Wie ich ausprobierte, schlechte Gefühle eines verheirateten Mannes zu bekommen

Einst kam ein Mann zu mir, der geistliche Hilfe brauchte. Er wurde oft von Schwermut geplagt und dachte zu viel über die düsteren Dingen des Lebens nach. Allzuoft war er mit allem unzufrieden, hegte dann schlechte Gefühle, die zu dunklen Vorahnungen führten und sein Leben zum Elend machten. Obwohl  sein Wunsch war, ein guter Christ zu sein, war die Dauer seiner Freude in Gott gewöhnlich sehr kurz. Wegen seiner entmutigenden Gefühle klagte er dann seine Frau an und, getrieben durch seinen unglücklichen Zustand, hatte er manch hartes Wort des Tadels für sie.

In jener Zeit war ich noch ein junger, unverheirateter Mann. Nachdem ich mein Bestes versucht hatte, ihn zurechtzubringen und zu ermutigen, schien er seinen Fall immer noch als einen der schlimmsten und der hoffnungslosesten zu halten. Darauf sagte ich ihm:

„Ich glaube, ich kann mich in denselben Zustand versetzen und genau dieselben Gefühle bekommen wie Sie, wenn ich es versuche.“

„Sie können doch nicht fühlen, wie ich fühle“, sagte er.

„Warum kann ich nicht die gleichen schlechten Gefühle wie Sie haben?“

„Weil Sie nicht verheiratet sind“, entgegnete er.

Nachdem ich ihm nach besten Kräften in all seinen Nöten durch Rat und Gebet beigestanden hatte, wurde er etwas ermutigt. Darauf verabschiedete ich mich von ihm.

Am nächsten Tag entschloss ich mich, einmal auszuprobieren, ob ich nicht dieselben Gefühle wie jener Mann bekommen könnte, der als Hauptursache all seiner inneren Not seinen Ehestand bezeichnete. Zunächst begab ich mich auf mein Zimmer und flehte den Herrn an, mich nicht unter die Macht des Teufels fallen zu lassen. Als ich mich dann allein in der Wohnstube befand, setzte ich mich hin und fing an nachzudenken, was mich in solch schlechte Gefühle bringen würde; aber nichts Passendes fiel mir ein. Der erste Versuch war also vollkommen misslungen. Dann stützte ich meine Ellbogen auf die Knie, legte das Gesicht auf die Hände und seufzte tief, dann noch ein zweites Mal. Nun überkamen mich wirklich seltsame Gefühle. Es schien mir, als sei ich wirklich niedergeschlagen und niedergedrückt. Unruhige Gedanken durchzogen mich, als ich mit vollkommen erschlafften Muskeln dasaß. Dann hörte ich Schritte, die Tür des Zimmers öffnete sich und ein junges Mädchen stand im Raum. Sie war von sanfter, ruhiger Art und keineswegs von Neugierde hierher getrieben worden, sondern mochte mein Seufzen gehört haben. Als sie mich jetzt in dieser Verfassung fand, fragte sie:

„Sind Sie krank?“

Doch keine Antwort meinerseits ertönte. Auch fiel es mir gar nicht ein, meine Hände vom Gesicht zu nehmen. Noch einmal fragte sie ohne Erfolg. Durch diese begangene Unhöflichkeit kam ich mir recht unverschämt und gewissenlos vor und die Tür für die schlechtesten Gefühle schien sich nun erst recht zu öffnen. Das junge Mädchen wagte dann die Frage:

„Hat Ihnen jemand etwas zuleide getan?“

Ein tiefer Seufzer war das einzige, was sie von mir vernahm, und weinend ging sie hinaus. Jetzt fühlte ich mich elender als je. Ich wusste, dass sie gegangen war, um den Vorfall irgend jemand zu erzählen. Bald hörte ich die Schritte von Frau A. Ich warf mich jetzt auf das Lager, wandte mein Gesicht der Wand zu und bedeckte es mit den Händen. Sie sprach mich an, erhielt aber auch keine Antwort. Dann berührte sie meinen Arm und fragte:

„Sind Sie krank?“

Wiederum erhielt sie keine Antwort. Tränen rollten mir jetzt die Wangen hinab und eine Wolke traurigster Gefühle schien mich einzuhüllen. Nun weinte auch sie und bat mich, ihr doch zu sagen, ob mir jemand ein Leid zugefügt hatte. Mein Schweigen veranlasste sie, das Zimmer zu verlassen. Sobald sie draußen war, eilte ich zur Tür und verschloss sie. Dass ich diese lieben Menschen gar nicht beachtet hatte und ihre freundlichen Bemühungen, mich zu trösten, zurückwies, beschämte mich derart, dass eine Flut schwermütiger Gedanken und niederdrückender Gefühle auf mich einstürmte und mein Inneres jetzt so ganz erfüllte. Selbstbedauern und Mitleid mit mir selbst wuchsen zu dunklen Vorahnungen heran. Ich eilte dann auf mein Schlafzimmer, fiel sogleich auf die Knie, widerstand diesen teuflischen Mächten und Eindrücken und bat den Herrn flehentlich, mich aus dieser Lage zu befreien. Während ich so den Feind bedrohte, schwand alles dahin, was mich niederdrückte.

Niemals versuchte ich es wieder, schlechte Gefühle eines verheirateten Mannes zu bekommen. Ich hatte eine gute Lektion gelernt und wusste nun, dass wenn jemand es will, er sich in solch einen Zustand hineinversetzen kann. Ich hatte aber auch erfahren, dass der Mensch sich mit der Hilfe Gottes und einiger Entschlossenheit über solche Dinge erheben kann.

Viele liebe Menschen leben heute unter Bedrückungen und leiden unnötig unter den Anklagen des Feindes, weil sie diesen Dingen nicht widerstehen und nicht den Glauben aufbringen, dass der Herr sie von alledem freimachen kann.