Aus meiner Kindheit

Von meinen lieben Eltern und auch von Verwandten wurde mir oft erzählt, dass ich im Jahre 1884 in Grünwalde, bei Kiew (Russland), wo ich auch geboren bin, in große Lebensgefahr kam. Es spielte sich folgendermaßen ab:

Nachdem alles eingeerntet, die Wäsche eingeweicht war und alle beim „Kreidekochen“ (Saft von Rüben, Möhren und Kürbissen) waren, standen unsere Häuser plötzlich in Flammen. Das abgeerntete Getreide war in den Scheunen, es sollte in der nächsten Woche mit dem Dreschen begonnen werden. Die Häuser waren in jener Zeit in den Dörfern alle aus Holz gebaut, und die Dächer waren mit Stroh gedeckt. Da alles sehr trocken war, griff das Feuer schnell um sich. Während man in diesem großen Schrecken das Vieh und anderes zu retten versuchte, hatte man mich, der ich etwa 1 Jahr alt war, in meinem Bett vergessen. Mit dem Vieh hatte man sehr viel Arbeit, weil es, wenn es auch schon gerettet war, doch immer wieder in den brennenden Stall hinein wollte. Bald war aber nichts mehr zu retten, die Flammen schlugen vom Strohdach zur Erde herunter und versperrten den weiteren Zugang ins Haus. Plötzlich kam es meiner Mutter in den Sinn, dass ich doch noch im brennenden Hause sein müsse. Und wie Mütter es zu machen pflegen, so machte es auch die meinige. Sie ließ sich nicht halten und sprang ins brennende Haus, ins Feuer. Als sie mich in ihren Armen haltend, zurückkehren wollte, musste sie in dem Qualm und Rauch einen kleinen Umweg machen. Dabei trat sie auf etwas Lebendiges, das dann auch noch einen Laut von sich gab. Geistesgegenwärtig hob meine Mutter dann meinen 6-jährigen Bruder Adolf auf, der in der Nähe der Tür auf dem Boden lag. Als sie dann mit uns beiden brennend aus dem Haus herauskam, hüllte man uns sofort in nasse Decken ein, und wir waren gerettet. Ein feindlich gesinnter Mann soll den Brand angelegt haben.

Noch gut erinnere ich mich, dass in späteren Jahren, wenn Mutter meinen Ungehorsam rügte, sie oft unter Tränen zu mir sagte: ,,Es nimmt mich Wunder, warum der liebe Gott dich hat retten lassen“. Diese Worte trafen mich und ich war tief gerührt und beschämt.

Es schien, als ob der Segen Gottes von uns gewichen war. Nachdem das Feuer das meiste vernichtet hatte, kam eine Pestkrankheit über das Vieh. Auf Befehl der Obrigkeit mussten an einem Tage 21 Stück Vieh erschossen und in einer tiefen Grube vergraben werden. In jener Zeit war es, wie meine Eltern oft erzählten, dass fast jede Nacht, meist im Stall, ein Unglück geschah.

Meine Eltern zogen, nachdem sie hier aufs neue die Gebäude und Landwirtschaft in Ordnung hatten, im Jahre 1886 wieder zurück nach dem Herzen Wolhyniens, in die Nähe von Baraschie. Dort kauften sie in dem Dorf Rassne, bei der Kolonie Olgenburg, ein Pachtgut, zu dem auch mehrere Hektar von dem Fluss Ush, eine Wassermühle und auch zwei Hektar Obstgarten gehörten. Die 5000 Rubel, die ihnen noch übrig geblieben waren, hatte mein Vater zinslos und ohne einen Wechsel zu nehmen, an arme Leute verborgt. Er hatte sie auch nicht wiederbekommen.

Hier schien es wieder so, als ob uns Gottes Segen von allen Seiten zuströmte. An dem Wasser war eine gute Gelegenheit, Gänse zu halten. Oft hatten wir über 100 Gänse, auch bis 70 Schafe, 10-15 Milchkühe, 5-6 Pferde und dazu auch noch das Jungvieh. Mitten im Obstgarten stand eine große Derre, in der wir das Obst trockneten. Wir hatten auch eine Anzahl Bienenstöcke, mit deren Versorgung die Mutter sich am besten verstand.

In diesem Ort und in der ganzen großen Umgebung hatte mein Vater als erster eine Dreschmaschine und ein Rosswerk (Göpel) von Wloclawek kommen lassen. Gleich nach der Ernte und manchmal auch den Winter hindurch (außer Sonntags) war die Dreschmaschine in Gang. Wir hatten sehr viel Arbeit, da wir fast alles selbst machten. Wir Kinder wurden sehr früh zur Arbeit angehalten. Als kleiner Junge musste ich zuerst die Säue hüten, später die Gänse, die Schafe und dann das Großvieh. Mein Vater hielt es für notwendig und richtig, dass die Kinder mit allen Arbeiten vertraut und dazu angehalten wurden.

Ich bin Gott für meine lieben treuen Eltern sehr dankbar, denn sie haben mich auf Gebetshänden getragen und dem Herrn geweiht. Die Kraft ihrer Gebete verspürte ich auch während meines ganzen Lebens. Gleich als ich anfing, über meines und das menschliche Leben überhaupt nachzudenken, wurde auch der Wunsch in mir sehr lebendig, ein gerechtes, ehrliches und gottgeweihtes Leben zu führen.