Eine stürmische Straßenversammlung unter wilden Afghanen, bei der wir die Hilfe des Herrn auf wunderbare Weise erfuhren

Vor einigen Jahren wünschte eine Gruppe von Reichsgottesarbeitern im Nordwesten Indiens am Sonntag eine Straßenversammlung abzuhalten. Wir wandten uns an die Stadtverwaltung um Erlaubnis für unser Vorhaben, erhielten aber eine Absage mit der Begründung, dass die afghanische Grenze sehr nahe sei und unsere Versammlung durch die christenfeindlichen Afghanen gewiss gestört werden würde. Ferner sei es für die englische Regierung kaum möglich, dem Treiben dieser Leute Einhalt zu gebieten, da sie nach der Tat leicht über die Grenze entwischen könnten. Man riet uns, die Versammlungen in einem geschlossenen Raum abzuhalten und sicherte uns dann ausreichenden Schutz gegen Störungen zu. Doch wir bestanden auf unserem Plan, wenn möglich, die Versammlungen im Freien abzuhalten, denn wir wussten, dass es unmöglich sein würde, das Volk zu bewegen, einen geschlossenen Raum aufzusuchen.

Darauf wurde uns mitgeteilt, falls wir die Versammlung im Freien abhielten, müssten wir auch die Verantwortung für unser Leben tragen. Wenn wir bei einem Zwischenfall von einem behördlichen Eingreifen absähen, könnte die Erlaubnis erteilt werden. Die Beamten nahmen wohl an, dass wir auf ein solches Risiko nicht eingehen würden. Wir aber dankten ihnen für das Vorrecht, das sie uns eingeräumt hatten und wählten für unsere Versammlung den Platz unter einem Baum, nahe an der Straße.

Ein Bruder erzählte uns, dass vor zwei Jahren, nicht weit von jener Stelle, der Herausgeber einer englischen Zeitung während eines Gesprächs mit einem englischen Major von einem Afghanen erschossen worden war. Nach der Tat schwenkte der Mörder sein Gewehr in der Luft und schrie: „Nun bin ich des Himmels sicher.“

Die Afghanen sind Sunniten (eine mohammedanische Sekte). Ein eigenartiger Zug ihres Glaubens ist der vermeintlich sichere Platz im Himmel, wenn sie einen Christen töten. Jeder, der amerikanische Kleidung trägt, ist in ihren Augen ein Christ. Und wäre jemand ein Pferdedieb und fiele in die Hände dieser Afghanen, so müsste er als Christ leiden, wenn Kleidung oder Nationalität ihn als solchen kennzeichnen.

Als wir dann die Vorbereitungen trafen und unseren Gottesdienst mit einigen Liedern eröffnen wollten, begann sich eine Menge um uns zu scharen. In einiger Entfernung standen einige Afghanen, die offenbar nichts Gutes im Sinn hatten. Einer von ihnen, wohl der Anführer, war ein starker, verwegen dreinschauender Bursche. Unser Gottesdienst hatte kaum begonnen, da machten jene Männer einen großen Lärm, indem sie mit Stöcken auf etwas herumtrommelten. Dabei erhoben sie ein ohrenbetäubendes Geschrei und wollten auf diese Weise wohl Aufregung und Verwirrung unter den Andächtigen hervorrufen.

Gesang und Gebet waren beendet und unser Dolmetscher gab einiges bekannt, doch seine Stimme ging im Lärm der Feinde unter. Darauf begann ich meine Predigt, die der Dolmetscher in die Landessprache übersetzte. Die Menge der Zuhörer hatte sich im Halbkreis um uns gruppiert, und sie anschauend, wandte ich unseren Gegnern den Rücken zu und beachtete so scheinbar ihr Vorhaben nicht. Sie begannen, sich in ihrer Sprache auffallend laut zu unterhalten. Ich sprach ebenfalls lauter, und je mehr der Lärm zunahm, um so mehr strengte auch ich meine Stimme an, denn der Dolmetscher übersetzte nicht nur, sondern ahmte auch den Ton meiner Stimme getreu nach.

Unsere Nichtbeachtung schien ihre Wut nur noch zu vermehren und bald erscholl der Lärm zu meiner Linken. Ich aber wandte mich an die rechts von mir stehenden Zuhörer und tat, als beachte ich auch hier die Störenfriede nicht. Jetzt verschwanden sie, doch nach wenigen Minuten erschienen sie wieder, verstärkt durch einen weiteren Trupp ihrer Glaubensgenossen. Bruder Khan sprach gerade zu den Versammelten. Sie begannen jetzt wilder als zuvor zu lärmen und Bruder Khan erhob, sie um Ruhe bittend, die Hand. Das Ziel dieser Menschen war augenscheinlich, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und uns so zu hindern, das Evangelium zu predigen. Als Br. Khan sich nun zur anderen Seite seines Zuhörerkreises wandte, wurden die Störenfriede sehr ärgerlich und versammelten sich wiederum unter einem in der Nähe stehenden Baum.

Einige Zeit saßen sie in ernster Beratung zusammen. Plötzlich sprangen sie auf und gingen auf uns zu, als hätten sie nun einen entsprechenden Entschluss gefasst. Ich stand zwischen dem Predigenden und der vordersten Reihe der Zuhörer, die kaum zwei Meter von mir entfernt waren. Wie zum Sturmangriff rückten nun unsere Widersacher gegen uns vor und stießen alles roh zur Seite, um sich den Weg zu uns zu bahnen.

