Eine Missionsreise durch Mittelamerika

Während der Lagerversammlung in Anderson im Jahre 1909 kam eines Tages mein fünfzehnjähriger Sohn Arlo mit der Bitte zu mir, mich bei meiner beabsichtigten Missionsreise durch Mittelamerika und die Karibischen Inseln begleiten zu dürfen.

„Mein Plan ist, mit Br. Khan diese Reise zu unternehmen“, entgegnete ich. „Und sollte er sich entschließen mitzukommen, dann steht deinem Wunsch manches entgegen. Allerlei Mühseligkeiten und Beschwerden müssen auf solch einer Reise ertragen werden.“ Doch Arlo glaubte, dazu imstande zu sein.

„Du bist aber kein Missionar und kannst nicht erwarten, dass die Gemeinde auch noch dein Reisegeld aufbringt. Und wir beide haben kein Geld, die Unkosten zu bestreiten.“ Doch er glaubte, dass Gott ihn schon mit den nötigen Mitteln versorgen würde.

„Ich kann aber niemand mitnehmen, der in Krankheitsfällen oder zur Überwindung von mancherlei Schwierigkeiten nicht das Gebet des Glaubens beten kann. Und es können Zeiten kommen, in denen ich jemanden brauche, der für mich das Gebet des Glaubens betet.“ Doch auch dieser Einwand konnte Arlo nicht zum Verzicht auf seinen Wunsch bewegen, machte ihn doch der Glaube beharrlich, auch dies tun zu können.

„Auch die Führung eines Tagebuches während der Reise ist notwendig, und 6 Monate lang müsstest du jede Woche einen Artikel für das Jugendblatt schreiben.“

Als er all diese Bedingungen angenommen hatte, sagte ich zu ihm: „Gut, bete über diese Dinge und erforsche den Willen Gottes. Ich will das Gleiche tun. Wenn es Gott gefällt, dann wird er auch für die notwendigen Mittel sorgen.“

Wir trennten uns und jeder brachte im Gebet dem Herrn sein Anliegen dar. Gern hätte ich ihn mitgenommen, aber ich wusste nur zu gut, dass es ein gewagtes Unternehmen war, denn es galt, viele und oft schwere Verantwortungen zu tragen.

Am anderen Tag kam einer unserer Freunde zu mir und sagte: „Ich habe gehört, dass du eine Missionsreise nach Mittelamerika unternehmen willst und dass dein Sohn Arlo den Wunsch hat, dich zu begleiten. Wenn es euch recht ist, will ich sein Reisegeld bezahlen. Wie hoch ist die notwendige Summe?“

„Nach meiner Schätzung werden 400 Dollar notwendig sein.“

Dunkel ist es mir, wie unser Freund von unseren Reiseabsichten erfuhr. Er ging dann weg und händigte mir bereits nach einigen Stunden einen Scheck über 200 Dollar aus. Den Rest beabsichtigte er, mit der Post nachzusenden, was auch geschah.

Im November reisten wir von New Orleans ab. Als wir uns am zweiten Tag unserer Reise im Golf von Mexiko befanden, bat ich Arlo, mit seinen Eintragungen ins Tagebuch zu beginnen.

„Worüber soll ich denn hier schreiben?“, fragte er. „Ist doch nichts als Wasser und der blaue Himmel zu sehen.“ Nun reichte ich ihm mein Tagebuch und ließ ihn einiges aus meinen bereits beschriebenen Seiten lesen, um ihm zu zeigen, dass es sich lohnt und auch möglich ist, hier etwas zu schreiben.

Unseren ersten Aufenthalt hatten wir in Belize, Britisch Honduras, wo wir ein Gefängnis besichtigten und eine Schriftenverteilung einrichteten. Dann kamen wir nach Port Barrios in Guatemala, wo wir am Sonnabend in einem uns zur Verfügung gestellten Gebetshaus Gottesdienste abhielten. Am Sonntagmorgen fuhren wir mit dem Zug weiter nach Zacapa, wo schon Vorbereitungen zum Abhalten eines Gottesdienstes getroffen waren. Weiter ging es zur Hauptstadt Guatemala, die wir abends gegen 9 Uhr erreichten.

Zu beiden Seiten unseres Wagens befand sich je eine lange Bank, und in der Mitte des Wagens stand auch eine ebenso lange, aber breitere Bank, auf deren beiden Seiten die Reisenden mit dem Rücken gegeneinander saßen. Für Nachtbeleuchtung musste jeder Reisende selbst sorgen. Während unserer Fahrt war die einzige Beleuchtung eine Talgkerze, die in einer Ecke des Wagens auf dem Boden stand.

