Sieg über Anklagen

Während der Ferien in meinem letzten Universitätsjahr hatte ich die Erfahrung der Heiligung gemacht. Von jener Zeit an öffnete sich für mich die Heilige Schrift auf wunderbare Weise. Dinge, die ich niemals verstanden hatte, offenbarten sich für mich im Gebet oder wenn ich einer Predigt lauschte. Jedoch war ich noch ein junger Mann, der Aufklärung und Hilfe bedurfte, und hatte doch oft niemand, den ich fragen konnte. Deshalb musste ich viele Dinge durch eigene Erfahrung lernen, ohne Rat von lieben Menschen einzuholen. Der Teufel mit all seinen Fallen und Betrügereien tat sein Bestes, mich irrezuführen; doch der Herr war immer meine gegenwärtige Hilfe.

Die letzten Monate meiner Schulzeit und auch der Anfang meiner Laufbahn im Verlagswerk waren eine Siegeszeit für meine Seele, und auch später durfte ich mich der vollen Gnade Gottes erfreuen. Eines Tages passierte jedoch etwas, das meine Kenntnis vom Teufel und seinen Listen und Tücken bedeutend vermehrte.

Als ich eines Sonntags in der Versammlung saß, stand der Prediger auf und teilte der Gemeinde mit, dass er keine besondere Botschaft hätte. Da aber kein anderer sich gedrungen fühlte zu predigen, möchte er etwas über vollkommene Heiligung sprechen. Es hätte nämlich tags zuvor ein Bruder seine Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand gelenkt durch die Frage, ob es außer der Heiligung nicht noch ein drittes Gnadenwerk gebe. Der Prediger erklärte dann: „Ich hatte leider keine Zeit, mich länger mit dem Gegenstand zu befassen, noch darüber zu beten. Ich glaube auch nicht an drei Gnadenwerke. Es gibt jedoch eine Schriftstelle, die ein Anhalt dafür sein könnte, dass es außer dem normalen Heiligungszustand noch einen vollkommeneren gibt. Er zitierte dann die Stelle aus 1.Thess. 5:23, wo es heißt: „Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch.“ Alles, was er weiter sprach, diente keineswegs dazu, den Zuhörern volle Klarheit zu verschaffen.

Als ich am nächsten Tag allein im Büro saß, erinnerte ich mich plötzlich an das, was der Prediger über vollkommene Heiligung gesagt hatte. Im selben Augenblick wurde mein Inneres durch eine seltsame Stimme beunruhigt. Tagelang war ich mit Arbeit und Geschäftsproblemen überlastet gewesen, hatte aber dabei im Geistlichen keinen Schaden genommen. Wenn auch das regelmäßige Lesen der Bibel und das Gebet etwas kürzer ausgefallen waren, so waren doch diese Hauptpflichten des Christen von mir nicht ganz vernachlässigt worden. Da ich aber in all den bösen Anläufen und Listen des Teufels unerfahren war, versuchte er aus meiner augenblicklichen Lage einen Vorteil zu ziehen. Sein erster Versuch war, meine Aufmerksamkeit auf die gestrige Predigt zu lenken und mir einzuflüstern, ich sei niemals völlig geheiligt gewesen.

Da es zunächst für mich doch ganz natürlich war, an diese Predigt zu denken, glaubte ich, die Stimme Gottes zu vernehmen. Ich hatte ja den Wunsch, immer in Einklang mit dem Willen Gottes zu sein, und sagte deshalb: „Wenn ich nicht vollkommen geheiligt bin, werde ich den Herrn sogleich um diese Erfahrung bitten.“ Ich übergab mich nun dem Herrn und nahm jene Erfahrung für mich in Anspruch. Außer dem Gefühl, dass ich nun Gott vollkommen übergeben sei, erlebte ich nichts Auffälliges.

Wiederum hörte ich jetzt die innere Stimme: „Du weißt, dass du seit der letzten Woche nicht so freudig und frohlockend warst, wie während der vergangenen Monate, seit du die Erfahrung der Heiligung machtest.“ Da ich sehr müde und abgespannt war, musste ich einen Mangel an innerer Freudigkeit und anderen guten Gefühlen zugeben.

