Es trat ein Mann in meine stille Kammer
Und hielt in seiner durchgrabnen Rechten
Ein güldnes Kleinod, wunderbar glänzend.
„Nimm hin,“ sprach er, „ich bringe dir zur Gabe
Hier dies Juwel, es heißt: Das Reich der Himmel.“
Schnell gab ich Antwort, schüchtern seitwärts blickend:
„Mein Herr! Du irrst dich wohl.
Nicht mir gebühret solch edle Kron.
Ich hab nur Schmach verdienet
Und bin nicht wert, das Kleinod zu bekommen.“
„Nimm hin,“ sprach sanft sein Mund, „aus lauter Gnaden!“
„Wie? Nein, das kann ich nicht!
Noch muss ich prüfen:
Was forderst du von mir, wenn ich nun nehme
Dein herrliches Geschenk?
Wie soll ich’s brauchen? Werd ich es auch bewahren können?
Darf ich es ungescheut vor allen Menschen tragen?“
„Nimm! Nimm!“, so tönt noch einmal ernst und dringend
Des Fremdlings Stimme mir.
Oh! Gerne, gerne
Hätt ich das güldne Kleinod mein genennet!
Es regte sich ein mächtiges Verlangen in meiner Brust,
doch zaudernd blieb ich stehen in unerklärlich törichtem Besinnen
Und nahm die Gabe nicht.
Und er?
Oh, schweigend blickt er mich an, voll Liebe und Erbarmen.
Dann wandt er sich und zog in Wehmut weiter.
Und als er wen’ge Schritte nur gegangen,
Sah ich, wie er voll Freundlichkeit sich nahte
Zu einem holden Kindlein, das gar heiter
Inmitten eines Blumengartens spielte.
„Nimm hin“, sprach er, „nimm hin die schöne Gabe,
Die ich dir bring; sie heißt: das Reich der Himmel.“
Flugs streckt das Kind die Ärmchen ihm entgegen,
Nimmt froh das Kleinod an und drückt’s voll Wonne
Fest an sein Herz.
Dann legt es sanft sein Händchen
Hinein in jene durchgegrabne Rechte
Und ruft: „O danke, lieber Mann.
Wie freundlich bist du mit mir!
Ich hab dich lieb von Herzen,
Und immer, immer will ich bei dir bleiben!“
Es schaut ihn an mit seligem Vertrauen,
Und auf des Fremdlings Angesicht, da strahlt es
Von unaussprechlich reiner, heil’ger Freude.
Denn wer das Himmelreich nicht als ein Kindlein
Nimmt gläubig an, der wird es niemals sehen.
Und ich?
O lob den Herrn, du meine Seele!
Ich ward ein Kindlein, Herr, durch deine Gnade.
Mein ist das Himmelreich, du hast’s gegeben;
Du, du bist mein, und ich bin ganz dein eigen!