Als wir in Guatemala ankamen, waren fast alle Gasthäuser besetzt und der Tagespreis betrug 20 Dollar. Wir fanden dann ein Quartier für 12 Dollar, und da der Wert des amerikanischen Dollars das 16- bis 18-fache des guatemalischen ausmachte, wohnten wir doch noch billig.

Mit dem Schiff fuhren wir dann von San Jose zur Stadt Panama. Wie groß war aber unser Schrecken, als wir statt des angenommenen Fahrpreises von 25 jetzt 75 Dollar bezahlen sollten. Auf unsere Frage, ob Missionare keine Fahrpreisermäßigung bekämen, wurde uns die Antwort gegeben, dass dies nur auf dem Schiff geregelt werden könne.

Kaum hatte das Schiff den Hafen verlassen, da stürzten die Fahrgäste in Scharen zum Zahlmeister, um ihre Karten vorzuzeigen. Nun standen wir ohne Karten vor ihm und baten um Fahrpreisermäßigung. „Sie hätten doch ihre Karten an Land besorgen müssen, mein Herr. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen eine Fahrpreisermäßigung gewähren darf.“ Der Mann durchsuchte nun seine Dienstanweisungen, um die entsprechende Vorschrift zu finden. Alle Fahrgäste mussten jetzt auf uns warten, darum baten wir den Beamten, unsere Sache später zu regeln, wenn er mehr Zeit hätte. Den geforderten Preis würden wir ohne Beanstandung zahlen. Die Sache gefiel dem Mann und er rief einen Steward, der uns Kabinen anweisen sollte.

In unserer Kabine brachten wir diese Angelegenheit vor Gott und baten ihn, das Herz des Mannes so zu lenken, dass er uns dreien die Preisermäßigung gewähre, obwohl wir für Arlo gar keine beantragt hatten. Als wir uns kurze Zeit später schlafen legen wollten, klopfte jemand an der Tür. Es war der Zahlmeister. Er sagte: „Ich kann Ihnen die Fahrpreisermäßigung gewähren. Kommen Sie morgen früh in mein Büro und holen Sie sich die Karten. Die Ermäßigung beträgt 25% für jeden von Ihnen.“ Freudig dankten wir und priesen Gott, dass er unser Gebet erhört und beantwortet hatte.

Nach einer weiteren Fahrt ging unser Schiff eine Meile von Acajutla, nicht weit von Salvador, vor Anker. Wir hatten geplant, hier an Land zu gehen, da das Schiff erst gegen Mittag des andern Tages weiterfuhr. Die Schiffsleute waren mit dem Ausladen der Fracht beschäftigt. Ein nahezu voll beladenes kleineres Fahrzeug lag neben unserem Schiff und war zur Abfahrt bereit. Schon saß ich mit Br. Khan zwischen den Säcken im Boot, als vom Oberdeck die Stimme des Arztes zu uns heruntertönte: „Wo wollen Sie hin?“ Dabei schaute er uns mit wichtiger Miene an.

„Wir wollen an Land.“

„Das Betreten dieses Hafens ist verboten.“

Wir lächelten nur und blieben sitzen, wodurch der Schiffsarzt scheinbar gereizt wurde.

„Wenn Sie an Land gehen, werde ich Sie beim Betreten des Schiffes impfen. Und wenn wir in Panama anlaufen, werde ich über Sie eine Reisesperre von 14 Tagen verhängen. Ich werde jeden impfen, der das Schiff verläßt.“

„Gut“, sagten wir. Als nächstes wollten wir uns an den Kapitän wenden. Doch er war bereits an Land gegangen. Dann suchten wir den Zahlmeister auf, der uns sagte, dass er nicht die Vollmacht hätte, die Erlaubnis zum Verlassen des Schiffes zu erteilen. Endlich kam der Kapitän wieder an Bord. Wir suchten ihn in seinem Büro auf und trugen unsere Bitte vor, dass dies ein Ort unseres Missionsfeldes wäre, den wir zu besuchen gedächten.

