Meine Beobachtungen als Hirte

Es wurde mir, besonders auch in den jungen Jahren, oft wichtig zu erleben, wie der liebe Gott auch den Einheitssinn in das Vieh hineingelegt hat. Dieses äußerte sich besonders, wenn es sich zu verteidigen galt.

Lebhaft kann ich mich noch einer Begebenheit erinnern, die sich an einem Pfingstfeiertag zutrug. Weit im Walde, auf einem kleinen, runden Hügel, hütete ich das Vieh. Plötzlich hörte ich ein eigenartiges Brüllen. Es war das Gefahrensignal, das sich das Vieh untereinander gab, wenn Gefahr durch reißende Tiere in Sicht kam. Etwas verwundert schaute ich mich um. Und siehe da, das große Vieh bildete einen großen Kreis und nahm das Kleinvieh in die Mitte. Die stärksten Tiere stellten sich nach vorn und schauten immer in eine Richtung, als erwarteten sie etwas Gefährliches. Ich wunderte mich sehr über solches Gebaren und beobachtete gespannt, was hier wohl kommen würde. Dann sah ich einen großen Wolf näher und langsam immer näher kommen. Er muss sehr hungrig gewesen sein. Normalerweise wagen die Wölfe sich zu Sommerzeiten nicht an eine Herde Vieh oder an einen Menschen heran.

Als Knabe, der Situation selbst nicht so gewachsen, kletterte ich auf einen Baum und beobachtete von oben gespannt, was nun geschehen würde. Wieder und wieder wurde von dem stärksten Vieh das Gefahrensignal gegeben. Der Wolf aber umkreiste die Herde unentwegt. So steht es auch vom Teufel geschrieben, dass er umhergeht und sucht, welchen er verschlingen kann. Das stärkste Vieh wandte sich immer wieder nach der Seite, auf der sich der Wolf gerade befand. Das Vieh drohte dem Wolf mit den Hörnern und stieß zwischendurch immer laute Töne heraus. Der Wolf schien aber ein hartnäckiges Tier zu sein. Er setzte sich in die Nähe der Herde, wie ein Hirtenhund, und beleckte sich. Als der Wolf dann langsam einsah, dass er auf diese Weise nichts ausrichten konnte, lief er ein Stück zurück. Er kam dann plötzlich auf das Vieh zugerannt. Er beabsichtigte damit, die Herde zu zerstreuen, ein schwächeres Tier zu erhaschen und es fortzuschleppen. Aber das alte Vieh blieb fest. So sollen auch wir bei den listigen Anläufen des Teufels nicht nachgeben. Wir sollen fest bleiben, wie die Schrift an einer Stelle sagt: „... dem widerstehet fest im Glauben!“ Das Vieh wich keinen Schritt zurück, sondern lief noch auf den Wolf zu, so das er in Gefahr geriet, mit den Hörnern aufgespießt zu werden. Mein gewaltiges Schreien und Rufen oben vom Baum hat den Siegern auch noch Mut und dem Feinde Angst gemacht. Nachdem alle Versuche fehlschlugen, zog der Wolf sich in den Wald zurück.

Frohen Herzens kam ich auch wieder von dem Baum herunter. Ich sprach dem Vieh gut zu und streichelte die großen Tiere, die so tapfer gewesen waren und das kleine Vieh so treu geschützt hatten. „Wir aber, die wir stark sind, sollen der Schwachen Gebrechlichkeit tragen“ (Röm. 15:1). Der Apostel weissagte bei seinem Abschied den Ältesten zu Ephesus: „Denn das weiß ich, dass nach meinem Abschied werden unter euch kommen greuliche Wölfe, die die Herde nicht verschonen werden. Auch aus euch selbst werden aufstehen Männer, die da verkehrte Lehren reden, die Jünger an sich zu ziehen. Darum seid wach!“ (Apg. 20:29-30).

