Der Herr ließ ihn nicht weitergehen

Ungefähr eine Meile von der Stadt, in der ich wohnte, lebte einst ein Mann namens Holmes, der oft unsere Gottesdienste besuchte. Er war ein überaus talentierter Mann. Unter anderem beherrschte er die griechische und lateinische Sprache und war ein erfahrener Kunsttischler. Doch hatte dieser Mann für uns etwas Fremdartiges und Eigentümliches an sich, etwas schwer zu Ergründendes ging von ihm aus. Nach außen war er ein gutmütiger Mensch und hätte wohl gern den Wunsch gehabt, dem Herrn zu dienen, aber aus irgendeinem Grund machte er nur geringe Fortschritte in seinem geistlichen Leben.

Als er eines Tages nach Ohio fahren wollte, kam er zu mir ins Büro und bat mich um eine Aussprache. Er sagte zu mir: „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich aus Ihrem Munde eine Beurteilung meines geistlichen Lebens vernehmen könnte und Sie mir sagen könnten, wo ich bis jetzt zu kurz kam, damit ich in meiner Erfahrung vorankomme.“ Nach gemeinsamem Gebet und weiterer Unterhaltung war ich imstande, ihn auf gewisse Dinge, die im Wege standen, aufmerksam zu machen. Auf Grund einer klaren Eingebung musste ich ihn dann eines Mordgeistes beschuldigen. Es war mir wohl unerklärlich, warum ich ihm diesen harten Vorwurf machen musste, aber die innere Eingebung, die ich bekam, war so bestimmt, dass ich die Wahrheit meiner Anklage nicht bezweifeln konnte. „O nein“, entgegnete er, „das ist ausgeschlossen. Ich bin von einer durchaus ruhigen und harmlosen Gemütsverfassung und bin nicht imstande, jemand ein Leid zuzufügen.“ Mit den besten Gefühlen gegen mich nahm er dann Abschied und versprach, weiter über die Angelegenheit nachzudenken.

Dieser Mann ließ sich darauf in einer Stadt in Ohio als Prediger nieder. Einige Glieder jener Gemeinde hatten das Empfinden, dass er ein Betrüger sei. Und weil sie wussten, dass er von der Stadt zugereist war, in der wir wohnten, baten sie uns in einem Brief um Aufklärung über ihn. Er erfuhr dann von diesem Briefwechsel und sein Hass gegen uns wurde so groß, dass er beschloss, nach Grand Junction zu kommen, um die zu töten, die an dieser Bloßstellung schuld wären. In einem Brief, in dem dieser Mann Bußfertigkeit und Reue heuchelte, bekannte er, dass er in einem sehr schlechten geistlichen Zustand sei. Der Herr hätte es ihm offenbart, dass er Bruder Schell und mich aufsuchen müsse, um durch unser gemeinsames Gebet Erlösung zu erlangen.

Keine Spur von dem, was er wirklich vorhatte, war aus dem Brief zu ersehen. Unter anderem schrieb er noch, er sei bereits auf dem Weg zu uns. Wir erhielten den Brief am Mittwochabend und lasen ihn sogleich den Geschwistern vor, die zu einer Gebetsstunde zusammengekommen waren. Sein ganzes Elend und der Wunsch, auf jeden Fall mit Gott in Ordnung zu kommen, sowie die Bitte um ernste Gebete waren der Inhalt dieses Briefes.

Gerade als jemand im Geschwisterkreis am Beten war, übermittelte mir der Herr, dass der Mann mit einem bösen Vorhaben zu uns käme, Mordgedanken im Herzen trüge und dass seine Reue und die Ausdrücke seiner Ergebenheit nur Schein wären. Gleich nach der Versammlung bat ich Bruder Schell um eine kurze Unterredung, in der ich ihm meine Überzeugung mitteilte. Wir knieten dann noch einmal zum Gebet nieder und baten den Herrn, das böse Vorhaben des Mannes zu verhindern.

