Der kranke ungläubige Arzt

Vor einigen Jahren bat mich eine Frau aus Columbus, Ohio, in einem Brief, ihren Onkel in Cincinnati zu besuchen. Dieser Mann war ein bekannter Arzt in Kentucky. Er hatte zuerst ein krebsartiges Geschwür an seinem Hals bekommen. Allmählich breitete sich die Krankheit über seinen ganzen Körper aus. Nun war er zur Behandlung nach Cincinnati gegangen.

Die Frau schrieb, ihr Onkel lehne die Bibel ab. Da ihm aber die Ärzte keine Hoffnung auf eine Genesung von dieser Krankheit machten, glaube sie, dass er jetzt leichter zur Erkenntnis seiner geistlichen Not kommen könne, auch wenn sein Körper nicht mehr gesunden würde. Nach Gebet und stiller Betrachtung schrieb ich dem Mann einen Brief, in welchem ich ihm die Bitte seiner Nichte mitteilte und bot ihm, wenn es sein Wunsch wäre, meinen Besuch für einen bestimmten Tag der folgenden Woche an. Schon nach kurzer Zeit erhielt ich eine freundliche Einladung, ihn zur genannten Zeit zu besuchen.

Bei meiner Ankunft fand ich den Kranken in hoffnungslosem Zustand. Die Ärzte weigerten sich, ihn weiter zu behandeln und hatten ihn gebeten, doch nach Hause zu eilen, denn seine Zeit auf dieser Erde sei nur noch kurz bemessen. Er empfing mich mit größter Freundlichkeit und sagte:

„Herr Byrum, ich glaube nicht an die Bibel. Zu viele Widersprüche sind in ihr enthalten und manches in ihr ist lächerlich und unglaublich. In der Tat, die Bibel ist voller Widersprüche.“

Ich entgegnete ihm, dass ich schon viele Leute getroffen hätte, die nicht an die Bibel glaubten und dachten, unerklärliche Dinge darin gefunden zu haben. Aber in jedem Fall, in dem diese Menschen sich mit mir in eine Aussprache über diese angeblichen Widersprüche eingelassen hätten, wären die Schranken des Unglaubens durch ein besseres Verständnis der Heiligen Schrift weggeräumt worden.

„Können Sie mir einige dieser unglaublichen Dinge nennen, die Sie gefunden haben?“, fragte ich.

„Die jungfräuliche Geburt Christi zum Beispiel“, sagte der Mann und fuhr mit erregter, heftiger Stimme fort: „Jedermann sollte wissen, dass dies eine von Maria und Joseph erfundene Geschichte ist, um den Menschen die natürliche Entstehung des Kindes zu verheimlichen, wenn an der ganzen Geschichte überhaupt etwas wahr ist. Wir sind ja darin einzig auf die Angaben der Bibel angewiesen und wer weiß, wer die Bibel schrieb? Ich sage Ihnen, dass die ganze Sache lächerlich und unglaublich ist.“

Noch nie zuvor war ich aufgefordert worden, diese Dinge einem Menschen zu erklären, der die Wahrhaftigkeit der Bibel bezweifelte. Hier war nun ein Mann, der nicht an die Bibel glaubte, und der auf die eine oder andere Weise von ihrer Glaubwürdigkeit überzeugt werden musste. Die biblischen Ausführungen über jene Begebenheit hatten ja für ihn kein Gewicht. Während der Unterhaltung betete ich still zu Gott, mir eine überzeugende Illustration zu geben. Gerade jetzt schritten zwei seiner Kinder durch das Zimmer.

„Sind dies Ihre Kinder?“, fragte ich.

„Ja“, entgegnete er, „es sind meine Kinder.“

„Ohne Zweifel würde Ihre Frau das Gleiche bezeugen“, sagte ich.

„Na, aber sicher ist das der Fall.“

„Ich weiß aber nicht, ob dies Ihre Kinder sind oder nicht, wenn auch Sie und Ihre Frau es mir sagen. Vielleicht könnten Sie ein Bestätigungszeugnis des Arztes herbeischaffen, der bei der Geburt der Kinder zugegen war.“

„Ja, diese ärztliche Bestätigung könnte ich erhalten.“

„Damit könnte wohl bewiesen werden, dass Ihre Frau die Mutter der Kinder ist, wer weiß aber, ob Sie der Vater sind? Dafür sind noch mehr Beweise als die soeben angeführten notwendig.“

Der Mann schien vollkommen verblüfft zu sein.

