Wolhynien und Galizien

Wolhynien und Galizien hat sich um 1200 zu einem Fürstentum zusammengeschlossen. Wolhynien mit der Hauptstadt Wladimir-Wolynsk lag am rechten Ufer des westlichen Bug. Seinen Namen hatte das Land von der alten Stadt Wolyn und dem Stamm der Wolynianen, der hier hauste. Von alters her war das Land den Fürsten von Kiew untertan. In der Mitte des 12. Jahrhunderts hatte sich hier ein Zweig des Herrscherhauses, die älteren Manona-chowitsche, dauernd festgesetzt. Gleich ihren Brüdern und Vettern, den in Shudal residierenden jüngeren Manonachowitschen, hatten die Fürsten von Wolhynien das Land zu ihrem Erbbesitz gemacht.

1199 wurde Wolhynien und Galizien durch Fürst Roman Matisla-witsch zu einem mächtigen Staat vereinigt, welcher bis zu 1205 bestand. Dann gelangte Fürst Roman M. durch seinen Sohn Daniel Romanowitsch noch zu größerer Macht.

Die Auswanderer aus den verschiedenen Gegenden suchten Wolhynien auf, denn die Fruchtbarkeit des Landes lockte die Siedler an.

Als meine Eltern in Wolhynien angekommen waren, hielten sie in dem Städtchen Sweel, von den Russen Swagel genannt, jetzt Nowograd-Wolhynsk, an. Dort ließen sie sich auch in die Bücher eintragen, in die Meschtschanska Uprawa (d.h. Städtische Rechtspflege). Dann suchten sie sich einen Siedlerplatz aus. Die Auswahl war ja sehr groß. Meine Eltern besaßen schon das Bürgerrecht. Weil das Land billig war, kauften sie das Land als Eigentum. Mit einigen anderen zusammen gründeten meine Eltern eine Kolonie und nannten sie Kapetuschtsche. Dieser Ort lag zwischen Schepe-towka und Nowograd-Wolhynsk. Kurz vor dem ersten Weltkrieg erbaute man hier den Bahnhof Maidanwill. Die Kolonien wurden auf Wunsch der früheren Gutsbesitzer nach ihrem oder ihrer Frau Vor- oder Familiennamen genannt. Weil meine Eltern auch nur wenig Geld hatten, kauften sie hier nur eine Hufe Waldland (17 Hektar, etwa 70 Morgen). In der Zeit, während sie ihr Wohnhaus bauten, wohnten sie im Urwald. Fast Tag und Nacht waren sie an der Arbeit. Sie bauten das Haus von Baumstämmen. Viel Mühe machte es auch, das Holz aus dem Weg zu räumen, damit man das Land bearbeiten und bestellen konnte. Da das grüne Holz nicht brannte, legte man es in große Haufen. Dort musste es länger liegen, ehe man es verbrennen konnte. Lehm und Sand waren tief in der Erde und schwer zu bekommen. So grub man tief in die Erde, barg Lehm und Sand und füllte die Löcher mit dem grünen Holz, auf das sie noch etwas Muttererde brachten. Das war eine harte Arbeit. An diesen durchgearbeiteten Landstrichen legte man meist den Obstgarten an. Die Obstbäume wuchsen und das Obst gedieh.

Bald darauf kamen die Deutschen aus Polen in Mengen herüber. Zuerst meist als Pächter, die es trefflich verstanden, wirtschaftlich voranzukommen. Und infolgedessen konnten sie viel Land ankaufen. Darunter waren auch schon etliche, die mehr Geld hatten und gleich etwas Fertiges kaufen wollten und konnten. An diese verkaufte mein Vater dann die in den 7-8 Jahren eingerichtete Hofstelle und das urbar gemachte Land. Die Eltern siedelten etwa 90 km östlich bei einem Städtchen Goroscheck an. Dieser Ort wurde vor dem Krieg, nach dem Sieger im Türkenkrieg und späteren Generalfeldmarschal, Generalstabchef Michael Kutusow genannt. Nach dem Krieg wurde es Wollodarsk genannt. An diesem Ort wohnten meist nur Juden, Nachkommen von denen, die wohl im 14. Jahrhundert aus anderen Ländern nach Westrussland ausgewandert waren. Ihre Sprache, der Jargon, ist ein mit hebräischen Brocken versetztes Mittelhochdeutsch gewesen. Etwa 5 km von diesem Ort entfernt gründete mein Vater, mit wieder etlichen anderen Deutschen, im Urwald eine deutsche Kolonie. Sie nannten sie Kobelanke. Hier ging das Urbarmachen und Bauen schon ein wenig schneller vor sich. Vater konnte hier schon 2 Hufen Land kaufen und hatte zum Bau auch noch Geld übrig. Etwa 10 Jahre wohnten meine Eltern an diesem Ort. Da die deutschen Auswanderer von Polen noch immer in Massen herüberkamen, verkaufte mein Vater auch diese fertige, gut hergerichtete und ausgebaute Hofstelle. Die Eltern zogen dann noch über 100 km östlich, in die Nähe von Kiew, etwa 25 km südwestlich von dem Städtchen Malin. Mein Vater gründete auch hier eine Kolonie und nannte sie Grünwalde. Auch hier wurde nur das Land bezahlt, denn die Bäume waren überflüssig.

