Die weittragende Bedeutung eines glücklichen Ehelebens

Jahre vor meiner Heirat hatte ich hin und her bereits Beobachtungen in Ehen gesammelt und für mich hohe Ideale ins Herz gefasst. So sagten mir z. B. eines Tages Geschwister Wilde, bei denen ich oft aus- und einging, sie seien nun 23 Jahre verheiratet. Aber es sei noch nie vorgekommen, dass eins das andere beleidigt hätte. „So möchte ich es auch haben!“ – dachte ich bei mir. Da ich auch längere Zeit in ihrem Hause wohnte, durfte ich erleben, dass sie wirklich ein herrliches gegenseitiges Verhältnis miteinander hatten.

Eines Tages war ich bei Geschwister Ebel zu Gast. Es war Mittagszeit. Ich saß mit Bruder Ebel am Tisch, als eben Schwester Ebel mit dem Mittagessen hereintrat. Beim Versuch, hinter sich die Tür zu schließen und die Vorhänge beiseite zu schieben, entglitt die Schüssel ihren Händen. Sie zerbrach, und das gute Essen lag auf dem Boden. Ich erschrak. Während ich es von vielen Männern erlebt hatte, dass sie in solchen Fällen mit harten Worten auf die Frau einredeten und sie schalten, stand Bruder Ebel auf und sagte: „Preis dem Herrn! Mama, nimm es dir nur nicht so zu Herzen. Der liebe Gott wird schon für uns weiter sorgen. Da essen wir heute eben etwas Geringeres, nicht wahr, Rudolf?“ „Oh“, dachte ich, „hier kann ich wirklich viel lernen!“

Mehrere Tage nach unserer Hochzeit besuchte uns ein alter Bruder. Er erzählte uns von einem jungen Ehepaar. Nachdem sie ein Jahr zusammen gelebt hatten, gingen sie an der 1. Wiederkehr ihres Hochzeitstages miteinander spazieren. Der junge Ehemann sagte: „Heute ist es ein Jahr, dass wir beisammen sind. Und da haben wir doch schon einer des anderen Schwachheiten und nachteilige Veranlagungen ausgefunden. Wir sollten sie gerade heute uns gegenseitig sagen, um daraus zu lernen, nicht wahr?“ Die junge Gattin forderte ihren Mann auf, zuerst seine Beobachtungen zu äußern. So zählte er verschiedene Dinge auf, die ihm nicht gefielen. Dann sagte er zu seiner Frau: „So, jetzt sage du mir alle meine Fehler“. „Mein lieber Mann“, antwortete die Frau nun, „ich habe dich so lieb, dass ich gar keine Fehler an dir sehe!“

Das wurde uns eine sehr gute Lehre für unseren Eheanfang. Wir entschlossen uns, einander nie Vorwürfe zu machen. Wir haben es auch bis heute so gehalten. Während unserer Fluchtzeit, und auch sonst manchmal, gab es Tage, an denen wir nur wenig zu essen hatten. Doch Gott segnete auch das Wenige, er sättigte uns auch damit. So konnten wir zueinander sagen: „Wir sind doch reiche Leute“. Das Wichtigste war uns, dass eins dem anderen keine Vorwürfe machte. Wir schätzten dieses als großen Reichtum in unserem Ehe- und Familienleben. Oft fehlte es auch am Reisegeld, um die nötigen Besuche machen zu können. Ebenso auch am Postgeld, um Leuten antworten oder schreiben zu können. Wie oft hat meine Frau den letzten Kopeken herausgesucht, Geld, das sie für andere Dinge so nötig gehabt hätte. Aber die Sache Gottes ging ihr über alles. Nie wurde dabei gemurrt. In solchen Zeiten lernte ich es besonders schätzen, eine Frau vom Herrn geschenkt bekommen zu haben.