„Haben Sie ein Familienstammbuch?“, fragte ich nun.

„Ja“, entgegnete der Mann.

„Steht in diesem Buch geschrieben, dass dies Ihre Kinder sind?“

„Ja.“

„Nun bedenken Sie“, sagte ich, „wäre ich nun immer noch nicht gewillt, an Ihre Vaterschaft zu glauben, dann müssten Sie noch bessere Beweise aufbringen, um die Wahrhaftigkeit Ihrer Angaben zu erhärten. Die Frage: ‚Wer schrieb Ihr Familienstammbuch?‘ könnte für mich die gleiche sein, wie Ihre Frage hinsichtlich der jungfräulichen Geburt Christi: ‚Wer weiß, wer die Bibel geschrieben hat?‘“

Dann sagte ich: „Es gibt eine Möglichkeit für Sie, mir zu beweisen, dass dies in der Tat Ihre Kinder sind. Wenn ich Sie von Angesicht schaue, werde ich wohl Ihr Abbild in ihnen sehen – die Ähnlichkeit der Züge, die gleiche Form des Kinnes, des Mundes und der Nase. Wenn ich weiter das Gemeinsame gewisser Bewegungen und der Stimme Ihrer Kinder mit der Ihrigen erkenne, habe ich keinen Grund, die Wahrheit Ihrer Aussagen anzu­zweifeln. Das gleiche gilt von Joseph, Maria und der Geburt Jesu. Wir haben nicht nur ihre Angaben, wie sie von den Aposteln in der Heiligen Schrift niedergeschrieben wurden, sondern schon Jahrhunderte zuvor weissagten die Propheten von der jungfräulichen Geburt, von Jesu Wirken, seiner Kreuzigung, von seinem Grab, seiner Auferstehung und von den Segnungen, die denen versprochen wurden, die an ihn glauben würden. Diese Voraussagungen reichen bis in die gegenwärtige Zeit und auch ich bin Teilhaber dieser versprochenen Segnungen.“

„Nun gut, in diesem Punkt mag alles stimmen“, bemerkte er, „aber es gibt so viel anderes, was nicht erklärt werden kann. Ich habe die Werke von Voltaire, Tom Payne und Ingersoll seit Jahren studiert, und als ich die Bibel mit ihnen verglich, fand ich, dass sie mit Irrtümern und Widersprüchen gefüllt ist.“

„Der Weg Ihrer Forschungen war nicht der rechte. Sie hätten gerade umgekehrt die Bibel zu Ihrer Richtschnur nehmen und jene Männer einmal im Lichte der Bibel betrachten müssen. Ich bin überzeugt, dass Sie dann die wirklichen Widersprüche gerade bei jenen Feinden des Wortes Gottes gefunden hätten. Doch lassen Sie uns nun eine weitere fragwürdige Stelle der Bibel besprechen.“

„Gut, im Bericht über die Erfahrung des Saulus von Tarsus auf seiner Reise nach Damaskus heißt es in Apostelgeschichte 9:7: ‚Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da, denn sie hörten wohl die Stimme, sahen aber niemand.‘ In Apg. 22:9 dagegen steht: ‚Die aber mit mir waren, sahen das Licht und erschraken; aber die Stimme dessen, der mit mir redete, hörten sie nicht.‘ Dies ist ein nicht zu leugnender Widerspruch. Erst heißt es ‚sie hörten wohl die Stimme‘, dann aber, ‚sie hörten die Stimme nicht‘.“

„Nun, mein lieber Herr Doktor, erlauben Sie mir, Ihnen eine Illustration zu geben, die einiges Licht auf diese Dinge werfen wird. Nehmen wir an, ein Amerikaner, ein Japaner und ich sind im Gespräch. Der Amerikaner versteht Englisch und Japanisch, ich jedoch nur Englisch. Der Japaner sagt jetzt auf japanisch: ‚Ehe die Sonne untergeht, werde ich einen gewissen Mann töten.‘ Und wirklich, vor Sonnenuntergang ist er zum Mörder geworden. Niemand war Zeuge der Tat. Bald werden wir dem Richter vorgeführt. Der Amerikaner wird als Zeuge vernommen und gefragt: ‚Hörten Sie eine Drohung dieses Japaners, jemanden zu ermorden?‘

