Meine Unternehmungen

Mein Arbeitsfeld damals war sehr weitflächig. Ich hatte mehrere Plätze im Rownoer, Owrutscher und auch in anderen Kreisen, die ich besuchte und bediente. Die Plätze lagen ziemlich weit auseinander. Wir wechselten auch öfter unseren Arbeitsplatz, damit wir auch mit den Arbeiten in den anderen Ortschaften und mit den Lieben dort inniger vertraut wurden.

Im Jahre 1912 gab ich zum ersten Mal einen Abreißkalender „Bote der Wahrheit“ heraus. Es war eine Auflage von nur 5000 Stück. Die Verbreitung ging in alle Richtungen Russlands und sogar bis ins Ausland vonstatten. Soviel ich mich erinnern kann, wurden aus einer deutschen Kolonie in der Wolgagegend etwa 300 dieser Kalender bestellt. Es war schade, dass wegen der Arbeitsfülle und mancherlei Schwierigkeiten, die sich plötzlich in den Weg stellten, die Herausgabe für das nächste Jahr unterlassen werden musste. Es kamen im Herbst 1912 viele Nachfragen nach dem Kalender.

Im Jahre 1912 wohnten wir im Städtchen Kostopol. Hier schenkte uns eine gläubige Familie, Geschwister Kelm, einen Bauplatz. Wir stellten alles Gott anheim. Wenn er es will, dass wir bauen sollten, würde er auch dafür sorgen, dass wir das Baumaterial und das nötige Geld bekamen. Und Gott erwies sich auch wieder als der treusorgende Vater: Bald darauf wurde in der Nähe eine Pachtkolonie aufgelöst. Sie wurde von schlechten Menschen zerstört, und wir konnten alle Häuser sehr billig kaufen. Aus drei alten Holzhäusern und ein wenig neuem Material bauten wir auf der Bahnhofstraße, zwischen dem Städtchen und Bahnhof, ein Haus mit drei Wohnungen und einem Versammlungssaal. Das Haus war noch nicht ganz fertig, als wir inzwischen zu einer mehrtägigen Konferenz-Versammlung eingeladen wurden. Dort rieten uns die älteren Brüder, uns an nichts zu binden. Sie gaben ihrer Überzeugung Ausdruck, dass ein Evangelist ganz frei sein sollte. Zwischen meiner Frau und mir war sofort Einigkeit darüber, so zu handeln, wie wir dem Herrn und seinem Werk am besten dienen konnten. Während der nächsten Versammlungspause erzählte ich einem Bekannten aus unserem Ort, dass wir unser Haus verkaufen würden. Der Mann kaufte es uns noch am selben Tage ab. Ach, wie froh war ich doch, dass ich mich in der Führung des Allmächtigen befand! Wir stellten uns dann ganz in den Dienst und in die Forderungen des Herrn: Wenn er uns etwas gibt, nehmen wir es; heißt er es uns abgeben, lassen wir davon los.

Im Jahre 1913 ließ der Herr uns durch manche trübe Stunden gehen. Vorahnend überkam uns oft ein sehr bedrückendes Gefühl. Dieses trieb uns oft vor Gottes Angesicht ins Gebet. In einer Gebetsstunde, während des ernsten Gebets, bekam ich den Eindruck, dass sich in Kürze manches maßgeblich verändern wird. In voller Gewissheit darüber, unterbreitete ich dieses nach der Stunde meinen Brüdern. Ein Hoffnungsstrahl durchleuchtete dennoch mein Inneres. Ich bekam die Überzeugung, dass wir doch bewahrt blieben, auch wenn wir durch manche Trübsal zu gehen hätten.

Meine Schwester und Schwager hatten in der Kolonie Andreufka ihr Ladengeschäft. In Mariendorf, einer neuen Siedlung an der polnischen Grenze, besaßen sie, nahe am Wasser gelegen, ein schönes Stück Waldland. Dazu gehörte ein wenig Ackerland und Wiese, in der Größe von 8 Hektar. Diese Stelle Land traten sie uns ab. Wir fingen noch vor der Ernte mit dem Bau eines Hauses an. Der Bau ging zügig voran, weil wir ja Baumaterial (Holz) aus unserem Walde hatten. Es war dies ein sehr schöner Bauplatz. Von einer Seite und einem Ende umzingelte ihn, bis an den geplanten Obstgarten, ein kleines Flüsschen.

Trotz der herrlichen Natur und der vielseitigen und abwechslungsreichen Beschäftigung, verloren sich die bedrückenden Empfindungen nicht. Und wir warteten im Geiste der Dinge, die da kommen würden. Als wir eines Tages von unserem Bauplatz heimgingen, begegnete uns im Wald ein Holzfuhrmann. Dieser sagte uns, dass man alles mobilisiert, und es wohl Krieg geben würde. „Dann hat Gott auch hier seinen Weg“, sagten meine Frau und ich. Als wir dann nach Hause kamen, sagte meine Schwester, die aus der Stadt gekommen war, dass mit Deutschland Krieg sei.

Wir waren an unserem Hausbau gerade mit dem Rohbau fertig geworden. Wir brachten auch nicht mehr so viel Mut auf, das Haus zu vollenden.