Ich hatte eine Zeit in einem Hause gewohnt, wo die Eheleute sich gegeneinander erzürnt hatten und tagelang nicht miteinander sprachen. Ich ging zuerst zu der Frau, zählte ihr alle guten Seiten des Mannes auf und versuchte zu vermitteln. Sie brachte aber immer das Schlechte hervor und fügte ein paar Mal hinzu: „Du würdest nicht so handeln!“ Daran merkte ich, dass sie mich ihrem Mann vorzog, und sagte ihr: „Eine solche Frau wie du bist, möchte ich nicht haben!“ Darüber erschrak sie und fragte: „Warum?“ Ich antwortete ihr: „Weil du deinen Mann mit anderen vergleichst“.  Ich zeigte ihr weiter, dass in allem, was da vorging, viel Schuld auf ihrer Seite sei. Dann ging ich zu ihrem Mann ins Geschäft und sagte ihm, dass auch er an der Sache schuld sei. Seine Frau habe auch viel gute Eigenschaften, er wisse sie nur nicht zu schätzen. Ich sprach lange mit ihm, fuhr fort und zeigte ihm all das Gute an seiner Frau. Während dessen versuchte er aber immer wieder ihre schlechten Seiten hervorzuheben. Aber es dauerte nicht lange, da konnte ich auch ihn überzeugen, dass die Schuld an ihm liege. Noch am gleichen Tage vereinten und versöhnten sich beide. Ich erlebte nicht, dass noch einmal so etwas zwischen ihnen vorkam. Ich blieb allezeit ein gern gesehener Freund ihres Hauses.

Während des Krieges kam es in Sibirien öfter vor, dass ich abends zu meinen Verwandten ging. Wir sangen viel zusammen und unterhielten uns über so mancherlei, was in der Welt und durch den Krieg passierte. So vergingen die Abende für mich sehr schnell und gut. Aber meine Frau ließ ich dabei immer allein zu Hause. Das war für sie sehr schwer. Aber sie machte mir keine Vorwürfe, sagte nichts. Eines abends, als ich wieder spät nach Hause kam, lag ein Brief auf dem Tisch, an niemanden gerichtet. Ich las ihn gespannt. Meine Frau hatte so manches aus ihrer Lebensgeschichte aufgeschrieben. Zum Schluss schrieb sie, dass sie hier in Sibirien abends so oft allein sein müsse. Ihr lieber Mann gehe abends öfter weg. Aber sie wollte ihm nicht wehe tun und sagte deshalb davon nichts. Und dann waren Flecke auf dem Papier – Tränen. Meine Frau hatte in Gedanken dieses niedergeschrieben und den Zettel ungewollt liegen gelassen. Dieses sprach aber zu mir Bände. Ich empfand sofort, dass ich meine Frau wirklich grob vernachlässigt hatte. Ich sagte ihr, dass ich es nicht wieder tun wollte. In Zukunft gingen wir immer zusammen.

Sehr gut ist mir noch in Erinnerung besonders das Gottvertrauen und die Gebete für mich, wenn ich auf Reisen war. Meine Frau pflegte auch mit den Kindern das Gebetsleben. Nach meiner Rückkehr hörte ich oft in unserer Familienandacht, wie die Kleinen zum Schluss noch beteten: „Lieber Gott, segne und bewahre doch unseren Papa auf der Reise“. Zum Vertrauen auf den lieben Gott wurden die Kinder immer von ihrer Mutter angehalten.

Während einer meiner Reisen wurde unser kleine Otto schwer krank. Das Bein zog sich ganz zusammen, und er hatte große Schmerzen daran. Diese Erkrankung des Beines konnte auch böse Folgen zurücklassen. Meine Frau wies das Kind darauf hin, ernst zum Vater im Himmel zu beten. Sie fastete und betete, das Kind und sie glaubten, und Gott half plötzlich. Mit Freuden erzählte mir der kleine Otto bei meiner Rückkehr, was der Vater im Himmel an ihm getan hatte.

Auch unser kleiner Artur war erkrankt und hatte tagelang große Schmerzen. Als er in seiner Mutter Arm lag und in seinen Schmerzen sehr stöhnte, sagte seine Mutter: „Still nur, mein Kind, der liebe Gott wird helfen!“ Darauf fragte er: „Ja, hat er das gesagt?“ Meine Frau dachte darüber ein wenig nach und sagte: „Ja, Gott hat es in seinem Wort gesagt“. Hierauf erwiderte der Kleine (etwa 4 Jahre alt): „Wenn das so ist, dann bete, Mama!“ Und als sie gebetet hatte, sagte der Kleine: „Amen“, legte sich hin, als wäre er schon gesund. Er schlief auch gleich ein und schlief bis in den Morgen. Am Morgen aber kam er in die Küche und rief: „Guten Morgen, Mama! Gott sei Dank, der liebe Heiland hat mich diese Nacht geheilt“. Als ich von der Reise zurück kam und mir dieses erzählt wurde, freute ich mich sehr.