‚Ja.‘

‚Können Sie es beschwören, dass er in Ihrer Gegenwart davon sprach, noch vor Sonnenuntergang jenen Menschen zu töten?‘

‚Ja.‘

„Nachdem der Zeuge seine Aussage gemacht hat, werde ich aufgerufen und gefragt: ‚Hörten Sie die Drohung des Japaners, jemanden zu ermorden?‘

‚Ja.‘

‚Können Sie beschwören, dass er in Ihrer Gegenwart davon sprach, noch vor Sonnenuntergang jenen Menschen zu ermorden?‘

‚Nein.‘

‚Sie waren doch im Augenblick seiner Aussage gegenwärtig und müssen auch alles wie der andere Zeuge gehört haben.‘

‚Ja.‘

‚Warum können Sie dann nicht beschwören, dass der Angeklagte die Drohung ausstieß?‘

‚Wohl war ich gegenwärtig und hörte alles, was der andere Zeuge hörte, ich hörte die Stimme des Mörders, doch verstand ich seine Worte nicht, weil ich der japanischen Sprache nicht kundig bin.‘

„Nun ist mir auch diese Stelle verständlich“, sagte der Kranke, „aber in Jesaja 7 befindet sich ein Widerspruch, den Sie und auch kein anderer hinwegerklären können.“

Ich antwortete ihm, dass ich mich im Augenblick auf den Inhalt dieses Kapitels nicht besinnen könnte, aber noch immer hatte ich das Wort Gottes bei eingehender Betrachtung widerspruchslos gefunden. Ich öffnete die Bibel und las das betreffende Kapitel. Doch schon ehe ich zu Ende gelesen hatte, erleuchtete der Geist Gottes sein Verständnis und der Bann seines Unglaubens war gebrochen – er hatte die Wahrhaftigkeit von Gottes Wort erkannt. Er fiel auf seine Knie und rief den Herrn um Gnade an: „O Herr, vergib mir und errette mich von meinen Sünden. Alle Tage meines Lebens will ich dein Evangelium verkündigen“, rief nun ein Mensch, der zuvor nichts von Gott wissen wollte.

Sein Gesicht erhellte sich, als er so wunderbar die Hilfe des Herrn empfing, dann aber verdunkelte es sich wieder und es schien, als zögen dunkle Schatten der Entmutigung durch seine Seele. Als ich ihn nach der Ursache seiner plötzlichen Verstimmung fragte, sagte er: „Von neuem tauchen zahllose Widersprüche der Heiligen Schrift vor meiner Seele auf.“

„Schauen Sie jetzt nicht auf diese Dinge. An drei Erklärungen erkannten Sie klar, dass im Worte Gottes keine Widersprüche enthalten sind, und alle scheinbaren Widersprüche sind ähnlich wie die ersten drei zu erklären. Überlassen Sie diese Dinge Gott und zur gegebenen Zeit wird er Ihr Verständnis für sein ganzes Wort öffnen. Sie verstehen sein Wort bereits so weit, dass Sie sich ihm übergeben und an die Rettung Ihrer Seele glauben können.“

Er folgte meinem Rat und die Engel im Himmel freuten sich über einen Sünder, der Buße getan hatte. Zum Schluss sagte ich ihm noch, wenn er seinem Herrn von ganzem Herzen treu bliebe, würde er sich nicht nur auf dieser Erde der Segnungen eines christlichen Lebens erfreuen, sondern bald droben das schauen, was Gott für sein Volk bereitet hätte. Ich hatte die Gewissheit, dass seine Tage auf dieser Erde gezählt waren und dass sein Abscheiden bevorstand. Als ein mit Gott Versöhnter kehrte er heim und einige Wochen später durfte er seine himmlische Belohnung empfangen. Er blieb bis zum Ende treu und redete täglich mit Freunden und Nachbarn von der Erlösung durch Jesus Christus. Auf diese Weise erfüllte er sein Gott gegebenes Versprechen, für den Rest seiner Tage von ihm zu zeugen.

Auch dieser Mann durfte erkennen, dass es für den Glaubenden leicht und natürlich ist, all die wunderbaren Dinge in der Bibel zu erfassen, die durch die gewaltige Hand des Herrn unter dem Volke Gottes geschahen. Seine gesamte gottesfeindliche Literatur war für ihn nun ein Schutthaufen und nur des Verbrennens würdig.