In meinem 15 Lebensjahr haben meine zwei Freunde und ich öfter des Nachts die Pferde gehütet. Etwa 4 km im Wald hatten wir eine Kuschara, einen Ort, wo vor Jahren Mastvieh gestanden hatte, entdeckt. Weil hier gutes Gras wuchs, brachten wir unsere Pferde hierher.

Eines Nachts entstand in diesem Wald, mehrere hundert Meter von uns entfernt, Feuer. Darüber wurden wir sehr beunruhigt. Zu zweien gingen wir auszukundschaften, wer bei dem Feuer ist und wie es entstand. Einem unserer Freunde überließen wir unsere Pferde. Er sollte dort die Sache beobachten und bei Gefahr mit den Pferden ausweichen. Auf dem Weg dorthin stießen wir auf eine Hirschkuh mit ihrem Kalb. Beide sprangen auf, aber das Kälbchen konnte sich in der finsteren Nacht nicht gleich zurechtfinden. Es hielt uns nicht, wie seine Mutter, für Feinde und drängte sich immer wieder an uns heran. Die Hirschkuh stürzte auf uns los, sie spürte wohl, dass wir unbewaffnet waren. Das Kleine wich aber nicht von uns, sondern meldete sich immer wieder. Wir flehten zu Gott, uns zu helfen. Wir waren durch die erregte Hirschkuh in Lebensgefahr. Die Mutter wollte ihr Kind retten, das Kind wollte sich retten, und wir mussten uns retten. Es ist anzunehmen, dass durch das übermäßige Rasen und Toben der Hirschkuh das Kleine vor Aufregung sie nicht als die Mutter erkannte, obwohl sie auch immer wieder Locktöne von sich gab. Solche Erlebnisse begegnen uns auch manchmal von Menschen. Einer wird vom andern verkannt, gehasst und oft ganz unschuldig verfolgt.

Gott bewahrte uns. Wir gingen zu unseren Pferden zurück und verließen nach der halben Nacht dieses Waldstück. Auch dieses war mir eine gute Lehre, wie man vorsichtig sein muss und wie man auch unschuldig in große Gefahr kommen kann. Wir waren überzeugt, dass Gott uns das Erleben mit der Hirschkuh und ihrem Kleinen in den Weg schickte, um uns eventuell vor großer Gefahr beim Feuer zu bewahren.

An einem anderen Abend suchten wir drei uns einen ruhigen Ort, wo unsere Pferde weiden sollten. Wir legten ein großes Feuer an und machten es uns recht bequem. Der kleine Schröder legte sich an die südöstliche Seite des Feuers, Heinrich und ich an die südwestliche. Bald schliefen wir sehr fest, besonders meine beiden Nachbarn. Wir kamen oft sehr spät zum Schlafen und wurden auch oft gestört. Außerdem waren wir auch müde, denn tagsüber verrichteten wir die schwere Landarbeit. Mit Heinrich kam immer sein kleiner Hund mit. Im tiefen Schlaf hörte ich ein eifriges Hundebellen. Ich erwachte davon und sah, dass der Hund dem Heinrich, der auf dem Rücken lag, auf der Brust sitzt. Wir hatten es uns angewöhnt, bei Gefahr nicht gleich aufzuspringen, bevor man nicht wusste, was anlag und entscheiden konnte, wie man sich zu verhalten hat.

