Kirgisen

Die Kirgisen sind sunnitische Mohammedaner. Sie wohnen im Winter in Lehmhütten und im Sommer in Jurten (Zelten). Seit grauer Vorzeit weideten sie als Nomaden ihre Viehherden vom Kaspischen Meer bis ins Altaigebirge. Im 17. Jahrhundert ist das Kirgisenvolk ganz allmählich unter die russische Herrschaft gekommen. Jetzt findet man sie zahlreich in der Gegend um Omsk. Dort wohnen auch akademisch gebildete Kirgisen.

Fußwanderungen sind ihnen von frühster Jugend auf gänzlich fremd. Und wenn es auch nur eine kurze Strecke ist – der Kirgise benutzt sein Reitpferd, selbst wenn bei dem Einfangen des Pferdes mehr Zeit vergeht, als er zu Fuß benötigte. Die Kirgisen sind viel auf Reisen. Zu den Märkten erscheinen sie zahlreich, oft zu zwei oder drei auf einem Pferd oder in kleinen Korbwagen (ohne Sitze) bzw. mit den Schlitten. In dem Kirgisen liegt es eingewurzelt, – ob er auch in der Stadt ansässig oder dort ein Beamter ist – wenn er es möglich machen kann, zieht er im Sommer in die Steppe hinaus. Dort teilt er wieder das alte Leben seines Volkes, und er ist in diesem Zustand glücklich.

Im Sommer bleibt im Aul (Dorf) nur ein Wächter, etliche Alte oder sehr Arme. Die anderen sind alle in der Steppe. Im Winter essen sie Pferdefleisch, weil es erwärmt. Landwirtschaft betreiben sie nicht. Aber doch besitzt jeder ein Stück Land. Seitdem sie durch die Europäer Mehl kennen lernten, backen sie so etwas wie Brot. Es hat die Größe eines Fingergliedes, sie nennen es „Bauersaki“. Zur Winterszeit trinken sie viel heißen Tee, in welchen sie am liebsten einen Löffel Butter tun. Aber das Hauptgetränk ist bei ihnen Kumys (gegorene Stutenmilch). Sie nennen diese auch Champannja.

Am meisten beschäftigen sie sich mit Vieh- und Pferdezucht. Sie führen ein rechtes Hirtenleben. Mit seinem hölzernen Pflug wühlt der Kirgise im Frühjahr kleine Plätze auf seinem Waldstreifen um und besät sie mit Getreide. Da der Boden nicht weiter bearbeitet ist, ist die Ernte sehr gering. Deshalb ist beim Kirgisen das Brot auch immer ein „Leckerbissen“.

Die Pferde, die sie nicht zur Arbeit gebrauchen, besonders die tragenden Stuten, lassen sie auch den Winter hindurch auf den Steppen sich selbst ernähren. Die fleißigen Tiere graben sich mit den Vorderbeinen durch den Schnee und fressen das Gras und das verschiedene Unkraut in den Steppen. Das Gras ist dort heuartig und unter dem Schnee unverdorben. Wenn es vor dem Schneefall regnet und friert, so dass das Gras in Eis gebettet ist, wird den Tieren Stroh vorgelegt. Aber das kommt sehr selten vor. Etwa zweimal wöchentlich sieht man nach den Pferden. Es könnte vorkommen, dass sie sich im Kampf mit wilden Tieren befinden. Sie sind immer in großen Scharen beisammen. Sie nehmen den Kampf mit wilden Tieren mutig auf. Er darf nur nicht zu lange dauern, da sie vor Hunger schwach werden. Auch die ganz jungen Füllen, die eben geboren wurden, werden von den Alten, oft durch harte Kämpfe, vor den wilden Tieren bewahrt. Auf die Neugeborenen haben es die Wölfe besonders abgesehen, das ist für sie ein besonderer Leckerbissen.

Im Frühjahr beginnt man, die Stuten zu melken. Die Milch wird in Schläuche gefüllt. Sie muss darin säuern. Nicht nur die Kirgisen trinken sie gern, sondern auch viele andere europäische Völker. Manchen Magenkranken wird von den Ärzten solch eine Kumyskur verordnet.

An einem schönen Sommertag, als ich zusammen mit einem Bekannten auf unserer Reise in einer Jurte, bei einer ihm bekannten Kirgisenfamilie einkehrte, lernte ich den Kumys kennen. Bei unserer Ankunft mussten wir uns sofort auf eine Filzdecke auf die Erde setzen. Der Kirgise setzte sich neben uns, legte seine Beine über kreuz, und wir machten es ihm nach. Was gleich am Anfang besonders gegen mein Empfinden ging, war das vor uns Liegende. Es sah wie ein enthaartes, gefülltes Tier aus. Es war einer von ihren Schläuchen. Von einer Kuh oder einem Pferd wird die Haut abgezogen und ausgearbeitet. Und in dieser Haut wird der Kumys zubereitet. Für die Zubereitung dieses Getränkes ist wichtig, dass die Bakterien, die zur Gärung nötig sind, aus den Mägen der jungen Lämmer oder Kälber genommen werden. Auch der bei den Kirgisen sehr beliebte „Eremtschik“ wird von Süßmilch mit Hilfe von Lämmermägen hergestellt. An einem Bein des Schlauches ist ein Stock, ähnlich wie in einem Butterfass. Und im zweiten Bein ist ein Kran befestigt.