„Es tut mir leid“, sagte er, „ich kann nichts für Sie tun. In diesen Häfen sind die Schiffsärzte allein maßgebend. Sie tun hier, was ihnen beliebt.“

„Können Sie nicht Ihren Einfluss dazu verwenden, den Doktor umzustimmen?“

„Ich wage kaum, ihn darum zu bitten.“

„Gut, tun Sie das Beste für uns, was Sie vermögen.“

Lachend gingen wir auseinander. Eine halbe Stunde später, wir saßen gerade auf Deck, rief uns der Schiffsarzt mit freundlicher Miene und in einem ganz anderen Ton die Worte zu: „Soeben empfing der Kapitän eine Meldung aus San Francisco, wonach die Sperre über diesen Hafen aufgehoben ist. Sie können also ungehindert das Schiff verlassen.“

Wir freuten uns über diese günstige Wendung der Dinge, fanden es aber sonderbar, dass gerade jetzt diese Meldung von San Francisco eingelaufen war. An Land erfuhren wir dann, dass beinahe die ganze Bevölkerung römisch-katholisch war. Nur zwei kleine protestantische Missionshäuser waren vorhanden, wobei eines davon im entfernten Teil des Landes lag. Der Leiter des Missionshauses, das sich am Ort unserer Landung befand, sprach und verstand nur Spanisch. Doch groß war seine Freude, als wir ihn aufsuchten, und sogleich übertrug er uns die Durchführung des Abendgottesdienstes. Einige spanische Wörter hatten wir bereits aufgefangen, und es gelang dem sprachenkundigen Br. Khan bald, durch mancherlei Gesten und Bewegungen unterstützt, eine Unterhaltung in Gang zu bringen.

Da in der Gemeinde niemand war, der Englisch verstand, bemühten wir uns um einen Dolmetscher. Man sagte uns, dass nur zwei Personen in der Stadt leidlich Englisch sprechen konnten. Der eine war ein Jude, und der andere lehnte es als Abtrünniger der Kirche ab, bei einem Gottesdienst als Dolmetscher zu amtieren. Der Jude erklärte sich dann zum Übersetzen bereit.

Welch ein sonderbares Zusammentreffen fand an jenem Abend statt: das Evangelium Jesu Christi wurde von Br. Khan, einem bekehrten Mohammedaner, gepredigt, von einem Juden übersetzt, und dies geschah vor römisch-katholischen Zuhörern in einem protestantischen Missionshaus!

Im Hafen von Nicaragua mussten wir zwei Tage liegen, um die Löschung einer Ladung abzuwarten, obwohl dies in wenigen Stunden hätte geschehen können. Da sich jenes Land jedoch im Kriegszustand befand, waren nahezu alle fähigen Männer zum Kriegsdienst herangezogen worden. Die Zurückgebliebenen waren entweder zu langsam und zu träge oder auch Neulinge auf diesem Arbeitsgebiet, die keine Ahnung hatten, wie man die Ladung eines Schiffes löscht.

Als wir uns der Stadt Panama näherten, erklang ein Ruf durch das Schiff: „Alle Fahrgäste der ersten und zweiten Klasse müssen sich jetzt im Speisesaal zum Impfen einfinden.“

In unserer Kabine baten wir Gott, uns davon zu befreien, war doch das Klima hier auf der Landenge von Panama sehr heiß und die sanitären Einrichtungen nicht die besten. Unter diesen Verhältnissen bedeutete die Impfung eine Gefahr für unsere Gesundheit, der wir uns nicht auszusetzen wünschten. Dann gingen wir zum Speisesaal, wo die Menschen gedrängt standen und auf die Impfung warteten.

Jedem, der an die Reihe kam, wurden einige Fragen gestellt. Dann musste der Betreffende einen Arm entblößen, um darauf im angrenzenden Zimmer geimpft zu werden. Jetzt war unser Vordermann an der Reihe. Es erging ihm wie allen anderen. Doch welch ein Wunder: Als ich vor dem Mann stand, wurde ich nicht aufgefordert, meinen Arm zu entblößen, sondern konnte unbehelligt den Raum verlassen. Auch Arlo und Br. Khan wurden verschont. War dies nicht ein herrlicher Beweis, dass Gott Gebete erhört? Hinter uns stand der Letzte in der langen Reihe der Wartenden und ihm ging es genau so, wie den anderen.

Der Zug führte uns über die Landenge von Panama, die ungefähr 84 Meilen breit ist. Als wir Colon an der Atlantischen Küste erreichten, sahen wir, wie das Schiff nach Trinidad bereits den Hafen verließ. 12 Tage mussten wir nun auf ein anderes Schiff warten. Unsere Wartezeit benutzten wir zu einer eingehenden Erkundung dieses Gebietes. Wir suchten auch den Hafen von Limon auf. Dort trafen wir mit einem Baptistenprediger zusammen. Er war ein Schotte und hieß Dr. John. Er war von einer großen Plantagengesellschaft mit der geistlichen Pflege von sieben Gemeinden in den Bananen-Plantagen beauftragt worden. Für eine Woche sollten wir seine Gäste sein. Dr. John sagte: „Morgen werde ich euch zu einer 27 Meilen entfernten Bananen-Plantage führen; dort könnt ihr predigen und arbeiten, soviel ihr wollt.“

Die erste Plantage, die wir erreichten, war 21 Meilen lang und 4 Meilen breit. Wir hörten, dass die Bananenernte noch nicht im Gange sei. Wie erstaunt waren wir aber, als sieben lange mit Bananen beladene Frachtzüge die Plantage verließen. Verwundert dachten wir: Welch ungeheure Mengen müssen hier zur Reifezeit geerntet werden, wenn schon jetzt solche Ladungen die Plantage verlassen.

