mächtigere Stimme durch. Ernst und eindringlich formten sich die Worte: „Predige das Wort.“ Ich wusste, das war von Gott. Ich fiel auf meine Knie und sagte: „O Herr, göttliche Heilung ist dein Wort, und ich will es predigen. Ich will es heute abend predigen, ob das Kind gesund wird oder nicht. Gib mir Mut, deinen Willen zu tun!“

Ehe wir dann zum Lager aufbrachen, vereinigten wir uns noch einmal zum Gebet, ohne jedoch die Erfüllung unserer Bitte zu erleben. Als wir uns dem Zelt näherten, hörten wir den Gesang der Menge. Aber das Singen klang gar nicht so freudig, ein Gefühl der Bedrückung schien auf allen zu ruhen. Ohne besondere Inspiration verklang das nun darauffolgende Gebet und auch das Lied „Er ist derselbe heut“ verriet nichts von einer freudigen Erwartung.

Ich bestieg nun das Rednerpult, öffnete meine Bibel, schlug den 103. Psalm auf und las den zweiten und dritten Vers, wo es heißt: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: der dir alle deine Sünden vergibt und heilet alle deine Gebrechen.“

Wahrlich, ein gewagtes Wort angesichts der Vorfälle des Nachmittags! Der Raum war überfüllt. Die Menschen waren begierig zu hören, was ich unter diesen Umständen über göttliche Heilung zu sagen hätte. Tiefe Stille trat ein. Kaum hatte ich einige Sätze gesprochen, als eine Frau ausrief: „Preist den Herrn!“ Mit dem Aufgebot ihrer ganzen Stimme schrie auf der anderen Seite eine Frau: „Halleluja!“ Es klang wie ein Siegesschrei. Alle Augen waren vom Rednerpult hinweg nach einer Seite gerichtet. Als ich ebenfalls dorthin schaute, sah ich, wie der vorhin noch völlig gelähmte Junge die Stufen hinaufstieg und sich dann auf den Sitz hinter dem Rednerpult niederließ.

Ich ergriff jetzt den Knaben bei der Hand und führte ihn vor das Rednerpult, wandte mich an die Zuhörerschaft und sagte: „Wäre es nicht um die mancherlei Ereignisse von heute nachmittag, dann wären wohl manche unter euch geneigt, dieses für ein gutgelungenes Manöver zwischen uns, dem Jungen und einigen Freunden zu halten. Doch zu vieles hat sich ereignet, wovon ihr alle Zeugen waret.“

Noch einmal wiederholte ich, wie sich alles zugetragen hatte. Ich berichtete vom Besuch des Arztes, von seiner Untersuchung und seinem Urteil, erzählte von den Drohungen der Menge, von ihrem Besuch bei dem Kranken, von unseren wiederholten Gebeten und von meiner Glaubensprobe, unter den gegebenen Umständen über göttliche Heilung zu predigen, und schloss mit den Worten: „Hier steht er, der durch die Kraft Gottes gesund wurde als Erhörung auf das Gebet des Glaubens.“

Meinen Worten folgte das Aufjauchzen der Menge, denn die Freude war übergroß. Der Heilungsgottesdienst an jenem Abend war herrlich. Die Glaubensprobe war groß, doch die Belohnung noch größer.