In den Lasterhöhlen der Städte

Es ist mein Vorrecht gewesen, wenn man es überhaupt ein Vorrecht nennen darf, einige Lasterhöhlen der Großstädte zu besuchen.

Als ich vor einigen Jahren in der Stadt Denver im Staat Colorado verweilte, bat ich den dortigen Polizeivorsteher, einige der verrufensten Orte der Stadt besuchen zu dürfen, da ich Material sammelte, um ein Buch gegen Laster, Verbrechen und andere Fallgruben menschlicher Sünde zu schreiben. Er schrieb mir: „Sie sind gerade der Mann, von dem wir einen Besuch dieser Orte wünschen. Denver hat die Fülle davon. Kommen Sie heute gegen elf Uhr abend, dann ist der Betrieb an diesen Stätten in vollem Gange. Ein Detektiv in Zivil wird Sie begleiten. Er versteht sein Geschäft, kennt sich also gut aus, und die ganze Sache wird nichts kosten.“

Zur verabredeten Zeit führte der Detektiv mich und zwei Freunde in die Stadt. Zunächst sahen wir ein Theater der niedrigsten Art, aber auch eins der vornehmsten konnten wir besuchen. Nun wurden wir in die Häuser von üblem Ruf geführt, dorthin, wo die Sünde in ihren verschiedensten Arten zu Hause ist. Viele dieser Lasterhöhlen waren mit Trinkhallen und Bars verbunden.

Danach stiegen wir eine Treppe zu einem abgeschlossenen Ort hinunter. Eine Tür führte in einen dämmrigen Raum, in dem sich eine Spielhölle befand. Dieser Ort wurde von Dieben, Räubern und Verbrechern aller Art als Versteck benutzt; hier raubten sie die Menschen aus und verbrachten ihre Zeit mit Spielen.

Ehe wir diesen Raum betraten, sprach unser Führer zunächst mit einer heimlich aufgestellten Wache, ließ den Besitzer rufen, mit dem er bekannt war, und versicherte ihm, dass wir nur harmlose Nachtbummler seien und dass er durch uns keine Schwierigkeiten haben würde und ihm auch kein Arrest oder Gefängnis drohe.

In dem Raum saßen um zwei Tische eine Anzahl Männer mit rohen Blicken und finsteren Mienen. Man sah, dass ihnen kein Ding zu schlecht war, um es zu vollbringen. Auf den Tischen lagen Haufen Geld und vor jedem der Männer lag ein Revolver und ein Dolchmesser. Als wir eintraten, sprach der Geschäftsinhaber mit gedämpfter Stimme zu den Anwesenden und versicherte ihnen, dass alles in Ordnung sei. Sie schienen uns kaum zu beachten, aber wir konnten sehen, dass jeder seine Hand in der Nähe der Waffen hatte. Als der Besitzer durch ihre Reihen schritt, spielten sie weiter, als ob nichts passiert sei.

Nun stiegen wir die Treppe wieder hinauf und standen bald in einem sehr vornehmen Zimmer eines feinen Gebäudes. Es war einer der vornehmsten Spielsalons. Wein und Frauen waren an jedem Tisch zu finden und alles war darauf abgestellt, die Menschen anzuziehen. Daneben gab es noch Privaträume und Geheimzimmer. Diebe, Räuber, Mörder, Spieler aller Art, Verbrecher beiderlei Geschlechts sündigten hier in der furchtbarsten Weise und versuchten dabei, noch Unschuldige in ihren Sumpf zu ziehen. Zu schrecklich ist manches, was ich in jener Nacht sah, um es an dieser Stelle näher zu schildern.

Einmal sagte mir jemand, dass die Männer schlechter als die Frauen seien. „Geh einmal mit mir nach Chicago und ich will dich überzeugen, dass die Frauen gerade so schlecht sind wie die Männer“, entgegnete ich. Wenige Wochen später hatten wir Gelegenheit, in Chicago zu verweilen. Ich ging zum Leiter der „Offenen-Tür-Mission“, die ganz am Rande der Unterwelt lag und ihre Arbeit zwischen den Ausgestoßenen und Hilfsbedürftigen in jenem Viertel verrichtete. Er sagte, dass er und seine Mitarbeiter um Mitternacht ihre Streifen durch die Höhlen jenes Stadtteils machten, und dass er uns gern einmal daran teilnehmen ließe. In jener Zeit konnten die Spiel- und Lasterhöhlen in Chicago ungehindert bestehen und die Menschen frönten diesem teuflischen Werk in aller Öffentlichkeit.