Wir hatten nicht die geringste Ahnung, was jetzt geschehen würde. Br. Khan sprach zu dem Volk auf der anderen Seite des Halbkreises und bemerkte die Gefahr nicht. Wir wussten, dass Gott uns hierher geführt hatte, um die Evangeliumsbotschaft einem Volk zu bringen, das nicht zu beeinflussen war, eine Predigt in einem geschlossenen Raum anzuhören und somit nur im Freien zu erreichen war. Viele dieser Menschen hatten noch nie etwas von Gott gehört. Wir wussten, dass wir der göttlichen Führung gemäß gehandelt hatten und glaubten, dass der Herr alles zu einem guten Ende führen würde. Und wenn Gott es zuließe, dass diese Horde uns schädigte und vielleicht sogar tötete, dann wäre doch dieser Nachmittagsgottesdienst nicht vergeblich gewesen. Denn in irgendeiner Weise, das wussten wir, würde auch durch dieses Ereignis die Sache des Herrn gefördert werden.

Ich stand mit verschlungenen Armen da und erwartete das scheinbar Unvermeidbare. Still flehte ich zu Gott und bat ihn, uns zu offenbaren, wie wir unter diesen Umständen handeln sollten. Wir besaßen nichts, womit wir uns hätten verteidigen können.

Jetzt hatten sie ihren Weg durch die Menge gebahnt. Mit einem kleinen, geöffneten Buch in der Hand näherte sich uns der vom Hass und Durst nach Christenblut besessene Führer. Seine Gebärde verriet die ganze wilde Leidenschaft des Südländers.

Nun war keine Zeit mehr zu langer Überlegung. Ich sah das Buch über die Schulter eines in meiner Nähe stehenden Mannes. Während der leidenschaftliche Afghane mit dem höchsten Aufgebot seiner Stimme einige arabische Worte schrie, ergriff ich blitzschnell das Buch und entwand es seiner Hand. Sogleich blieb der Mann stehen und seine Anhänger schwiegen. Auf den er­sten Blick erkannte ich, dass das Buch in arabischer Sprache geschrieben war. Obwohl ich dieser Sprache ganz unkundig war, blätterte ich darin, als wäre ich mit dem Inhalt ganz vertraut, und ahnte nicht, dass meine Handlung unsere Rettung bedeutete. Zunächst waren unsere Widersacher überrascht und schwiegen.

Nachdem ich, scheinbar lesend, ein bis zwei Seiten überschlagen hatte, tat ich sehr interessiert und schaute dann zum Prediger hinüber. Sobald ich eine Bewegung der Afghanen bemerkte, die vielleicht weitere Störungen verursachen konnte, stellte ich mich lesend und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf den Prediger. Auf diese Weise hielt ich die Mohammedaner eine Zeitlang in Schach.

Plötzlich rannten sie alle wieder zum Baum zurück. Einige begaben sich in eine andere Straße und brachten noch weitere rohe Gesellen mit. Kurze Zeit verharrten sie noch in ihren Beratungen, dann jedoch rückten sie noch wilder und drohender gegen uns vor. Der Führer trat nahe an uns heran und reckte wütend seine Faust aus. Ich hielt ihm schnell das Buch entgegen, er ergriff sein Eigentum und begab sich mit seinem Anhang sogleich wieder zu jenem Baum zurück. Dort berieten sie noch, als unser Gottesdienst schon beendet war. Ohne weitere Belästigungen konnten wir den Platz verlassen.

Warum ich durch das Ergreifen des Buches und mein scheinbares Lesen diese Wirkung erzielte, wusste ich nicht. Aber ich hatte ja Gott um Weisheit und Schutz gebeten und der Herr hatte meine Gebete erhört. Mehrere Jahre waren schon verflossen, als ich die Ursache von dem Erfolg meiner doch immerhin sonderbaren Handlung erfuhr. Eines Tages nämlich besuchte mich ein Missionar aus jenem Land und erzählte von einigen Erfahrungen unter den Afghanen. Als ich ihm dann über das von uns Erlebte berichtete, sagte er: „Wisst ihr, was die Eingeborenen damals abhielt, euch zu belästigen?“ Ich entgegnete, dass ich damals nur die Gewissheit gehabt hätte, dass Gott seine schützende Hand über uns hielt. Der Missionar entgegnete: „Jenes Buch, das du aus der Hand des Anführers nahmst, war der Koran, mit anderen Worten, ihre Bibel. Und nach ihrem Glauben müssen sie einen Fremden, der einen Koran besitzt oder darin lesen kann, schützen und als Freund behandeln, selbst wenn er ein Christ ist, den sie sonst töten dürfen. Besitzt der Fremde jedoch keinen Koran oder kann darin nicht lesen, dann ist auch sein Leben bedroht. Dir war es natürlich verborgen, wie klug und weise deine Handlung war, doch hast du damit dein und das Leben deiner Freunde gerettet.“

Wie wunderbar hatte uns doch der Herr geleitet, und wir dachten an das Schriftwort in Ps. 91:11: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“