Andere Begebenheiten

Es gab in der Schule des Herrn auch noch andere Abteilungen. Eines Tages, als ich eben durch die Porowa nach Topolno ging, brach ein schweres Gewitter los. Ich trat in ein Haus, um Schutz zu suchen. Die  Blitze zuckten, und ein Donnerrollen folgte dem anderen. Da ich sah, dass die Frau des Hauses erschrocken und sehr geängstigt war, zog ich mein Neues Testament heraus und redete mit ihr auch vom Bereitsein für die Ewigkeit. Sie stimmte mir bei. Wie es mir schien, hörte sie auch mit Interesse zu und forderte mich auf zu beten.

Einige Tage danach, als ich wieder an dem Hause vorbeiging, war die Frau vor der Tür. Sie zeigte mit dem Finger auf mich und sagte in spöttischem Ton zu ihrem Mann: „Das ist der Mann, der mich kürzlich bekehren wollte!“ Mir gab es innerlich einen Stich. Dennoch zog sogleich ein tiefer Friede durch mein Herz, wusste ich doch, vor dem Herrn mein Bestes getan zu haben. Wie ist der Mensch in Gefahr und in der Sicherheit doch oft so ein ganz anderer!

Aus jener Zeit ist mir eine, man möchte fast sagen, tragische Begebenheit in Erinnerung. Mit mehreren Gläubigen zusammen war ich der Einladung gefolgt, bei der Einweihung der neuerrichteten Baptistenkapelle in Bromberg zugegen zu sein. Auf unserer Heimfahrt trafen wir in unserem Wagenabteil mit einem jungen Mann zusammen. Wir kamen mit ihm ins Gespräch und erfuhren, dass er auch aus Südrussland sei und sich hier in der Bromberger Gegend angesiedelt und ein nettes Häuschen gebaut habe. Wir suchten das Gespräch auch aufs Geistliche überzuleiten. Da wir nicht auf Widerstand stießen, fragten wir ihn, ob er bekehrt sei. Bekehrt sei er nicht, gab er zur Antwort. Aber er habe schon in Russland dem Herrn gelobt, wenn es ihm gelinge, sich in Deutschland anzusiedeln, er auch ernstlich nach Gott fragen wolle.

Wir sagte ihm dann, dass wir gern nähere Verbindung mit ihm anknüpfen möchten. Wir fragten ihn auch, ob es ihm recht wäre, wenn wir ihn einmal besuchen und in seinem Hause Andacht halten würden. Er könnte hierzu auch andere einladen. Er willigte ein. Auf unsere Frage, wann wir am besten kommen könnten, antwortete er nach ernsthaftem Überlegen: „In vier Wochen!“ Wir gaben zur Antwort, dass das noch recht lange sei und wir nicht wüssten, ob wir da noch lebten. Wir machten ihm den Vorschlag, ob wir nicht nächsten Sonntag zu ihm kommen könnten. Der junge Mann aber wollte dieses nicht. Mir fiel auf, dass die älteren Geschwister arg drängten. In mir nahm der Gedanke immer mehr Raum, dass man doch nicht so drängen sollte, wenn er nicht möchte. Ich sagte aber nichts und dachte, dass die älteren Brüder schon wüssten, was zu tun und zu sagen wäre. Noch eine Weile drängten die Brüder zu einem früheren Termin. Da er aber nicht einwilligen wollte, fragten wir ihn schließlich nach dem Grund. Er sagte, dass er in drei Wochen Hochzeit habe, am Sonntag danach könnten wir kommen. Vorher wollte er es nicht, damit seine Schwiegereltern nicht noch etwas dazwischen bringen könnten. Und dann sei es auch besser, weil eine gute Frau im Haus sein würde. Seine Braut sei auch für das Gute. Noch einmal wies eines der Geschwister darauf hin, dass man das Göttliche nicht aufschieben solle und führte die Schriftstelle an: „Heute, so ihr seine Stimme hören werdet, so verstocket eure Herzen nicht!“ Der junge Mann aber bestand auf den von ihm gewählten Termin. Wir verabschiedeten uns mit ihm am Bahnhof Prust, wo er am Schluss sagte: „Auf ein frohes Wiedersehen!“

Vierzehn Tage nach diesem Zusammentreffen führte mich eine Wanderung in die Nähe des Ortes, in dem dieser junge Mann wohnte. Es war sehr heiß. Da ich in der Gegend nicht so gut Bescheid wusste, ging ich auf einen alten Mann zu, der Löcher in der Straße mit Steinen auslegte. Ich erkundigte mich bei ihm nach dem Weg. Als ich merkte, dass er schwer seufzte, fragte ich, um mit ihm ein Gespräch anzuknüpfen, wie es denn ginge und was es Neues gäbe. „Oh“, sagte er, „in unserem Ort ist ein großes Unglück passiert und große Trauer eingekehrt. Wir hatten da einen jungen Schmied, einen tüchtigen Menschen. Er ist aus Südrussland gekommen und hat sich hier ein Häuschen gebaut. Nächsten Sonnabend sollte seine Hochzeit sein. Kürzlich brachte man einen Göpel in die Schmiede zur Reparatur. (Göpel ist ein Rosswerk, das zum Dreschen und Mahlen benutzt wird. Es ist sehr schwer und nur mehrere Männer können es aufheben bzw. bewegen). Als der junge Schmied sich nun darunter zu schaffen machte, sprang die Stütze weg. Der Göpel fiel direkt auf ihn, und er war sofort tot. Und nächsten Sonnabend sollte seine Hochzeit sein!“

Als ich dieses hörte, war ich tief erschüttert. Und ich verstand nun auch, warum die Geschwister so auf ihn eindrangen. Sie haben gespürt, dass sie es tun sollten. In meiner späteren Arbeit hat mich dieser Vorfall oft angespornt, zögernde Seelen zu nötigen; sie öfter und dringend zu nötigen, doch ohne Aufschub ihre Seele mit Gott in Ordnung zu bringen!