Später erfuhren wir, dass er an jenem Abend, als wir den Brief erhielten, schon im Staat Indiana war. Da seine Barmittel bereits aufgebraucht waren, wollte er am nächsten Morgen seine Reise zu Fuß fortsetzen. Aber schon nach einigen hundert Metern konnte er nicht mehr weitergehen. Seine Knie begannen zu zittern, und unfähig, auch nur noch einen Schritt zu tun, fiel er zu Boden. Alle Versuche, seinen Weg fortzusetzen, misslangen. Er nahm nun an, dass er von einer schweren Krankheit befallen sei und beschloss, auf den Knien kriechend zu seiner letzten Herberge zurückzukehren. Dann fand er aber aus, dass er wieder auf seinen Füßen stehen konnte und fähig war zu gehen. Schon nach wenigen Schritten konnte er wie ein Gesunder gehen. „Wenn ich in diese Richtung gehen kann, muss ich imstande sein, auch in die entgegengesetzte Richtung zu gehen“, sagte er sich und  wandte sich um, seinen Weg fortzusetzen. Sobald er jedoch den Platz erreichte, wo ihn seine Kräfte verlassen hatten, fiel er wiederum zu Boden. Nachdem weitere Versuche genau so verliefen, ging er dann doch zu seiner Herberge zurück. Am nächsten Morgen machte er die gleiche Erfahrung und auch an den folgenden Tagen blieben alle Versuche, jene Stelle zu überschreiten, erfolglos. Er traf dann einen ihm bekannten Bruder und bekannte, dass wohl Gott ihn aufgehalten habe weiterzugehen, und bekannte dann auch seine Mordabsichten.

Nachdem wir dann beinahe ein Jahr nichts mehr von diesem Mann gehört hatten, kehrte er eines Tages nach Grand Junction zurück, um bald in einem tief niedergeschlagenen Zustand in meinem Büro zu erscheinen. Nachdem ich ihn freundlich begrüßt hatte, begannen wir eine Unterhaltung, in deren Verlauf er den Wunsch äußerte, vor allen Mitarbeitern des Verlagswerkes einige Geständnisse zu machen.

Wir benutzten zu dieser Zusammenkunft die Mittagspause, und Herr Holmes machte dann einige ihn sehr demütigende Aussagen. Zum Schluss bat er um die Gebete der Geschwister. Bevor jeder an seine Arbeit ging, bat ich die Geschwister, auch während der übrigen Zeit im Gebet dieses Mannes zu gedenken. Ich hatte jedoch den bestimmten Eindruck, dass er trotz dieser Bekenntnisse noch etwas zurückhielt, obwohl ich nicht wusste, was es war.

Am Abend um acht Uhr versammelten sich dann einige Brüder zum ernsten Gebet für diesen Mann. Ich sagte ihm, dass ich den Eindruck hätte, dass er nicht alles bekannt hätte, worauf er antwortete: „Ich habe alles gesagt und nichts zurückgehalten.“ Dann betete auch er, aber seine Worte waren trocken und leblos. Jetzt mahnte ich wieder: „Es muss etwas im Wege sein. Lasst uns gemeinsam zum Herrn flehen, dass diese Störung beseitigt wird.“ Mitten im Gebet rief nun Herr Holmes plötzlich: „Haltet ein, ich muss etwas bekennen. Als Br. Byrum seinerzeit mich beschuldigte, dass ich einen Mordgeist hätte, sprach er die Wahrheit, obwohl ihm nichts über die näheren Umstände bekannt war. Seit elf Jahren trachte ich einem Menschen nach dem Leben, weil dieser Mann meiner Familie damals einen unersetzlichen Schaden zufügte. Nur der Mangel an einer guten Gelegenheit konnte mich bis jetzt abhalten, meine Tat auszuführen.“

Nun legten wir ihm die Hände auf und widerstanden jenem Geiste. Zerbrochen und geschlagen kam dieser Mann zu Gott, bekannte seine Sünden und erhielt Frieden für seine Seele.