Nun begann die Frau auf Befehl ihres Mannes den Gästen Kumys einzuschenken. Sie ging an den Schlauch heran, ich hörte das Plumpern drinnen und sah, wie die Frau das durchrührte. Da verging mir schon der letzte Appetit, noch ehe sie es einschüttete. Nun füllte sie drei henkellose Holzschalen zu je etwa einem halben Liter. Die erste überreichte sie ihrem Mann. Der stützte seine Ellenbogen auf die Knie und stellte die Schüssel auf die Spitze seiner Finger. Dann brachte sie auch uns eine Schüssel Kumys, und wir machten es ebenso. Mein Bekannter und der Kirgise nahmen nun während des Erzählens hie und da einen Schluck. Mein Bekannter hatte mich schon, weil er befürchtete, dass es mir beim Kumystrinken nicht gut gehen würde, darauf aufmerksam gemacht, dass sie es für Sünde rechnen, wenn man Kumys verschüttet, auch wenn es nur ein Tropfen ist. Obwohl mich der Gastgeber oftmals nötigte, dass ich auch trinken möchte, wagte ich es nicht. Ich wartete erst, bis sie ihre Schüssel leer hatten. Und dann leerte ich auch meine in einem Zug. Der Geruch des Getränkes hat etwas Abstoßendes. Hat man ihm aber einmal den Geschmack abgewonnen, so trinkt man ihn gern. Er ist erfrischend und zugleich hungerstillend, ohne sättigend zu sein. Er beschwichtigt den Hunger, ohne den Appetit zu rauben. Man kann recht gut eine Zeit lang ohne weitere Speisen mit dem Kumys auskommen. Andererseits kann man aber doch so viel essen wie sonst. Ein Kirgise trinkt im Durchschnitt 8-10 Liter Kumys am Tag, oft auch noch mehr. Aber die Mahlzeit Fleisch von seinen Schafen und Pferden nimmt er doch ein.

Trotz der vielen und schweren Kleidung, die der Kirgise winters und sommers trägt, steigt er schnell auf sein Pferd und wieder herunter. Die Pelzhosen wechselt er nur im Frühjahr. Er trägt sie auch nachts. Er hat ein ruhiges Temperament und lässt sich viel bieten, ehe er sich aufregt. Er gibt auch leicht nach und ist friedlich veranlagt. In seiner Tätigkeit lässt er sich nicht stören.

Die Kirgisen haben ein ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl. Sie greifen auch nicht gern allein an, sondern gruppenweise. Wo sie im Vorteil sind, da stoßen sie vor. Sind sie aber im Nachteil, ziehen sie sich zurück. Sie scheuen sich auch nicht vor einem fluchtartigen Rückzug. Sie haben ein feines Empfinden, sich dorthin zurückzuziehen, wo sie dann eine gute Stellung einnehmen können.

Der Nomade baut und sorgt nicht für die Zukunft, er lebt in der Gegenwart. Er freut sich seiner Ruhe, solange ihn kein Feind von außen zwingt, sich zu wehren. Der Kirgise baut für sich, wie auch für seine Reitpferde und Schafe, eine niedrige Stellung aus Lehm mit einem Dach aus Gestrüpp, Rohr, Stroh und Dünger. Für das andere Vieh macht er gewöhnlich nur einen Zaun und teilweise ein Dach darüber.

Die Jurte (Zelt) wartet schon vom vorigen Herbst auf dem Wagen. Im Frühling wird sie dann am neuen Weideplatz, auf einer Wiese oder sonst auf einem mit Rasen bedeckten Boden wieder aufgestellt. Mehrere Jurten, in einer Reihe aufgestellt, bilden einen Aul (Dorf).

In den Hütten der Kirgisen, oder deren Sommerjurten, wurde ich besonders an die Zeit unseres Herrn Jesu auf Erden erinnert. Und auch daran, wie es zum großen Teil noch heute im Orient ist. Tische und Stühle haben sie nicht. Alles setzt sich auf den Fußboden. Sie tragen keine Sandalen, sondern Stiefel. Und zwar insgesamt drei Paar übereinander. Das dritte Paar ist strumpfartig, aber von sehr feinem, teuren Leder. Das Zimmer, in dem die Speisen auf dem Fußboden stehen, wird peinlich sauber gehalten. Keiner darf herein, er habe denn 2 Paar seiner Stiefel ausgezogen. In allen drei Paar Stiefeln dürfen sie nur bis an die Tür kommen. Aber mit den reinen, inneren Stiefeln dürfen sie auch dort hinein, wo gegessen wird, wo auch das Brot ausliegt.

Sollte es im Geistlichen nicht ähnlich sein? Gehen wir daran, geistlich zu essen, – sei es, dass wir in den Gottesdienst gehen oder uns in das persönliche Gebet begeben – sollten wir dann nicht auch unsere „Stiefel“ ausziehen, mit denen wir auf irdischen Fluren herumgelaufen sind? Mit all den irdischen Gedanken, Plänen und Vorstellungen können wir die gute Gabe des himmlischen Brotes, das der Herr uns darreichen will, verunreinigen.