Ich sah, dass das Feuer heruntergebrannt war. Nur in der Mitte war noch Glut, das Feuer war am Erlöschen. Der Hund bellte jämmerlich, wie in Todesangst. Ich hob den Kopf etwas und sah auf der anderen Seite der Brandstätte einen großen, starken Wolf, der so in Eifer war, dass er meine Bewegung gar nicht bemerkte. Er kam immer näher, wie eine Katze, wenn sie eine Maus fangen will. Zwischendurch ging er hin und her und setzte sich auch. In meiner Angst flehte ich ganz innig zu meinem Gott, er möge mir eingeben, das Richtige in dieser Situation zu tun. Ich sah die Todesgefahr: Heinrich lag neben mir, der Hund war auf seinem Leib und Brust. Etwa 2 Meter vor dem Hund liegt der kleine Schröder und schläft ganz fest. Ich blieb still liegen und versuchte schnell zu überlegen, was ich machen könnte. Ich überlegte: Wenn der Wolf einen Sprung macht, könnte er mit seinen Krallen dem Heinrich ins Gesicht fahren und ihn gefährlich verwunden. Auch liegt er auf dem Rücken, und der Hund weicht nicht von ihm. Das kann für Heinrich sehr gefährlich werden, und ich kann auch noch etwas abbekommen. Es waren nur noch Sekunden zum Überlegen, denn der Wolf machte sich schon zum Sprung bereit. Auch wollte ich den Wolf nicht erst bis neben den kleinen Schröder kommen lassen, den er mit seinen Tatzen dann sehr leicht schwer verletzen konnte.

Und als die Not am größten, war Gottes Hilfe am nächsten. Gott schenkte mir die Erinnerung, dass Wölfe das Feuer sehr fürchten. In meinem Elternhaus wurde von den Leuten in Sibirien erzählt, die des Nachts weite Touren zu machen hatten. Wenn diese von den Wölfen verfolgt wurden, und die Pferde dadurch unruhig wurden, banden sie eine Büschel Heu oder Stroh an einen Stock oder Pfahl und ließen den brennenden Büschel hinter dem Fuhrwerk herflattern. Die Wölfe kniffen dann ihren Schwanz ein und liefen davon, so schnell sie ihre Beine trugen.

Ich beobachte den Wolf scharf. Und als ich sah, dass er sich zu springen anschickte, ergriff es mich wie eine höhere Macht. Blitzschnell war ich auf, ergriff ein brennendes Holzstück und warf es dem Wolf in die Seite. Dieser Feuerhagel kam ihm ganz unerwartet. Er hatte zum Überlegen noch weniger Zeit als ich. Indem er einen stöhnenden Schrei ausstieß, lief er so unvorbereitet los, dass er sich etliche Male überschlug. Ich schickte ihm noch etliche Brände nach, dass es knisterte, als wenn der Wald brennt. Aus meiner geängsteten Brust kamen dann noch einige Siegesschreie ihm nach. Meine Freude, bei dem Angriff des Wolfes als Sieger hervorgegangen zu sein, kann ich nicht beschreiben. Ich wünsche, ich könnte dem Feind der Seele auch mit dem Feuerbrand des Wortes Gottes und mit der Glut der Liebe von meinen „eingeschlafenen“ Brüdern und Freunden vertreiben.

Meine beiden Freunde schliefen weiter. Der Hund kam zu mir gelaufen und bedankte sich mit frohen Sprüngen für seine Errettung. 

 