In den Plantagen standen hier und da Häuser, in denen zum Teil sowohl Vorräte für die Beschäftigten aufbewahrt als auch Schulunterricht und religiöse Versammlungen abgehalten wurden.

Während meines Aufenthaltes dort wurde ich von einem plötzlichen Fieber ergriffen. Dr. John war sehr erschreckt, denn er meinte, es wäre das gefürchtete „schwarze Fieber“, das in dieser Gegend herrschte und Ausländer gewöhnlich nach 2-4 Tagen dahinraffte. Nachmittags gegen vier Uhr lag ich auf einer Bank vor dem Hause. Arlo und Br. Khan beteten für mich, doch keine Änderung trat ein. Darauf begaben sie sich in die Plantage und verharrten dort im Gebet. Als sie zurückkehrten, fühlte ich mich besser und konnte noch am Abend die Predigt halten.

Am Ende des Gottesdienstes waren die Leute sehr freundlich und gesellig, doch keiner lud uns ein, über Nacht bei ihm zu bleiben. Bald waren alle gegangen und wir waren uns selbst überlassen. Noch kurze Zeit unterhielten wir uns, dann schlug ich vor, für uns ein Nachtlager so gut es ging zu bereiten. Wir rückten die Bänke zusammen und hatten bald eine Lagerstätte für die Nacht, doch fehlte uns jegliches Bettzeug.

Gerade wollten wir uns zur Ruhe legen, als eine große Ratte über den Querbalken zu unseren Häupten lief. „Es scheint, als erhielten wir heute Nacht Gesellschaft“, sagte einer von uns. Dann hörten wir Stimmen von draußen. Wenige Minuten später marschierten fast alle Glieder der Versammlung in unser Schlafgemach. Aus ihren bescheidenen Hütten hatten sie alle möglichen Gegenstände zu unserer Bequemlichkeit gebracht. Einer nach dem andern legte etwas von seiner ärmlichen, aber sauberen Kleidung auf unsere primitiven Betten.

Die Ruhestätte der meisten Leute dort war ein auf dem Boden liegender Strohsack. Und weil sie selbst nicht im Besitz von Bettwäsche waren, konnten sie natürlich auch uns keine anbieten. Unter den mitgebrachten Sachen befanden sich zwei Betttücher, so dünn wie ein Schleier, Taschentücher, Handtücher, ärmliche Unterwäsche von Männern und Frauen, ein Kleid und einige Polster, die als Kissen dienen sollten. Still und bescheiden legten sie die Sachen an ihren Platz und ließen uns dann allein. Obgleich die armseligen Gegenstände, die nun auf den Bänken lagen, uns noch lange kein behagliches Bett bieten konnten, schätzte ich doch ihre Bemühungen sehr hoch. Die Lieben gaben uns das Beste, was sie besaßen und brachten ein so großes Opfer für unsere Bequemlichkeit.

Bald nach unserer Rückkehr nach Panama besichtigten wir den sich im Bau befindlichen Kanal und fuhren dann zur Insel Trinidad. Unterwegs hatten wir mehrmals Aufenthalt an der Nordküste Südamerikas.

In Cartagena besichtigten wir ein Regierungsgebäude, das während der spanischen Inquisition von den Katholiken benutzt worden war. Hier wurde uns ein Zimmer gezeigt, in dem die der Ketzerei Angeklagten verurteilt wurden, um dann im angrenzenden Zimmer auf ein mit spitzen Stahlnägeln versehenes Bett geworfen zu werden. In diesem Bett zählte ich 116 dieser 10 cm langen Nägel. Arlo kam den Nägeln zu nahe und riss sich an einer dieser Stahlspitzen die Haut am Kopf auf. In der heißen Sonne brannte die Wunde sehr. Ich sagte ihm, dass er einen kleinen Vorgeschmack von der Inquisition erhalten hätte und nun noch besser mit jenen Märtyrern fühlen könne, die hier vorzeiten zu Tode geplagt wurden.