Wie es uns gelang, das Kapitol von Washington zu besichtigen

Vor einigen Jahren hatte ich ein Erlebnis, das ich später oft erzählte, wenn ich über das Gebet sprach und besonders die Beharrlichkeit illustrieren wollte. Mein Sohn und ich waren auf der Rückreise von Mittelamerika. Auf unserem Weg von Florida kamen wir auch durch Washington, der Hauptstadt der Vereinigten Staaten, wo wir einige Stunden Aufenthalt hatten. Wir beschlossen nun, einige der interessantesten Sehenswürdigkeiten der Stadt zu besichtigen.

Nachdem wir schon manches gesehen hatten, kamen wir zum Kapitol (Regierungsgebäude der Vereinigten Staate). Als wir die Treppe zur Vorderfront des Gebäudes hinaufstiegen, sagte uns ein Wächter: „Dieses Gebäude ist geschlossen. Sie können nicht hinein.“ Wir sahen, dass es nutzlos war, weiter zu verhandeln, und begaben uns nach dem Ende des Gebäudes, in der Hoffnung, vielleicht an anderer Stelle eine Erlaubnis zum Betreten zu erreichen. Aber auch hier kamen wir zu einer verschlossenen Tür. Als wir dann zur anderen Seite des Gebäudes schritten, bemerkten wir, wie ein Mann mit einem großen Buch unter dem Arm herauskam. „Er sieht aus wie ein Kongressmitglied“, sagte ich, „und dort, wo er das Gebäude soeben verließ, muss auch für uns eine Gelegenheit hineinzukommen sein.“

Wir erreichten dann die Stelle, wo jener Mann das Haus verlassen hatte, und gewahrten dort eine große Drehtür. Ich sagte: „Lass uns hier hineingehen und sehen, wo wir hingelangen.“ Wir passierten die Tür und standen nun im Innern des Gebäudes. Dann aber eilte ein schwarzer Türhüter auf uns zu und erklärte uns, dass wir stehen bleiben sollten, da das Betreten des Gebäudes verboten sei.

„Wir möchten gern einmal durch das Kapitol gehen.“

„Das können Sie nicht, da Sie keine Erlaubnis haben.“

„Aber wir sind doch bereits im Innern des Gebäudes“, entgegneten wir. „Wir gaben jener Tür einen kleinen Stoß, sie drehte sich und wir landeten an dieser Stelle. Was gedenken Sie nun zu tun?“

„Dort kommt der Hauptmann, gehen Sie zu ihm.“

Der Offizier trat auf uns zu und freundlich baten wir ihn um die Erlaubnis, einmal durch dieses Gebäude gehen zu dürfen.

„Es tut mir leid“, entgegnete er, „aber durch das Gebäude zu gehen, nachdem es geschlossen ist, ist ein Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen.“

„Das verstehe ich, aber für die meisten Bestimmungen sind doch auch Ausnahmen zugelassen. Ist es nicht möglich, uns auf Grund einer solchen Ausnahme die Besichtigung zu gewähren?“

„Für diese Bestimmungen gibt es keine Ausnahmen“, entgegnete er, „denn dies ist ein Regierungsgebäude.“

„Gibt es gar keinen Weg, den wir einschlagen können, um die Erlaubnis zu erhalten?“

„Nein, in der ganzen Welt nicht.“

Es lag uns fern, durch beharrliches Bitten etwa anstößig oder lästig zu werden, aber wir wussten, dass eine Möglichkeit bestand, das Gebäude außerhalb der Öffnungszeit zu besichtigen, und es lag an uns, diesen Weg zu finden. Auf unser Lächeln hin entgegnete dann der Hauptmann:

„Sie wissen, dass die gesetzlichen Bestimmungen des Kapitols außerordentlich streng sind, und eine Nichtbefolgung würde uns in große Schwierigkeiten bringen.“

„Wir wollen ja nur den gesetzlichen Weg finden, aufgrund dessen wir eine Gelegenheit haben, uns das Gebäude anzusehen.“

„Es tut mir leid“, entgegnete er, „aber es existiert keine Möglichkeit, Ihnen eine Gelegenheit zur Besichtigung des Gebäudes nach seiner Schließung zu verschaffen.“

„Nun hören Sie mich doch einmal an“, sagte ich darauf, „schon einen langen Weg legten wir von Mittelamerika zurück. Wir wohnen in den Vereinigten Staaten und befinden uns auf der Heimreise. Mehrere Male nahm ich bereits die Gelegenheit wahr, dieses Gebäude zu besichtigen, aber mein Sohn hatte noch keine Gelegenheit. Und wie schön wäre es, wenn er nun zum ersten Mal in seinem Leben das Innere dieses Gebäudes sehen könnte.“

„Nun, dann werde ich Ihnen einen Rat geben“, sagte der Mann. „Gehen Sie in das Büro des Leutnants, es befindet sich am Eingang an der anderen Seite des Gebäudes. Dort werden Sie die Erlaubnis bekommen.“

Wir dankten dem Hauptmann und begaben uns zu jenem Büro, wo wir einen jungen Beamten antrafen. Aber auch er sagte uns, dass eine Besichtigung des Gebäudes zu dieser Zeit unmöglich wäre. Dann sagten wir ihm aber von dem Bescheid des Hauptmanns. Darauf zeigte er nach links und sagte: „Das Büro des Leutnants ist da drüben. Aber auch er kann Sie nicht einlassen.“

Bald darauf standen wir vor dem Leutnant und trugen unsere Bitte vor. Er deutete nach dem Zimmer, das wir eben verlassen hatten, und sagte: „Bitten Sie doch jenen jungen Beamten, Sie durchzuführen.“ Als wir ihn dann von dem Bescheid dieses jungen Mannes erzählten, sprang er von seinem Sitz auf und hieß uns, mit ihm zu kommen. Er führte uns zurück in das Büro des Ersten und befahl ihm, uns durch das Gebäude zu führen. Unser Führer grüßte militärisch und die Besichtigung begann.

Es ist nicht immer weise, seine Sache bei Beamten und Geschäftsleuten mit einer solchen Beharrlichkeit zu vertreten und auf etwas zu bestehen, was bereits verweigert wurde. Aber wir waren überzeugt, dass es einen Weg gab, der uns die Besichtigung des Gebäudes ermöglichte. Wir mussten ihn nur finden und unsere Bitte dann an der rechten Stelle vortragen. Unsere Zudringlichkeit und Beharrlichkeit führte zu keinen Reibereien oder schlechten Gefühlen auf irgend einer Seite. In gleicher Weise, mit gleicher Entschlossenheit und Beharrlichkeit können auch die Menschen zu Gott kommen, wenn sie sicher und gewiss sind, dass ihr Bitten dem Willen Gottes gemäß und innerhalb der Grenzen seiner Verheißungen liegen.

Zu Zeiten ist es geradezu notwendig, unsere Bitten mit großer Beharrlichkeit dem Herrn kundzutun. Und vielen unbeantworteten Gebeten liegt ein Mangel an dieser Beharrlichkeit zugrunde.