Meine kleine Schwester kam einmal mit mir in den Wald. Nach Sonnenuntergang begaben wir uns auf den Heimweg. Unser Vieh ging voran und führte uns auf eine kleine, mitten im Wald gelegene Wiese. Unerwartet fragte mich meine Schwester, ob wir auf dem richtigen Weg nach Hause sind. Über diese Frage war ich nicht nur erschrocken, sondern ich fing auch zu zweifeln an. Mir schien dann auch der Platz gleich fremd zu sein, auch der Weg, auf dem wir gingen, war mir plötzlich fremd. Ich lief sofort vor das Vieh, veranlasste seine Umkehr und wir fingen an zu treiben. Die Viehmütter schüttelten die Köpfe und wollten nicht gehen. Ich quälte mich eine Weile mit dem Vieh herum. Als dann meine kleine Schwester auch noch zu weinen anfing, war es mir klar, dass wir uns verirrt hatten. Der Abend brach herein. Mein Verantwortungsgefühl, nicht allein für das Vieh, sondern auch für meine kleine Schwester, bewegte mich tief und ich flehte zu Gott, dass er mir doch auch dieses Mal aus meinen Ängsten helfen möchte. Plötzlich kam mir in den Sinn, dass ich das Vieh nicht mehr treiben, sondern einfach gehen lassen sollte. Gedacht – getan! Das Vieh wandte kurz um und schlug die entgegengesetzte Richtung ein. Alles ging reibungslos und ohne Treiben. Bald passierten wir einen Zaun, dann ging es über einen kleinen Feldweg, durch eine tiefe Retschka (Flüsschen) und über eine Wiese. Plötzlich waren ganz nah vor uns Häuser. Da packte uns noch ein fremdes Gefühl, doch waren wir froh, zur Nacht zu Häusern zu kommen. Plötzlich kam ein großer Hund vom Hof heruntergelaufen. Wir hielten den Stock schon bereit, er war aber stille. Unsere Augen wurden geöffnet und wir sahen, dass es unser „Packan“ war. Wir fanden uns noch immer nicht zurecht und staunten, wo unser Hund plötzlich herkam. Als uns dann auch noch unsere liebe Mutter entgegenkam, war die Freude groß. Erst mitten auf dem Hof fand ich mich zurecht.

Das Vieh war den richtigen Weg gegangen. Es war unser Grenzzaun, unser Flüsschen, Feld und Wiese. Vor lauter Angst, vor Dunkelwerden nicht mehr nach Hause zu kommen, hatten sich unsere Sinne so verwirrt und alles fremd erscheinen lassen. Von der Zeit an war ich überzeugt, dass der Verirrte den verkehrten Weg als den richtigen ansieht und ihn dann auch geht.

 

Auch durch Schlangen und Ottern bin ich mehrere Male in Lebensgefahr gekommen. Es war in meinem 19. Lebensjahr, beim Grasmähen, da kam mir eine böse Otter in den Weg. Sie benahm sich so, als wenn sie die Herrscherin wäre. Mit einem Knüppel schlug ich ihr den Kopf breit. Ich trug sie dann, wie wir es gewöhnlich machten, auf einen Ameisenhaufen. Weil man bei uns sagte, dass die Otter erst richtig abstirbt, wenn die Sonne untergeht, gab ich auf ihre kleinen Bewegungen, die sie machte, als die Ameisen sich auf ihr Opfer stürzten und sie fast ganz bedeckten, keine Obacht.

Als meine Mutter mir am nächsten Tage das Essen brachte, legte ich mich etwa zweihundert Meter von dem Ameisenhaufen entfernt auf ein wenig abgemähtes Gras. Ich lag so da, auf meinen Ellenbogen gestürzt, und aß mein Vesperbrot. Meine Mutter saß daneben auf einem Baumstamm. Sie wollte bei mir bleiben, bis ich gegessen hatte. Während ich aß und meine Mutter erzählte, hörte ich ein schwaches Schlangenzischen. Als dieses immer stärker wurde, beunruhigte es mich und ich begann, nach der Schlange zu suchen. Mit großer Verwunderung erblickte ich, vielleicht einen Meter von mir entfernt, eine große, schleichende Schlange. Hin und wieder hob sie den zerschlagenen, breitgequetschten Kopf aus dem Gras. Zu meinem großen Schrecken sah ich, dass es dieselbe Schlange war, der ich im Tage zuvor den Kopf breitgeschlagen hatte. Sie mag mich den ganzen Tag verfolgt haben, um sich an mir zu rächen. Ich vernichtete sie dann vollständig.

Dieses ging mir nicht allein durch Mark und Pein, sondern auch durch Herz und Sinn. Ich musste viel darüber nachdenken. Wenn sich solche alte, sündlich verhasste Schlange, in unseren Herzen versteckt, kann sie für uns sehr gefährlich werden. Denn sie ist unser größter Feind. Nur wenn wir sie vollständig vernichten, kann sie uns nicht mehr schaden (Apg. 3:19).