Dann nahm ich die vielsagenden Worte wahr: „Die Ursache ist, dass du deine Heiligungserfahrung verloren hast.“ Aus Furcht, dass ich auf irgendeine Weise unwissentlich diese Erfahrung verloren haben konnte, weihte ich mich von neuem dem Herrn und sagte dann: „Ich will dem Teufel keinen Raum geben“ und machte eine weitere Übergabe zur völligen Heiligung.

Nachdem ich einige Minuten meine Arbeit fortgesetzt hatte und mich der Gewissheit erfreute, mit Gott vollkommen in Ordnung zu sein, wurde ich von der gleichen Stimme angeredet: „Du hast soeben anerkannt, dass du deine Heiligungserfahrung verloren hattest. Du weißt aber auch, wenn jemand seine Heiligung verliert, fällt er so tief, dass er auch seine Rechtfertigung verliert. Der Mensch verliert seine Heiligung nicht, es sei denn, er sündigt.“

„Das stimmt“, sagte ich, „ich aber will dem Teufel widerstehen und eine neue Verbindung mit meinem Gott suchen. Was habe ich Sündiges getan, o mein Gott, wodurch meine Erfahrung verloren ging?“ Die Antwort kam sogleich: „Es ist etwas, was du getan oder versäumt hast“. Doch keineswegs erfuhr ich, was es war, das ich begangen oder vielleicht vernachlässigt hätte.

Ich begann nun, meinen Bund mit Gott wieder zu erneuern. Demütig kam ich zu Gott und bat ihn zunächst um die Erfahrung der Rechtfertigung, dann der Heiligung, sowie der vollkommenen Heiligung. Die feste Gewissheit, dass ich alles getan hatte und nun eine gute christliche Erfahrung mein eigen nannte, machte mich innerlich froh, und ich fühlte, dass ich allen Anklagen, die Satan gegen mich vorbringen würde, gewachsen sei. Einige Minuten war alles wohl; doch dann vernahm ich plötzlich Worte, die mit einer erschütternden Macht gesprochen wurden: „Du bist überhaupt nicht gerettet!“

Bis jetzt hatte ich geglaubt, Gottes Stimme zu hören, aber nun wusste ich, dass der Teufel sein furchtbares Spiel mit mir getrieben hatte, und dass er es war, von dem all die Anklagen kamen. Mit geballter Faust wandte ich mich um und rief mit entschlossener Miene aus: „Ich bin gerettet und geheiligt und war es auch vorhin!“ All das, wozu mich der Bösewicht veranlasst hatte, missachtete ich völlig. Ich wusste nun, dass ich längst völlig geheiligt war, schon in dem Augenblick, als ich zuerst diese Erfahrung erlangte, und eine weitere Weihe, um jenes Gnadenwerk zu vervollständigen, war nicht notwendig.

Mancher mag befremdet fragen, welchen Nutzen er aus all den soeben gelesenen Dingen ziehen soll. Viele hätten sich in jener Stunde wohl geschickter benommen. Ich weiß aber auch, dass Fähigere als ich ihre Schwierigkeiten mit scheinbar so ganz unwichtigen Dingen haben. Und wirkliche Erfahrungen und Prüfungen sind notwendig, damit sie das lernen, was andere ohne besondere Anstrengungen erlangen. Deshalb erzählte ich jene Begebenheit. Sie verschaffte mir eine größere Kenntnis über die List des Teufels und ich lernte gerade hierdurch den Geist Gottes und den Geist des Bösen unterscheiden. Mancher lieben Seele, die in ähnlicher Lage steckt, gereicht sie vielleicht zu besserer Erkenntnis und zum geistlichem Nutzen.

Es gibt viele Menschen, denen es schwerfällt, Gott zu dienen, weil sie so sehr unter dem Druck der Anklagen des Teufels zu leiden haben, wobei sie nicht einmal wissen, ob es Gott oder der Böse ist. Doch könnte ihr christliches Leben glücklich und siegreich sein, wenn sie nur den richtigen Stand einnehmen und ihre Rechte behaupten würden.