Auf unserem Streifzug in jener Nacht besuchten wir zwei Häuser, in dem sich in einem Raum ungefähr 250 Personen – Männer, Frauen und Kinder – befanden. Alles johlte und trank. Man trug das Bier in Eimern und Flaschen her. Betrunkene Frauen bedienten sich in ihrer Unterhaltung der gemeinsten Worte.

Nun besuchten wir einige Bordelle, Kneipen und Häuser von sehr üblem Ruf, in welchen wir Mädchen fanden, die durch Mädchenhändler an diese Orte des Schreckens geraten waren und hoffnungslose Anstrengungen machten, hier herauszukommen. Diese Ärmsten wurden in den am weitesten nach hinten gelegenen Räumen festgehalten und führten so ein wahres Sklavenleben. In den Vorderräumen trieben Barmädchen und Frauen ihr gemeines Wesen. Betrunken und fast vollkommen entblößt boten sie einen Anblick des Grauens. Man sollte es kaum glauben, dass die Menschheit so tief sinken kann.

Als wir dann zurückkehrten, fragte ich meinen Freund, ob er noch die gleiche Meinung hätte, dass die Männer schlechter seien als die Frauen. Die Antwort war: „Wenn es überhaupt einen Unterschied gibt, dann sind die Frauen die Schlechteren.“

Als die Stadt San Francisco erbaut wurde, gab es dort einen Stadtteil, der „das Chinesenviertel“ genannt wurde. An jeder Seite dieses Viertels wurden später neue Häuser errichtet, doch die Chinesen machten aus ihrem Viertel ein Stück Heimat. Wenn man es betrat, schien man in China zu sein, mit seinen Geschäften, Märkten, Vorratshäusern, Tempeln, mit seiner Sprache und Kleidung. Vor einigen Jahren vernichtete das große Erdbeben auch dieses Viertel und an dieser Stelle ist seitdem ein modernes Stadtviertel entstanden.

Vor dem Erdbeben gab es hier auch ein unterirdisches Chinesenviertel, das nur wenigen bekannt war. Auf unserer Rundreise fanden wir zufällig einen geheimen Eingang zu dieser Hölle, die ich nun in Begleitung zweier Freunde betrat. Wir bahnten unseren Weg durch die dunklen, unterirdischen Gänge. Nur hier und da hing ein armseliges Öllämpchen, um nach dem Glauben der Chinesen die bösen Geister fernzuhalten. Im schwachen Schein des Lichtes fanden wir dann eine zweite Tür. Wir öffneten sie und traten in eine der berüchtigten Opiumhöhlen. Wir standen Auge in Auge mit den schwersten Verbrechern der gelben Rasse. Die meisten lagen in ihren Kabinen, auf Feldbetten oder gar auf dem Fußboden. Diejenigen, die vom Genuß des Opiums noch nicht vollkommen berauscht und wie tot dalagen, rauchten dieses schreckliche Gift. Nur zwei oder drei waren imstande, aufrecht zu sitzen oder zu stehen, doch sie wankten wie Betrunkene umher. Über unseren Besuch schienen sie nicht sonderlich erfreut zu sein. Durch Zeichen und Bewegungen machten wir ihnen verständlich, dass ihnen durch uns keine Gefahr drohe, und bald sanken auch sie nieder und rauchten schläfrig ihre Opiumpfeifen.

Als wir eine andere Öffnung fanden, verließen wir diesen Ort des Grauens. Doch in der Dunkelheit fanden wir nur einen dunklen schmalen Gang, der plötzlich zu Ende war und unserem Vordringen ein Ende machte. Wir kehrten um, durchschritten noch einmal die Opiumhöhle, dann allerlei finstere Gänge und befanden uns nach kurzer Zeit wieder im Freien.

Unser Führer erklärte uns, dass dieser Ort ein Schlupfwinkel für politische und andere schwere Verbrecher sei, um der sicheren Todesstrafe zu entgehen. Wären die Männer unter dem Einfluss des Opiums nicht so ohnmächtig gewesen, wären wir wahrscheinlich in großer Lebensgefahr gestanden.