Eines Tages hatte ich große Kopfschmerzen und fühlte mich sehr unwohl. Beim Vorübergehen hörte mich der Kleine stöhnen. Er ging in die Küche und sagte zu seiner Mutter: „Was wird es denn mit unserem Papa? Er ist krank, wir müssen für ihn beten“. Die Mutter ließ alle Arbeit liegen, wandte sich zu dem Kind und fragte: „Wann sollen wir beten?“ „Sofort!“ – meinte er. Als sie ihn dann fragte: „Wo?“, sagte er: „Wir gehen in das hinterste Zimmer, wo wir ganz alleine sind“. Als sie gebetet hatten, kam er in mein Zimmer und sagte: „Papa, jetzt bist du gesund, wir haben für dich gebetet!“ Es war mir, als durchlief mich etwas von der Fußsohle bis zum Scheitel. Ich stand auf, und mir ging es viel besser.

In Sibirien bot uns ein Einheimischer in dem Ort in einem kleinen Häuschen, das etwa 50 Meter abseits von seinem Gehöft stand, eine Wohnung an. Die Wohnung war leer geworden, und er wollte gern uns in die Wohnung haben. Er versprach auch, rings um das Häuschen uns einen Acker Land zu lassen. Er hielt aber nicht sein Versprechen, sondern ackerte und besäte alles selbst. Er ließ uns nur einen schmalen Zugangsweg, sowie am Brunnen ein ganz kleines Stück Land, auf das man nicht einmal einen Wagen hätte stellen können. Wir hatten das Häuschen aber nur bezogen, weil Land dazu gehören sollte, das wir als Weide für unser Vieh nutzen konnten.

Nun waren wir sehr enttäuscht und in Not, weil wir kein Weideplatz für unser Vieh hatten. Noch am Tage den Einzugs musste meine Frau, obwohl es sehr regnete, unsere Schafe ins Dorf treiben. Dort suchte sie gegen Bezahlung für den Sommer einen Weideplatz für sie. Des Wetters wegen war das Treiben der Tiere mit besonderen Schwierigkeiten verbunden. Der Feind benutzte dieses, meiner Frau Anfechtungen zu bereiten.

Auf dem Rückweg traf sie die Schwiegertochter unseres Hauswirtes, die sich sogleich nach dem Wie und Warum erkundigte. Im Laufe des Gesprächs sagte meine Frau zu ihr: „Euer Vater hätte es ja nicht so mit uns zu machen brauchen“. Wahrscheinlich, um ihrem Schwiegervater zu Gefallen zu sein, erzählte sie ihm diesen Ausspruch. Sehr wahrscheinlich drückte sie sich dabei verstärkt aus.

Bald darauf klopfte es. Der Hauswirt kam, setzte sich behäbig auf einen Stuhl. Er schaute eine Zeit vor sich hin, um sich, wie es schien, so recht zum Reden und seiner Verteidigung fertig zu machen. Aber, ehe er seine Handlungsweise verteidigen konnte, ging meine Frau auf ihn zu und sagte: „Können Sie mir vergeben, dass ich zu ihrer Schwiegertochter so und so gesprochen habe? Es ist uns zwar nicht so leicht und wir können Ihre Handlungsweise nicht recht verstehen. Aber wenn ich hätte etwas sagen wollen, so hätte ich zu Ihnen kommen und es Ihnen selbst sagen sollen“. So stand sie redend vor ihm, und die Tränen kamen ihr dabei in die Augen. Erstaunt schaute der Mann sie an. Er war doch gekommen, sich zu rechtfertigen. Und nun war meine Frau ihm zuvor gekommen und hatte ihn um Verzeihung gebeten. Seine Verteidigungsrede wurde dadurch völlig erstickt. Und ich merkte, dass auch ihm die Augen feucht wurden. Wir gingen auf unsere Knie und beteten miteinander. So sind wir gute Freunde geblieben. Bald danach gab er uns ganz freiwillig ein Stück Land.