Wie mein Vater es auch auf den anderen beiden Plätzen getan hatte, so baute er auch hier große Gebäude und einen größeren Saal (Kapelle) für den Gottesdienst. Er legte auch gleich zu Anfang einen großen Obstgarten an. Trotz der vielen Arbeit und Mühe haben meine lieben Eltern, wie sie es von Polen her gewöhnt waren (nachdem sie gläubig geworden waren), an jedem Sonntag mit ihrer Familie und Nachbarn zweimal Gottesdienst gehalten.

Meine Eltern und Geschwister freuten sich, solch ein gutes Land bekommen zu haben und in solch einer schönen Gegend wohnen zu können. Sie mussten aber auch erfahren, dass sie auf keinem Platz und an keinem Ort so viel durchzumachen und zu erleiden hatten.

Trotzdem in dieser letzten und stärksten Siedlung die Deutschen im Durchschnitt 9-10 %, und in einzelnen Kreisen bis 12 % der Bevölkerung erreichten, waren doch 60-70 % Kleinrussen (Ukrainer). Viele von diesen schätzten die Deutschen und freuten sich über ihre Nachbarn, weil sie auch von ihnen vieles lernen konnten. Andere dagegen waren unzufrieden, denn ihnen wurde dadurch auch manches abgeschnitten. Sie waren gewöhnt, dass ihr Vieh frei durch Felder und Wälder gehen konnte. Dieses war durch die neuen Grenzen erschwert. Die Deutschen, besonders die Wolhynier, hielten ihr Vieh, Schafe und Schweine eingezäunt in Hocken, um ihren Nachbarn dadurch keinen Schaden zuzufügen. Dieses erwarteten sie auch von ihren Nachbarn, aber sie taten es nicht. Dadurch entstand auch manche Schwierigkeit.

Die Eingeborenen hielten auf ihrem Stückchen Land, auf dem schon ihre Urgroßeltern gewirtschaftet hatten, ein bis zwei Kühe, dazu gewöhnlich zwei Ochsen. Was sich auf ihrem Lande nicht ernähren konnte und wollte, ging frei herum und weidete auf den Ländereien der anderen. So auch die Säue, von denen man im Alltäglichen sagt, dass sie dort „großhungern“ mussten. Im Sommer gingen sie auf die Weide, tranken Wasser und grasten dann wieder. Wenn das Schwein dann 1-2 Jahre alt war, wurde es 5-6 Monate mit Körnern und rohen Kartoffeln gefüttert. Zu seiner Mahlzeit, besonders zur Winterzeit, damit die anderen es ihm nicht wegfressen, wurde es in die Stube hereingerufen. Es verstand den Ruf ganz genau und war so „erzogen“, dass es in der Stube nicht bis hinten an den Tisch gehen durfte. In dem „Töpper-winkel“ war sein Platz. Es kam oft vor, dass es mit der Herrschaft zugleich seine Mahlzeit hielt: die Leute am Tisch und das Schwein im „Töpperwinkel“. Wir sahen dieses oft bei Besuchen und bei unsern Nachbarn. Und wenn das Schwein das Dorf wie ein kleiner König durchschreitete, benahm es sich so, als wenn ihm alles aus dem Wege zu gehen hatte. Vor seinen langen Zähnen, die an den Seiten hervorstanden, konnte man sich auch wirklich fürchten. Die Russen gingen solch einem Mastschwein gern aus dem Wege. Aber die Deutschen, auch deren böse Hunde, straften es, wenn es ihnen Schaden machte. Das löste auch manche nachbarlichen Schwierigkeiten aus.